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11 Kunst-Filme, die sich im Januar lohnen

Eine preisgekrönte Dokumentation über die Rückgabe von Raubkunst, Pariser Legenden und ein Roadtrip mit einem alternden Malerstar: Das sind unsere Film-Tipps des Monats


Die Rückkehr des Königs

Der König selbst spricht – mit dröhnend-unheimlicher Stimme. Gezo herrschte bis zu seinem Tod 1858 über das westafrikanische Königreich Dahomey, dem die senegalesisch-französische Regisseurin Mati Diop einen Dokumentarfilm gewidmet hat. Ausgangspunkt ist die Reise der Gezo-Statue und anderer Kunstwerke der versunkenen Kultur aus dem Pariser Musée Quai Branly ins heutige Benin. 

Die restituierten Schätze sollen im Präsidentenpalast ausgestellt werden. Diop, Gewinnerin des Goldenen Bären der vergangenen Berlinale, spürt in "Dahomey" der Frage nach, was die Werke sowie ihre Rückgabe durch die ehemalige Kolonialmacht für die Bevölkerung bedeuten. Unter Verzicht auf Kommentare und Erläuterungen versammelt der Film Impressionen von Rückführung und Ausstellungseröffnung sowie Statements von jungen Menschen aus Benin.

"Dahomey", auf Mubi

"Dahomey", Filmstill, 2024
Foto: © Les Films du Bal - Fanta Sy

"Dahomey", Filmstill, 2024


Die Bilderwelt von Hayao Miyazaki

Hayao Miyazaki ist der Kopf hinter Anime-Klassikern wie "Prinzessin Mononoke", "Das Schloss im Himmel" und "Mein Nachbar Totoro". Alle seine Filme eint neben der fantasievollen Bildsprache ein sorgenvoller Blick auf die Welt. Der 1941 geborene Miyazaki durchlebt das 20. Jahrhundert in Japan, einschließlich Krieg, Atomkatastrophe und den Auswirkungen des Klimawandels. 

In seiner über 50-jährigen Karriere erzählt er immer wieder vom Spannungsfeld zwischen Licht und Dunkel und träumt von einer Verbundenheit mit der Natur, dem Animismus. "Seine Filme erzählen auch von einer Menschheit, die besessen ist von Krieg und Eroberung. Gefangen im ungezügelten Konsumismus und der Gnade einer wütenden Natur ausgeliefert." So berichtet es die Arte-Dokumentation, die als Miyazaki-Hommage mit vielen Originalaufnahmen aus seinem Leben und Interviews mit Kollegen und Angehörigen daherkommt. 

Der Film erzählt von seiner Kindheit und Jugend, der jahrelangen Arbeit als Trickfilmzeichner, der Gründung des Studios Ghibli und den politischen Ereignissen, die sein Leben begleitet und beeinflusst haben. Miyazaki selbst sagt: "Meine Filme beruhen auf Erfahrungen, die ich in meiner Kindheit gesammelt habe." Dabei stehen seine Werke immer im Konflikt, einerseits Unterhaltung zu bieten, dabei aber die Beziehung von Mensch und Natur nicht euphemistisch zu zeigen.

Dieses Porträt lohnt sich auf jeden Fall auch für eingefleischte Miyazaki-Fans. Mindestens, um im Anschluss seine Filme noch einmal zu schauen und Ereignisse aus seinem Leben wiederzuentdecken.

"Miyazaki - Die Natur im Blick", Arte-Mediathek, bis 19. März 2025

Hayao Miyazaki
Foto: dpa

Hayao Miyazaki


Familie, Spione und die verflossene Liebe zu einem Maler

Wem auch immer es über Weihnachten alles ein bisschen zu viel wurde – die Familie, die Verpflichtungen, die verordnete Untätigkeit – kann wirklich froh sein, nicht die Probleme von Sam Young zu haben. Gerade, als er nach sieben Jahren wieder zarten Kontakt zu seiner großen Liebe aufnimmt, einem Londoner Maler, den er verlassen musste, als seine Tarnung aufflog, wollen ihn alle ausschalten: eine vollkommen skrupellose kriminelle Familienorganisation, genauso wie auch die Killer eines Drogenbosses, den er einmal verschont hatte, als der noch ein Kind war.

Die Spionin Helen, die er eigentlich beschützen soll, ist derweil in größte politische Schlamassel verwickelt: Chinas Botschafter wurde ermordet, und ihr Geliebter schien damit zu tun zu haben. Dabei ist sie der Öffentlichkeit nur als Ehefrau des britischen Verteidigungsministers bekannt, den sie einst heiratete, um ihn für die geheime private Organisation Black Doves auszuspionieren. Die eigentliche Liebesgeschichte spielt sich aber zwischen Helen und Sam ab, dargestellt von der großartigen Keira Knightley und dem alle Register von Melancholie beherrschenden Ben Whishaw. 

Wie der schwule Killer und die ins Fach der trophy wife abgerutschte Topspionin einander wortlos trösten und beschützen, ist der eigentliche Kern der Handlung, die bisweilen so verworren ist wie Geschenkbänder nach der Bescherung. Oder die Deko-Lichterketten an einer Londoner Hausfassade nach dem Einsatz einer Panzerfaust.

"Black Doves", auf Netflix

Keira Knightley in "Black Doves", Filmstill, 2024
Foto: Courtesy Netflix

Keira Knightley in "Black Doves", Filmstill, 2024


Die heiligen Hallen der Künstlerinnen und Künstler

Die Superkräfte von Galerien liegen natürlich zuallererst im Verkaufen von Kunst. Doch gehört es auch zu ihrer Arbeit, ganz nah am Schaffen ihrer Schützlinge zu sein. Oft sind Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter von Galerien die ersten, die ein neues Projekt zu Gesicht bekommen; die Studiotüren von Künstlerinnen und Künstlern stehen ihnen für gewöhnlich offen. Das Team von Lehman Maupin mit Standorten in New York, London und Seoul teilt diese exklusiven Einblicke gern auch mit einem breiteren Publikum und veröffentlicht regelmäßig erhellende Filme von Atelierbesuchen auf ihrer Website. 

Im vergangenen Jahr sind viele neue Begegnungen hinzugekommen. So spricht die chilenische Künstlerin Cecilia Vicuña in ihren Arbeitsräumen über ihre Projekte im Amazonas und ihre Teilnahme an der Venedig-Biennale im Jahr 2022. Oren Pinhassi präsentiert eine neue Skulpturenserie, Marilyn Minter erklärt, wie sie mit ihren äußerst aufwendigen Malerei-Verfahren die Vorstellung von Schönheit herausfordern will, und Fotografin Catherine Opie berichtet von ihrem ersten Projekt im Vatikan. Wer Blicke hinter die Kunst-Kulissen mag, kann sich hier dauerhaft festschauen. 

"Artists on Film", Lehman Maupin online

Malerin Marilyn Minter im Videoporträt bei Lehman Maupin
Foto: Courtesy Lehman Maupin

Malerin Marilyn Minter im Videoporträt bei Lehman Maupin


Eine Mode-Karriere in Ost-Berlin

"Gegen den Untergang der Welt hilft nur Eleganz", erklärt die Chefredakteurin dem jungen Model. Nur eine von vielen modischen Weisheiten, die der Film "In einem Land, das es nicht mehr gibt" von 2022 verbreitet. Mode in Ostberlin, hat die überhaupt eine Rolle gespielt? Ja, und genau wie überall anders auf der Welt vor allem für die, die nicht in gängige Ideale passten und durch Kleidung ausdrücken konnten, wo sie sich wirklich zugehörig fühlen.

Nach einem Schnappschuss, den der Fotograf Coyote von ihr in der Straßenbahn zur Arbeit macht, hat die 18-jährige Susanne "Suzie" Schulz die Chance, als Model Karriere zu machen. Eine verlockende Alternative, da ihr Alltag sonst im Kabelwerk Oberspree stattfindet. Sie findet sich auf dem Cover der "Sybille" wieder, und sogar mit ihren Kolleginnen des KWO in einem Editorial im Heft. Doch da ist mehr. "Die Modenschau in Leipzig ist die wichtigste des Jahres" – so war das im Jahr 1989. Suzie darf mit und in Leipzig laufen. Immer an ihrer Seite ist Rudi, der Stylist der "Sybille", der sie in die untergründige Modewelt einweiht und eine eigene Schau plant. "Dabei gibt's offiziell in der DDR gar keine Schwulen", ist eine Zeile, die Rudis Schicksal in den Stasi-kontrollierten Straßen greifbar macht. Und ein alternativer Fakt, der den Wendepunkt im Film markiert. 

Doch "Schönheit besänftigt die Nerven", weiß auch die schlaue Chefredakteurin Dr. Elsa Wilbrondt, und so findet am Ende zusammen, was zusammen gehört - genau wie wenige Monate später auch Ost- und West-Berlin. Der Film von Regisseurin Aelrun Goette beruht auf einer wahren Geschichte, ihrer eigenen, und gibt einen spannenden Einblick in die Mode-Realität im Sozialismus. 

"In einem Land, das es nicht mehr gibt", RBB-Mediathek, bis auf Weiteres

"In einem Land, das es nicht mehr gibt", Filmstill, 2022
Foto: Tobis Film

"In einem Land, das es nicht mehr gibt", Filmstill, 2022


Paris, die Stadt der Künstler

Häufig lohnt es sich, die Umstände, unter denen ein Kunstwerk entstanden ist, genauer zu betrachten – auch, wenn das bei manchen Arbeiten gar nicht so leicht ist. Besonders die sogenannten "Klassiker" der Literatur- oder Kunstgeschichte wirken zuweilen alt, verstaubt und wenig modern. Dass es aber gerade bei den längst kanonisierten Meisterwerken der Romantik noch einiges zu entdecken gibt, verdeutlicht die Mini-Serie "Die Legenden von Paris", die gerade bei Arte zu sehen ist. 

Sie erzählt von imposanten Pariser Persönlichkeiten wie den Schriftstellern Victor Hugo, Alexandre Dumas und Honoré de Balzac. Oder vom Maler Eugène Delacroix und dem Musiker Hector Belioz. Namen, die heute zu den großen Meistern ihres Faches zählen – von den französischen Institutionen und Universitäten hochverehrt und von vielen Schulkindern als unverständlich und langweilig verhasst. 

Dabei zeigt die behutsam mit Zeichnungen animierte Serie, dass die romantische Garde im Frankreich des 19. Jahrhunderts alles andere als konservativ war. Sie erweckt die Geschichten der Künstler zum Leben und verdeutlicht, wie sehr die jungen Männer vom Leben ergriffen – und wie wenig langweilig sie waren. So beteiligte sich Alexandre Dumas an der Juli-Revolution von 1830, bei der das französische Volk gegen den König kämpfte und nach drei blutigen Tagen schließlich siegte. Und Eugène Delacroix, der zwar nicht auf der Straße war, weil er die Bilder des Louvres vor Randalierern bewachen musste, schuf dem Aufstand des Volkes mit seinem Bild "La Liberté guidant le peuple" ein ewiges Denkmal – das heute seinerseits im Louvre hängt. 

Honoré de Balzac wiederum war einer der ersten Autoren, die sich von ihrem eigenen Leben inspirieren ließen und nicht mehr vorbildliche, tugendhafte Texte verfassten, sondern die Brutalität und Absurdität der modernen Gesellschaft und ihrer Konzepte, wie etwa der Ehe, darstellten. Später entwickelte sich Balzac zum Vorreiter der Realisten, einer weiteren Bewegung, die den Blick der Kunst auf die Welt für immer veränderte. 

Die Serie begleitet ihn und seine Künstlerfreunde auf der Suche nach dem richtigen Ausdruck und der Inszenierung von Gefühlen, die dem kalten Klassizismus gegenübertreten. Dabei verweben die Filme persönliche Beweggründe und politische Entwicklungen miteinander und verdeutlichen die Wechselwirkung von Kunst und Gesellschaft im Frankreich des 19. Jahrhunderts: einer Zeit des Kampfes gegen die Monarchie. In vier Teilen übersetzt sie so das Leben von Balzac, Hugo, Delacroix und anderen Künstlern auf behutsame Weise für unsere heutige Welt und macht deutlich, wie viel Ähnlichkeiten unsere Gegenwart mit der chaotischen und aufgewühlten Zeit der Romantiker hat.

"Die Legenden von Paris", Arte-Mediathek, bis 18. Juli 2025 

"Die Legenden von Paris", Filmstill, 2024
Foto: Courtesy Arte

"Die Legenden von Paris", Filmstill, 2024


Roadtrip mit einem alternden Malerstar

"Ich und Kaminski", die gleichnamige Verfilmung des Romans von Daniel Kehlmann, erzählt die Geschichte eines eitlen Kunsthistorikers, der mit einer Arbeit über einen gealterten, blinden Künstler-Star berühmt werden will. Sebastian Zöllner (gespielt von Daniel Brühl), ein ehrgeiziger selbsternannter Kritiker, plant ein Enthüllungsbuch über den einst berühmten, aber fast vergessenen Maler Manuel Kaminski (gespielt von Jesper Christensen). 

Der ehemalige Schüler von Matisse und Freund von Picasso gelangte einst durch eine Pop-Ausstellung mit dem Titel "Painted by a blind man" zu Berühmtheit. Mittlerweile in Vergessenheit geraten, hat sich der Künstler in die Alpen zurückgezogen. Zöllner macht sich auf den Weg zu dem entlegenen Chalet, dringt in Kaminskis Haus, Leben und Vergangenheit ein. Bald konfrontiert Zöllner sein Forschungsobjekt mit der Nachricht, dass seine totgeglaubte Jugendliebe Therese Lessing noch am Leben ist. Kurzerhand brechen die beiden zu einer abenteuerlichen Reise an Thereses Wohnort auf, bei der Zöllner feststellen muss, dass er dem Alten, ob blind oder nicht, in keiner Weise gewachsen ist. Anlässlich des Todes von Regisseur Wolfgang Becker ist die teils bissige, aber auch warmherzige Komödie noch einmal in der ARD-Mediathek zu sehen.

"Ich und Kaminski", ARD-Mediathek, bis 18. Januar 2025

"Ich und Kaminski", Filmstill
Foto: Courtesy ARD

"Ich und Kaminski", Filmstill


Der Name der Hose

Wenn man jemandem den "Bottom-up-Effekt" in der Mode erklären will, ist die Jeans das perfekte Beispiel. Entwickelt wurde sie als robuste Arbeiterhose, die selbst zwei Pferde nicht zu zerreißen mögen. In den folgenden Jahrzehnten hat das Beinkleid einen beispiellosen Siegeszug erlebt und sich in allen Bereichen von Haute Couture bis Alltagskleidung festgesetzt. Wer Jeans trägt, kann sich überall sehen lassen; die teuersten Modelle sind heute Luxusgüter, die den Preis eines Kleinwagens haben können.

Dass es so weit kommen konnte, hat maßgeblich mit dem deutschen Auswanderer und Stoffhändler Levi Strauss zu tun, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA mit dem Schneider Jacob Davis zusammentut und die mythische Hose entwickelte. Die ARD widmet der Geschichte des deutschen Erfinders und Textilmagnaten nun eine vierteilige Serie, die die Geburt des Kleidungsstücks in die politischen und ökonomischen Phänomene der Zeit einordnet: die gescheiterte Revolution von 1848 in Europa, die Massenemigration in die "Neue Welt" und die Industrialisierung der USA. 

Regisseurin Neele Leana Vollmar beginnt ihre Inszenierung tatsächlich mit der Werbeveranstaltung für die neue Jeans, bei der der Stoff dem Zug von zwei Arbeitspferden standhalten soll, die in entgegengesetzte Richtungen laufen: eine treffende Metapher für die übergeordneten Kräfte, die um Levi Strauss und seine Mitstreiter wirken und auch sie vor Zerreißproben stellen. Die "Event-Serie", wie sie von der ARD genannt wird, erfüllt die klassischen Anforderungen an ein Historiendrama und kommt nicht ohne Western-Klischees aus. Aber sie zeigt auch, wie stark die Geschichte der Mode mit der Geschichte der USA zusammenhängt. Und - das wird eher nebenbei deutlich - wie sehr der "American Dream" auf der Ausbeutung von Land und Menschen basiert. 

"Levi Strauss und der Stoff der Träume", ARD-Mediathek, bis 20. April 2025

"Levi Strauss und der Stoff der Träume", Filmstill, 2024
Foto: Martin Rattini/ARD Degeto/dp

"Levi Strauss und der Stoff der Träume", Filmstill, 2024


Wie klassistisch ist die Kunst?

Bei der diesjährigen Venedig-Biennale waren viele Besucher tief bewegt von Ersan Mondtags Performance-Installation im Deutschen Pavillon. Dort ließ er einen brutalistischen Turm im Hauptraum errichten, dessen Einrichtung und Theater-Aktivierung sich auf das Leben seines Großvaters bezog. Dieser kam aus Anatolien, musste als "Gastarbeiter" in Deutschland mit Asbest hantieren und starb mutmaßlich auch deshalb früh an Krebs. Dass ein Künstler aus einer Arbeiterfamilie von migrantischen Arbeiterbiografien erzählt, ist in der Kunst immer noch eine Seltenheit. Denn die allermeisten Kreativen, die von ihrer Leidenschaft leben können, stammen aus privilegierten Verhältnissen und stehen der academia näher als der Maloche auf dem Bau.

Warum das so ist und welche Rolle Herkunft in der Kunst spielt, versucht der 3-Sat-Film "Kultur - Ein Elitending?" zu ergründen. Lilly Schlagnitweit und Lisa Polster fragen sich darin, wie wichtig bestimmte Verhaltenscodes und Netzwerke in der Branche sind und wer sich überhaupt leisten kann, Künstlerin oder Künstlerin zu werden. Dafür sprechen sie mit denen, die Klassismus selbst erlebt haben, nun aber doch im Rampenlicht stehen: unter anderem Stefanie Sargnagel, Christiane Rösinger, Verena Brakonier und eben Ersan Mondtag. 

Dabei entsteht eine gewisse Ironie, weil vor allem die zu Wort kommen, die es trotz schwieriger Startbedingungen "geschafft" haben. Die, die unsichtbar bleiben, sind es naturgemäß auch hier. Trotzdem ermöglicht die Dokumentation einen differenzierten Blick auf ein Thema, das die Kunst bei aller Sensibilität gern ausblendet. Und auch die größeren Zusammenhänge werden thematisiert. Denn die Kürzungen in der Kulturförderung, die flächendeckend drohen, treffen gerade die, die kein Polster von zu Hause mitbringen. 

"Kultur – ein Elitending?", 3-Sat-Mediathek, bis Dezember 2025

Ersan Mondtag
Foto: Andrea Rosetti

Theater-Regisseur Ersan Mondtag


Die Geschichte des "Perlenthrons" aus dem Humboldt Forum

Im Berliner Humboldt-Forum führt eine Rolltreppe nach "Afrika". Das bedeutendste Sammlungsstück aus dem Kameruner Grasland ist der Perlenthron "Mandu Yenu", ein Geburtstagsgeschenk von König Njoya, Herrscher der Bamum, an Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1908. Eine freiwillige Gabe? Nabil Mbombo Njoya, 1992 geboren und 2021 gekrönt, sieht das offenbar anders. Als der amtierende König im Juni 2023 das Berliner Schloss besucht, setzt er sich zu aller Überraschung auf den Thron seiner Vorfahren und demonstriert damit: Das vermeintliche Exponat gehört zurück in den Palast. 

Lars-Christian Koch, der Direktor des Ethnologischen Museums, vertritt die andere, die "deutsche" Sichtweise und findet an jenem Junitag eine diplomatische Formel für die Beziehung zwischen den Ländern: "Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte. An dieser Geschichte müssen wir arbeiten". Dass der Perlenthron ein Geschenk war, davon rückt der deutsche Ethnologe nicht ab. Nicht zuletzt den historischen Kontext der "Schenkung", ein brutales Kolonialregime und Sultan Njoyas diplomatisches Geschick gegenüber den Deutschen, liefert ein Film, der zurzeit in der Arte-Mediathek abzurufen ist.

"Der Perlenthron. Kameruns Kulturerbe in deutschen Museen" von Jochen von Grumbkow, Johannes Fellmann und Grit Lederer befasst sich mit Beutekunst aus Kamerun und ihren kolonialen Hintergründen. Ein Großteil des Dokumentarfilms ist in dem afrikanischen Land gedreht. Dort hat die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy mit lokalen Forscherinnen und Forschern recherchiert, wie das Land während der Kolonialzeit sein kulturelles Erbe verlor. Vor allem an Deutschland, denn hier befinden sich weiterhin über 40.000 Objekte aus Kamerun – das sind sogar mehr Schätze als im Ursprungsland selbst noch übrig sind. 

Doch, was heißt überhaupt "Land". Es geht um 150 ehemalige Königreiche in Kamerun. In der heute autoritär regierten Republik sind die traditionellen Dynastien noch wirksam, sie prägen auch das moderne Leben. "Es reicht!", ruft Alexandre Kum'a Ndumbe III., der Prinz von Douala, und schlägt mit einem Stock auf hölzerne "Objekte", die nach seiner Ansicht lebendige Wesen sind. Immerhin klingt jedes "Ding" dabei anders. "Sie reden!", sagt der Enkel des Königs Lock Priso Bell, der einst Widerstand gegen die deutsche Kolonialmacht leistete. 

Die Entführung des kunstvoll verzierten Schiffsschnabels (Tangué) nach München (heute noch im Museum Fünf Kontinente) konnte der König nicht verhindern. Sein Enkel, ein Historiker und Schriftsteller, dessen Professur für Politik Afrikas an der FU Berlin im Jahr 2001 trotz Protesten gestrichen wurde und der dann nach Kamerun zurückkehrte, kämpft heute für eine Rückgabe ritueller Stücke. 

Der für Arte von der Medea Film Factory produzierte Film skizziert, dass die ursprüngliche Bedeutung der Werke kaum noch nachvollziehbar ist, nachdem sie verschleppt und in Museumsobjekte umgewandelt wurden. Er folgt der in Berlin lehrenden französischen Kunsthistorikerin Savoy, die in Kamerun Prinzen und Könige besucht. Die 2023 veröffentlichten Untersuchungsergebnisse zur Beutekunst aus Kamerun nannte Savoy einen "Atlas der Abwesenheit". Irritierend aber auch eine verbreitete Ansicht über die deutsche Kolonialzeit im afrikanischen Land selbst. Es sei eine "gute Zeit" gewesen, so stehe es sogar in Schulbüchern, erzählt der Wissenschaftler Mikaél Assilkinga, der am Linden-Museum in Stuttgart tätig ist und seit langem zum materiellen Erbe Kameruns in deutschen Museen forscht.

Der Thron "Mandu Yenu" ist mit tausenden Perlen und Kaurischnecken aus dem Indischen Ozean bestickt. Er besteht aus zwei Teilen, einem Sitz und einer Fußbank, beide aus massivem Holz geschnitzt. Die Ornamente spiegeln Symbole der Könige von Bamum wider, wie die zweiköpfige Schlange und die Erdspinne, ein Symbol der Weisheit. Vielleicht wäre es ein weiser Entschluss, dem König von Bamum das angebliche Geschenk einfach zurückzugeben.

"Der Perlenthron. Kameruns Kulturerbe in deutschen Museen", Arte-Mediathek, bis 28. Februar 2025

"Der Perlenthron. Kameruns Kulturerbe in deutschen Museen", Filmstill, 2024
Foto: Fellow Publishing

"Der Perlenthron. Kameruns Kulturerbe in deutschen Museen", Filmstill, 2024


Der van Gogh, der nicht wieder auftauchen will

Es war eine Sensation: Die Nachrichtensprecherin Dagmar Berghoff verkündete 1990 die Versteigerung des damals teuersten Kunstwerks der Welt. Vincent van Goghs "Porträt des Dr. Gachet" war bei Christie’s für umgerechnet 135 Millionen DM an einen japanischen Geschäftsmann verkauft worden. Seitdem ist das Bild aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die beiden Journalisten Johannes Nichelmann und Stefan Koldehoff haben sich jetzt für 3Sat auf seine Spuren begeben. Sie befragen Kunsthistoriker, Händler und andere Investigativjournalisten, und sie steuern Auvers-sur-Oise bei Paris an, das Städelmuseum, wo das Werk seit 1911 bis zur Verfemung durch die Nazis in der Sammlung hing, das Metropolitan Museum in New York, die Park Avenue in Manhattan. 

Dort versuchen sie es zusammen mit dem "New York Times"-Journalisten Mike Forsythe beim österreichischen Investmentbanker Wolfgang Flöttl. Ihm gehörte das "Bildnis des Dr. Gachet" eine Weile lang, bis er es hochverschuldet wieder abstoßen musste. Flöttl, angeblich pleite, ist nicht zu Hause, geht zwar ans Telefon, darf aber nicht über Käufer und Preis sprechen. 

Dass Sotheby’s das Werk weiterveräußert habe, weil Flöttl im dreistelligen Millionenbereich Schulden bei dem Auktionshaus hatte, gilt als gesichert. Auch mit Menschen, die wissen, wo sich das Werk befindet, sprechen die Journalisten in dieser zwar etwas hektisch bebilderten, aber gründlich recherchierten und spannend aufgebauten Dokumentation. 

Der Arzt Dr. Gachet, der van Gogh bekanntermaßen auch nicht helfen konnte, trägt auf dem Gemälde selbst stark melancholische Züge, die zu Wort kommenden Experten sind sich einig, dass es zu Teilen auch ein Selbstporträt des Künstlers in seinen letzten Lebensjahren war. Darum ist es so bedeutend. Dass es der Welt nicht zur Verfügung steht, kümmert die Händler nicht.

"Der verschwundene Van Gogh", 3Sat-Mediathek, bis 8. Dezember 2025

Vincent van Gogh "Porträt des Dr. Gachet (Erste Version)", 1890
Foto: CC via Wikimedia Commons

Vincent van Gogh "Porträt des Dr. Gachet (Erste Version)", 1890