Redaktions-Tipps

11 Highlights der Art Basel

Bei der diesjährigen Art Basel bieten 280 internationale Galerien ihre Werke an, und die Entdeckermesse Liste und andere Satellitenevents gibt es ja auch noch. Hier sagen wir Ihnen, wo sich das Hinschlendern und Stehenbleiben lohnt
 

Von Elke Buhr, Silke Hohmann und Saskia Trebing
 

Tolia Astakhishivili bei LC Queisser

Die Statements-Sektion mit den jungen Galerien ist immer ein Ort für unkonventionelle Auftritte, aber die Koje der Galerie LC Queisser aus dem georgischen Tiflis fällt selbst hier aus dem Rahmen. Genauer gesagt, nach Messekoje sieht hier gar nichts mehr aus, stattdessen streift man durch eine rätselhaftes, leicht ruinöses Gebäude voller dreckiger Waschbecken und überflüssiger Steckdosen. Irgendjemand hat ein paar leere Flaschen dagelassen, ein Spiegelmosaik splittert die Blicke kaleidoskopartig auf – und zwischendrin hängen ganz beiläufig zarte, ergreifende Zeichnungen und Gemälde.

Die georgische Künstlerin Tolia Astakhishivili macht zur Zeit Furore mit ihren architektonischen Verwandlungen, die ähnlich radikal sind wie die von Gregor Schneider, aber klaustrophobische Stickigkeit durch einen Anflug von Poesie ersetzen – zur Zeit auch im Kunstverein Bonn und Bald im Berliner Haus am Waldsee zu erleben.

Art Basel, Halle 2.1, M15


David Byrd bei Anton Kern

Nachdem er aus dem Zweiten Weltkrieg nach Hause kam, hatte der Amerikaner David Byrd (1926 – 2013) in New York Kunst studiert. Dann aber arbeitete er 30 Jahre lang als Pfleger in einer Psychiatrie, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und um Zeit zu haben für seine Bilder, die erst kurz vor seinem Tod 2013 erstmals öffentlich gezeigt wurden.

Jetzt sind sie im Sektor Kabinett bei der Galerie Anton Kern zu sehen – intensive, etwas unheimliche Malerei eines Solitärs, der in seinen melancholischen Porträts, den perspektivlos flachen Tableaus mit Szenen aus Bäckereien und kleinen Läden, den pastelligen Landschaften und Kleinstadt-Häusern wohl auch sein eigenes Trauma als Kriegsveteran verarbeitet hat.

Art Basel, Halle 2.1, K10


Laure Prouvost beim Parcours

Nach ein paar Stunden in den wimmeligen Messehallen ist ein Spaziergang durch die Altstadt zum Parcours die perfekte Erholung. Die Werke sind in Kirchen und Museen, auf Plätzen und in Gassen installiert – und eines auch direkt am Rhein, in einem Tunnel neben der Mittleren Brücke, direkt unter dem schicken Hotel Les Trois Rois.

"Dreaming of No Front Tears" steht in leuchten Neonbuchstaben über dem Eingang. Hier hat sich Laure Prouvost eingenistet. In ihrer Videoinstallation zeigen die Hände der Künstlerin auf die Betrachterin, die Wortspiele gehen weiter "We can trans wave all, we can change sea stem"“. Das Wasser wird hier zur zentralen Metapher für Freiheit, Aufhebung von Grenzen, die Auflösung der Barrieren zwischen Mensch, Pflanze und Tier. Und im Hintergrund treiben die Schwimmer im Rhein vorbei.

Drei-König-Weglein, nahe Hotel Les Trois Rois


Basel Social Club

Seit dem Umzug der Messe Liste fiel für die frühen Art-Basel-Besucher am Messe-Montag das zwanglose Herumstehen zwischen alten Industriegemäuern weg, wo man bei Bratwurst und Rivella sowohl New Yorker Museumsdirektorinnen treffen konnte als auch aufstrebende junge Künstlerinnen und Künstler.

Was aber das Fabrik-Flair angeht, gibt es in Basel dieses Mal eine absolut überraschende neue Location: das alte Thomy-Gelände in Nähe der Messe. Industriecharme ist das verbindende Element, sowohl zwischen den gezeigten Werken als auch den Besucherinnen und Besuchern. Das zugleich sehr demokratische und anspruchsvolle Erlebnis findet in Silos voller Kunst statt, von kleinen geschnitzten Holzstöckchen von Birke Gorm (Croy Nielsen) bis hin zu riesigen Adiletten aus blauem Plüsch von Hana el Sagini vom Basler Institut Art Gender Nature.

Es gibt auf drei ausladenden Stockwerken museumswürdige Tinguely-Skulpturen oder beispielsweise eine neue Arbeit von Lynn Hershman Leeson zu sehen und ganz frische Ölgemälde, die noch etwas ausdünsten. Ein fortlaufendes Performance-Programm, Konzerte und gut ausgesuchte Gastronomie sorgen für Aufenthaltsqualität und -dauer. Entstanden ist der Basel Social Club letztes Jahr, damals noch an einem anderen Ort, initiiert von einer Gruppe von Galeristinnen und Galeristen, Kuratorinnen und Kuratoren und Künstlerinnen und Künstlern.

Diesmal machen Galerien aus Toronto, Teheran, Los Angeles oder Kapstadt mit, vor allem aber wird auch die lokale Szene Basels mit rund einem Dutzend Galerien und Institutionen hier sichtbar. Wie viel Engagement dahinter steckt, ahnt man als Besucherin nur, denn die ganze Veranstaltung kommt ungemein entspannt und lässig daher. Genau das gibt der Art-Basel-Woche eine bestimmte, leicht anarchische Energie zurück, die jede gute Kunstveranstaltung braucht.

Basel Social Club, Mauerstraße, Basel, bis 18. Juni


Galerie Buchholz

Die meisten Galerien bringen einen Querschnitt aus ihrem Programm mit, was als Ganzes mal mehr, mal weniger gut (und manchmal auch zu gut) funktioniert. Buchholz macht es nicht anders, und trotzdem fühlt sich an diesem Stand alles relevant an. Die abstrakten Prints von Wolfgang Tillmans erinnern an seine große MoMA-Retrospektive, sein Porträt von Isa Genzken wirft ein Licht auf ihren kommenden 75. Geburtstag voraus, die Betonskulptur "Dachgeschoß" von 1991 der Künstlerin und ein noch früheres abstraktes Gemälde Genzkens, "Basic Research" von 1991, zeigen, wie wohl sich die beiden Künstler und ihre Werke immer miteinander fühlen.

Eine ganz neue Skulptur von Peter Fischli nimmt auf seine Weise Genzkens Faden mit den rohen Materialien und der feinen formalen Balance auf. Das Werk "Description" von Cameron Rowland, der gerade eine große Schau am MMK in Frankfurt hat, besteht aus einer original Zeitungsseite des "United States' Telegraph" von 1827. Eine Untertitelung des Werks gehört bei Rowland immer notwendig dazu: "Matching a description in the vicinity of a reported crime is often considered sufficient to meet the standard for reasonable suspicion."

Ganz beiläufig führt das zur Fotografie von Alvin Baltrop aus den 1970er-Jahren aus seiner Serie “The Piers”, die einen Mann mit Skimaske zeigt. An diesem Messestand gerät man aus dem Stand in ein subkutanes Geflecht von Bezügen, wie es sonst nur in guten Ausstellungen entsteht.

Art Basel, Halle 2.1, Stand P7


Mark Rothko bei Acquavella

Es ist ein etwas bedauerliches Messephänomen, dass man in dem Wust an Kunstwerken an absoluten Meisterwerken vorbeischlendern kann, ohne irgendein kunsthistorisches Prickeln zu spüren. Eine Ausnahme ist das Mark-Rothko-Gemälde in Gelb- und hellen Orangetönen, das den Besuchern vom Stand der New Yorker Galerie Acquavella entgegenleuchtet (und das rund 60 Millionen Dollar kosten soll).

Das Bild ist derart präzise und umwerfend komponiert, dass ihm selbst der Geschäftstrubel der Art Basel und das extra beorderte, streng dreinblickende Sicherheitspersonal nichts anhaben kann. Ein seltener andächtiger Museums-Moment vor einem Werk, das auch knapp 70 Jahre nach seiner Entstehung noch alle jüngeren Konkurrenten aussticht.

Art Basel, Acquavella Galleries, Halle 2.0, Stand F3


Sarah Margnetti bei Margot Samel auf der Liste

Den weiblichen Körper zum Ornament zu machen und mit architektonischen Elementen zu verblenden, das kennen wir aus dem Jugendstil - nur, dass das Ergebnis bei der Schweizer Künstlerin Sarah Margnetti eher anarchisch, widerständig und komisch ist als lieblich. Sie bestreitet eine Soloschau bei der New Yorker Galerie Margot Samel auf der sehr aufgeräumt und frisch wirkenden Satellitenmesse Liste, jetzt dauerhaft auch im Messezentrum platziert.

In Margnettis Gemälden und Wandmalereien geht der Faltenwurf eines hängenden Fenstervorhangs mit den ebenfalls der Schwerkraft folgenden Brüsten der nackten Frauenfigur eine wunderbar ironische Allianz ein, an deren Nase der Vorhang aufgehängt zu sein scheint. Säulen sind Füße, Köpfe grundsätzlich verhüllt, und die weiblichen Körper unterlaufen das Dekorationsspiel mit humoristischem Eigensinn.

Liste Art Fair Basel, Messe Basel, Hall 1.1, Maulbeerstrasse / Riehenring 113


Diamond Stingily auf der Art Basel Unlimited

Wenn es einen in der Sektion Unlimited, die auf Effekt und Größe der Kunst ausgelegt ist, immer wieder zum selben Werk zieht, will das schon etwas heißen. In einer der dunklen Videoboxen nahe des Eingangs verbirgt sich die Installation "How Did He Die" der US-Künstlerin Diamond Stingily, bei der sie Schwarz-Weiß-Aufnahmen von spielenden Mädchen auf einem Schulhof zeigt und die Leinwand gleichzeitig mit einem Zaun verbarikadiert, dessen Waben Schatten auf den Körpern der Kinder hinterlässt.

Der Gesang der afroamerikanischen Freundinnen, die in ein bekanntes "Call And Response"-Spiel vertieft sind, strahlt Unbeschwertheit und Lebensfreude aus, mischt sich aber gleichzeitig mit dem morbiden Inhalt des Textes (es geht darum, wie verschiedene Familienmitglieder gestorben sind). Mit Leichtigkeit verwebt Stingily hier den Alltag Schwarzer Kinder mit den Gefahren und Restriktionen, die ein Leben in einer rassistischen Gesellschaft mit sich bringt. Bei allen spektakulären Werken, die die Unlimited bereit hält, fällt es schwer, hier wieder wegzuschauen.

Art Basel Unlimited, Halle 1


Jeremy Deller bei The Modern Institute

Teenager haben ja den Ruf, für Erwachsene recht anstrengende Gegenüber zu sein, häufig könnte man aber auch sagen, sie sind die besseren Menschen: moralisch, geradlinig und unkompomittiert. Häufig dabei lustig. Viele von ihnen, die das auch als Erwachsene nicht ändern wollen, werden Künstler, und das wird jetzt hier einfach mal auch von Jeremy Deller behauptet, bei dem der Kompass für Humor, Ästhetik und Moral einfach immer ganz genau stimmt.

Darum ist es ein Vergnügen, in der Messekoje von Modern Institute vor einer poppig bunten Wand zu stehen, die voller Poster hängt wie früher in Teenager-Zimmern. Es ist nur ein kleiner Teil von Dellers großem Projekt "Prints & Posters 1993-2021". Politische Botschaften wie "Tax Avoidance Kills" oder "Every age has ist own fascism" hängen neben lakonischem Text-Bild-Humor, der heute auch sehr gut als Meme kursieren würde oder einfach Reproduktionen von Dellers Band-Postern aus Jugendtagen.

Roxy Music und Morrissey spielten eine Rolle. Dellers große Liebe zur Popmusik trug zu seiner Berühmtheit bei, als er eine nordenglische Arbeiterkapelle Acid-House-Tracks nachspielen ließ. Ein Organigramm der Zusammenhänge zwischen Streiks der Minenarbeiter und Chicago Warehouse Parties ist auch Teil des Ensembles, das entweder komplett oder in einzelnen Fällen auch als individuelles Poster gekauft werden kann. Man kann in dieser kleinen Kapelle der Utopien aber auch einfach andächtig auf das Poster mit dem Stonehenge-Motiv schauen, auf dem steht: "A time before shopping".

Art Basel, Halle 2. 1, Stand P3


Anna Amorim bei der Millan Gallery

Wer bei den ganzen "Gemischtwarenläden" der Gruppenschauen langsam schwindelig wird, kann sich in die Sektion Features zurückziehen, wo sich die Galerien auf eine kuratierte Präsentation einer einzelnen Position konzentrieren. Besonders sehenswert ist die Koje der brasilianischen Millan Gallery, die alle ihre Wände mit Werken der Künstlerin Anna Amorim tapeziert hat.

Diese wurde dafür bekannt, alltägliche Aktivitäten obszessiv zu dokumentieren und daraus Serien von filigranen Objekten zu generieren. Auf der Art Basel zeigt sie hunderte von Collagen, auf die sie die Wege ihres Tages aufgezeichnet hat: Schwarz für die bekannten, Rot für neue Routen. Außerdem hat sie auf jedes Blatt ein Stück gefundenes Textil genäht und auf ihre ganz eigenen Art das Vergehen von Sekunden notiert. Im Ganzen ergibt das eine überwältigende Installation, bei der man für ein paar Minuten in ein Kunstuniversum mit ganz eigenen Gesetzen eintauchen kann.

Art Basel, Halle 2.0, Stand D15


Jack Shainman Gallery

Dieser Messestand ist beglückend wie eine Museumsausstellung im Miniaturformat: Schon von weitem glänzt bei der New Yorker Galerie Jack Shainman eine flauschig bunte Wandarbeit von Nick Cave, um die Ecke hängt ein zauberhaftes Porträt eines selbstvergessenen Paares von der Malerin Lynette Yiadom Boakye, Diedrick Brackens zeigt einen seiner grafischen Wandteppiche, und schließlich entdeckt man auch noch ein Werk des legendären Fotografen und Regisseurs Gordon Parks.

Eine neue Generation von afroamerikanischen Fotokünstlern repräsentiert, Tyler Mitchell, der mit seinen Porträts für "Vogue" und andere Hochglanzmagazine bekannt wurde, hier aber einen Ausflug ins Skulpturale wagt. Seine Fotos sind hier in einer Art Kabinett gezeigt, das wunderschön filigran aus Holz gefertig ist und das die melancholische Facetten seiner Ästhetik fast noch besser zur Geltung bringt als Buch- oder Magazinseiten. Ein ziemlich großes Wohnzimmer oder gleich Museumsräume braucht man für das riesige Gemälde von Meleko Mekgosi, das eine Manege mit ausschließlich Schwarzen Artistinnen und Artisten zeigt. Selten sah der Messezirkus so gut aus.

Art Basel, Halle 2.1, P15