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10 Kunst-Filme, die sich im Februar lohnen

Erinnerungen an David Lynch, Feminismus im KI-Zeitalter und Wim Wenders' Hommage an Anselm Kiefer: Das sind unsere Film-Tipps des Monats


Pepe und wie er die Welt sah

Wahrscheinlich ist Nelson Carlos de Los Santos Arias' vierter Langfilm und Gewinner des Regiepreises auf der vergangenen Berlinale eher ein Film über Menschen als über Tiere. Aber – vom Silbernen Bären einmal abgesehen – im Mittelpunkt von "Pepe" steht doch das gleichnamige Flusspferd, das von Afrika nach Kolumbien gebracht wird, um fortan im Privatzoo des Drogenbarons Pablo Escobar zu leben, Oberhaupt des sogenannten Medellín-Kartells. 

Aus dem Off hört man, wie Pepe mit brummiger Stimme von seiner Odyssee erzählt, inklusive seiner Flucht mitsamt Artgenossen aus dem Escobar-Anwesen in den Rio Magdalena. Die Geschichte um den Drogenboss, der in den 1980ern vier afrikanische Flusspferde auf seine Hacienda transportieren ließ, wo er auch Elefanten, Giraffen und Kängurus hielt, ist wahr. Hinzu erfunden ist etwa die Episode zweier trotteliger Jungmafiosi, die Nilpferde transportieren und eine Heidenangst vor den Tieren haben, oder die Geschichte um einen von Ehe- und Männlichkeitskrise geplagten Fischer, der von der bloßen Existenz Pepes in seinem Heimatfluss beunruhigt wird. Der Film ist eine lustvoll abschweifende, labyrinthische Erzählung, die ihren Kern, das brutale Regime eines (1993 schließlich erschossenen) Drogenbarons nie ganz aus dem Auge verliert. Man muss sich einlassen (können) auf diese mäandernde, kunstvolle Story – tut das aber dann mit Gewinn.

"Pepe", auf Mubi


Was geschah im Berliner Club Reaktor?

Einmal im Berliner Berghain zu feiern, ist für viele Techno-Tänzer weltweit ein Lebenstraum, für den sie viel Geld und viele Flugmeilen aufwenden. Vor einigen Jahren bezahlte eine US-amerikanische Touristin ihre Sehnsucht nach dem Rausch jedoch mit dem Leben. Nachdem sie zwei Ecstacy-Pillen genommen hatte, versagten ihre Organe. Sie kollabierte und starb wenig später im Krankenhaus. Der "Spiegel"-Journalist Alexander Osang lernte zufällig ihre Angehörigen kennen und schrieb ihre Geschichte für den "Spiegel" auf. Darin wurde auch die Frage aufgeworfen, ob das Berghain-Team schnell genug reagierte und ob die junge Frau vielleicht hätte gerettet werden können, wenn sie früher in eine Klinik gekommen wäre. Ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung wurde eingeleitet, aber wenig später wieder eingestellt.

Lose basierend auf diesen Ereignissen hat Osang nun das Drehbuch zur Serie "The Next Level" von Regisseurin Pia Strietmann geschrieben, die in der ARD läuft. Darin ist es die junge Lokalreporterin Rosa, die zufällig über Josh stolpert, den verzweifelten Witwer von Zofia. Die New Yorkerin ist während ihrer Hochzeitsreise im legendären Berliner Club Reaktor gestorben - der deutliche Berghain-Ähnlichkeit aufweist. Rosa wittert sofort eine Geschichte. War es ein Unfall, eine Überdosis, vielleicht sogar ein Verbrechen? Was zuerst wie ein Kriminalfall wirkt, entwickelt sich in den sechs Folgen zu einem Berliner Sittengemälde im kunstigen Party- und Investorenmilieu.

Rosa ist in dieser Konstellation die wissbegierige Außenseiterin, die für ihre Arbeit bei der "Berliner Allgemeinen" lebt und vor unkonventionellen Methoden offenbar nicht zurückschreckt. So klaut sie dem geheimnisvollen Ostberliner Mäzen und Immobilien-Tycoon Bodo Brenner schonmal ein Gemälde, um ihn zu einem Treffen zu zwingen. Überhaupt entwickelt sich Brenner zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Überall hat der Besitzer des Reaktors seine Finger im Spiel, was die Geschichte zuweilen etwas bemüht und konstruiert wirken lässt. Doch das Setting eines sich wandelnden Berlins zwischen DDR-Erbe, Wende-Idealen und kapitalistischem Ausverkauf fängt die Serie gekonnt ein. Auch einige Gastauftritte realer Nachtleben- und Kulturgrößen lassen sich von Eingeweihten entdecken. Nur Nachwuchsjournalistinnen, die sich jetzt sofort bei einer Berliner Zeitung bewerben wollen, sei gesagt: Der Job einer Lokalreporterin ist leider meist sehr viel unspektakulärer und prekärer als es die dauerrauchende und spionierende Rosa Glauben machen will. 

"The Next Level", ARD-Mediathek, bis 24. Januar 2026

"The Next Level", Filmstill, 2025
Foto: Jakub Bejnarowicz/ARD Degeto Film/Letterbox Filmproduktion GmbH/dpa

"The Next Level", Filmstill, 2025


Was macht KI mit dem Feminismus?

Die sozialen Medien haben unser Verhältnis zum eigenen Körper (und zu den Körpern von anderen) fundamental verändert - und Künstlerinnen haben das früh erkannt. 2015 stellten Leah Schrager und Jennifer Chan die Online-Ausstellung "Body Anxiety" zusammen, die künstlerische Spielarten des Cyberfeminismus untersuchte. 

Zehn Jahre und viele technische Neuerungen später, Stichwort KI, geht die virtuelle Schau in eine Neuauflage, die diesmal auf der Website des Hauses der Elektronischen Künste Basel (HEK) zu finden ist. "The Second Guess. Body Anxiety in the Age of A.I." wurde von Leah Schrager, Anika Meier und Margaret Murphy kuratiert und fragt nach den Veränderungen im digitalen Engagement weiblicher und queerer Kunstschaffender im Netz. Wie werden Blockchain und Künstliche Intelligenz genutzt, hat sich das Versprechen der Krypto-Ökonomie auf finanzielle Selbstbestimmung jenseits der großen Kunstmarkt-Player bewahrheitet? Und können oder wollen wir überhaupt noch zwischen unserem physischen Leib und seinem gefilterten Abbild unterscheiden?

Beim Scroll-Spaziergang durch die verschiedenen Kapitel der Ausstellung begegnen einem auch immer wieder Video-Kunstwerke, die die enge Verbindung von digitalen zu Fleisch-und-Blut-Körpern vorführen. Darunter sind filmische Arbeiten von Bianca Kennedy, Martina Menegon, Lauren Lee McCarthy oder Oona.

"The Second Guess. Body Anxiety in the Age of A.I.", Virtual HEK, bis 16. März

Martina Menegon "It suits me well", Filmstill
Foto: Martina Menegon und HEK

Martina Menegon "It suits me well", Filmstill


Die andere Kunst

Singuläre Kunst, Outsider Art oder eben Art Brut, also "rohe" Kunst – so wird die kreative Arbeit von vermeintlichen "Außenseitern" des Kulturbetriebs bezeichnet. Genauer gesagt fallen in diese Kategorie: "Vielschichtige Werke, die psychisch Kranke, geistig Behinderte, Häftlinge oder Spiritisten gemacht haben. Allesamt abgeschieden lebende, autodidaktische Schöpfer am Rande der Gesellschaft." Ihr Schaffen gilt als pur, weit entfernt von der korrumpierenden Macht des Marktes.

Die Arte-Dokumentation "Die andere Kunst" stellt Art-Brut-Künstlerinnen, Sammler und Galeristinnen vor. Beispielsweise wird die Geschichte von Aloïse Corbaz erzählt, bei der nach einer Anstellung am preußischen Hof Schizophrenie diagnostiziert wurde und die in einer Schweizer Anstalt ein umfassendes Werk schuf. Es werden auch renommierte Orte des Kunstbetriebs wie das Centre Pompidou besucht, in dem eine Sammlung von Art Brut ausgestellt wird. Bei diesen Überschneidungen mit dem "herkömmlichen" Kunstbetrieb drängt sich immer wieder eine zentrale Frage auf: Was passiert mit der "Außenseiter-Kunst" auf dem Markt? Verliert sie ihre Kraft?

Auch die Gründe, weshalb Menschen Kunst machen, sind vielfältig und haben erst einmal wenig mit dem Geschäft zu tun. George Widener, ein Künstler aus New York, erklärt: "Ich war früher ein bisschen verrückt, aber ich habe bemerkt, dass mich Zählen beruhigt". Er gilt mittlerweile als einer der führenden Vertreter der Art Brut. Er fasst seine Haltung zum Markt so zusammen: "Manchmal gefallen ihnen die Sachen, manchmal nicht". Die Künstlerin Jill Gallieni schrieb täglich an die Jungfrau Maria gerichtete Gebete auf, die jetzt als Kunst gehandelt werden. Ihr Beweggrund: "Ich habe getan, was ich tun muss".

Was diese Kunst besonders macht, ob es die Situation der schöpfenden Person ist oder der Zugang, den die Betrachter finden, ist eine Frage, die im Film aufgeworfen wird. Und auf die die Antworten genauso vielfältig sind wie die Werke selbst.

"Art Brut - Die andere Kunst", Arte-Mediathek, bis 10. März

"Art Brut - Die andere Kunst", Filmstill, 2020
Foto: Courtesy Arte

"Art Brut - Die andere Kunst", Filmstill, 2020


Eine filmische Erinnerung an David Lynch

Es gibt nicht viele Künstlerinnen und Künstler, deren Stil man zur Beschreibung von realen Situationen benutzen kann. Kafkaesk ist so eine Bezeichnung, unter der sich fast jeder etwas vorstellen kann. Aber auch der Mitte Januar verstorbene US-Regisseur und Maler David Lynch ("Twin Peaks", "Mulholland Drive") steht für eine Ästhetik, die sprichwörtlich geworden ist. Alles ist surreal düster, erotisch aufgeladen und voller Geheimnisse, die sich nicht unbedingt aufdecken lassen. Der Dokumentarfilm "The Art Life", der bei Mubi verfügbar ist, versucht, dem mysteriösen Filmemacher selbst auf die Spur zu kommen. In elegischen, durchaus Lynch'schen Bildern wird ein Atelierbesuch beim Meister gezeigt. 

Dieser erzählt von seiner Kindheit in einer sehr amerikanischen Familie und die Kraft der Vorstellung, mit der er sich schon immer in ferne Welten katapultiert hat. Lynch ist wie in seinen Filmen ein begnadeter Erzähler und versteht es, die Aura eines großen Künstlers um sich aufzubauen. Bei diesem Porträt, das nun als Vermächtnis eines unvergesslichen Individuums wirkt, muss sich niemand gruseln - vielmehr bekommt man Lust, sich mal wieder aus einem vorhersehbaren Alltag wegzuträumen. 

"David Lynch: The Art Life", auf Mubi


Der schmale Grat zwischen Sammler und Messie

Der Designer Peter Engelhardt hat unter seinem Künstlernamen Peng mal ziemlich erfolgreich Produkte designt. Inzwischen sieht sich der Mitte-70-Jährige eher als Sammler und hat ein beeindruckendes Konvolut aus tausenden Alltagsobjekten, Möbelstücken und Kunstwerken aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren zusammengetragen. Das Problem: keiner hat Interesse daran, Engelhardts Schatz sachgemäß zu präsentieren und aufzuarbeiten. Einen Großteil der Dinge stapelt er in seiner Wohnung bei Bingen oder bei seiner über 90-jährigen Mutter, der Rest verfällt in einem völlig maroden Lager, in dem es durch die Decke regnet.

Im Porträtfilm "Der Sammler - Ein Designer sucht die Ewigkeit", der beim SWR verfügbar ist, wird ein essenzieller Widerspruch sichtbar: Der Protagonist sieht sich selbst noch immer als Kurator riesiger Werte, sein Umfeld scheint ihn jedoch zunehmend als Messie wahrzunehmen, der längst den Bezug zur Realität verloren hat. Der Film gibt beiden Perspektiven Raum und zeichnet das Bild einer schillernden Persönlichkeit, die nicht aufhören kann. Engelhardt ist cholerisch und zärtlich, stur und selbstironisch und kämpft gegen eine Welt, die ihn und seine Sammlung offenbar vergessen hat. Dabei entsteht ein anrührendes Porträt, das die Frage aufwirft, was wertvoll ist.

"Der Sammler - Ein Designer sucht die Ewigkeit", SWR-Mediathek, bis 13. November 2026

"Der Sammler - Ein Designer sucht die Ewigkeit", Filmstill, 2024
Foto: Hartmut Seifert / SWR

"Der Sammler - Ein Designer sucht die Ewigkeit", Filmstill, 2024


Der Tod, der Maler und das Mädchen

Anfang des 20. Jahrhunderts zählt der junge österreichische Künstler Egon Schiele (Noah Saavedra) mit seiner erotisch aufgeladenen Malerei zu den meistdiskutierten Künstlern seiner Zeit. Das "Enfant terrible" der Wiener Moderne ist voller Leidenschaft für seine Kunst und die Frauen, ganz zum Missfallen der Gesellschaft, die seinen Lebensstil als anstößig verurteilt.

Anfangs steht ihm seine jüngere Schwester Gerti (Maresi Riegner) Modell, bald immer neue Mädchen. Als ihm von seinem Künstlerfreund Gustav Klimt die rothaarige Wally Neuzil (Valerie Pachner) vorgestellt wird, entwickelt sich zwischen den beiden eine intensive Liebesbeziehung. Sie wird zu seiner Lebensgefährtin und als Modell zum beständigen Teil seiner Kunst. Seine Liebe zu ihr verewigt Schiele unter anderem in dem Gemälde "Tod und Mädchen".

Diesen Untertitel trägt auch der Spielfilm von Regisseur Dieter Berner von 2016, der nun bei der Kinogruppe Yorck digital zu sehen ist. Das Historiendrama erzählt mit viel Pathos und Opulenz eine Geschichte von Liebe, Eifersucht und Kunst-Obsession. Außerdem entsteht ein lebendiges Bild von Wien zur Zeit des Ersten Weltkriegs, einer prägenden Epoche für die Stadt und die Geschichte der Malerei. 

"Egon Schiele - Tod und Mädchen", Yorck on demand 

"Egon Schiele - Tod und Mädchen", Filmstill, 2016
Foto: Alamode Film

"Egon Schiele - Tod und Mädchen", Filmstill, 2016


Wie man einen Caspar-David-Friedrich klaut

2024 war überaus romantisch: Überall in Museen, in Reden und Büchern und Kostümwettbewerben wurde der 250. Geburtstag des Malers Caspar-David Friedrich gefeiert. Nur der Regisseur Thomas Arslan wählte einen etwas anderen Ansatz für eine Hommage. In seinem Film "Verbrannte Erde", der jetzt bei Mubi läuft, lässt er Friedrichs Bild "Frau vor der untergehenden Sonne" bei einem Überfall kurzerhand aus einem Berliner Museum rauben. Das vom Genre des heist movie inspirierte Stück ist eine Fortsetzung von Arslans "Im Schatten" von 2010 und erzählt, wie es mit dem Berufsgangster Trojan weitergeht, nachdem er untertauchen musste.

"Verbrannte Erde", der viel im Dunkeln spielt, ist nicht nur ein schlauer Film über einen spektakulären Überfall, sondern auch ein Porträt einer verlorenen Hauptfigur, die sich wie ein Fremder durch Berlin bewegt. Eine Stadt, die sich stark verändert hat, seit er sie zuletzt betreten hat. "Berlin schließt viele Menschen aus", sagte Thomas Arslan 2024 im Monopol-Interview. Sein Film zeigt, wie sich auch das Verbrechen den spätkapitalistischen Bedingungen anpasst.

"Verbrannte Erde", auf Mubi

"Verbrannte Erde", Filmstill, 2024
Foto: © Reinhold Vorschneider / Schramm Film

"Verbrannte Erde", Filmstill, 2024


Wenn Wim auf Anselm schaut 

Als sich in den ersten Minuten, noch vor dem Vorspann, die Kamera ganz langsam einer Skulptur nähert, die an ein viktorianisches Kleid erinnert, und dazu eine Frauenstimme etwas von den "Namenlosen und Vergessenen" flüstert, denkt man unweigerlich: Hier haben sich zwei gefunden. Zwei visuelle Poeten: Filmemacher Wim Wenders mit seiner unvergleichlich verführerischen Bildregie, und Anselm Kiefer mit seiner künstlerischen Handschrift voller Andeutung und Bedeutsamkeit. 

Wim Wenders nimmt sich, lange bevor die ersten Worte gesprochen werden, viel Zeit. Langsam nähert er sich von außen, schwebt von oben in die Ateliers und durch den Kiefer-Privatpark im südfranzösischen Barjac. Und erst als "Anselm" tatsächlich auf dem Fahrrad winzig klein durch die Hallen fährt, in denen seine Werke entstehen und lagern, bekommt man ein Gefühl für die gigantischen Dimensionen, in denen dieser Künstler denkt, lebt und arbeitet.

Wim Wenders betont, er habe kein Biopic gemacht, denn das sei ein ganz anderes Genre. "Ich möchte weder von mir selbst etwas Privates weggeben, noch über andere was Privates erfahren. Von dem 'als Mensch' weiß man hinterher wenig. Man weiß aber viel über sein Werk, wie sein Denkprozess funktioniert und was er alles wagt, um etwas sichtbar zu machen in seiner Kunst, ob es nun zu Malerei, Skulpturen oder Installationen wird. Was er sichtbar macht und wie er es sichtbar macht, das hat mich äußerst interessiert, das ist seine persönliche Errungenschaft. Und darüber habe ich einen Film gemacht."

Wenders stellt sich mit seiner eigenen in vielen Jahrzehnten perfektionierten Kunst, den Blick zu führen und Geschichten zu erzählen, dem Künstler Kiefer an die Seite. Dass er dabei einfühlsam und kompetent vorgeht, heißt nicht, dass Kiefer als der Großkünstler abgefeiert wird, als der er gemeinhin gilt. Widersprüche oder Eitelkeiten bleiben ungeglättet.

Wenders ließ den jungen Anselm Kiefer von dessen Sohn spielen, auch Szenen aus der Kindheit sind dabei, und eine Begehung des Hauses, in dem Kiefer im Badischen am Rhein aufwuchs. Diese eher stillen Szenen zählen zu den stärksten, weil sie ohne Voyeurismus bislang unbekannte Koordinaten sichtbar machen, innerhalb welcher ein Œuvre heranwächst. Der Film von 2023 mag Experten an manchen Stellen zu schwelgerisch sein, ein bisschen zu ehrfürchtig vor den Bildern, die mit Mythologie und Bibelzitaten von Figuren aus den Dramen der Antike und von deutschem Boden gesättigt sind. 

Doch Wenders zeigt mit demselben visuellen Interesse die profanen Prozesse ihrer Entstehung: das routinierte Mörteln, Teer kochen, Abfackeln, mit Hebebühne, Gummistiefeln und rund um die Uhr verfügbarem Assistenten. Nicht zuletzt ist es auch indirekt ein Film über die Begegnung zweier berühmter Deutscher, die viel mehr teilen als ihr Geburtsjahr 1945, zum Beispiel eine ausgeprägte Liebe zum Horizont.

"Anselm - Das Rauschen der Zeit", Amazon Prime, zum Leihen oder Kaufen

"Anselm", Filmstill, 2023
Foto: Road Movies

"Anselm", Filmstill, 2023


Die Retter der modernen Kunst

Karl Schmidt-Rottluff war Maler und Grafiker, der zusammen mit der Künstlergruppe Brücke Anfang des 20. Jahrhunderts große Erfolge feierte. In den Augen der Nationalsozialisten galt sein expressionistischer Stil jedoch als "entartet", ebenso wie viele andere Werke von experimentellen, jüdischen und politisch arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern. Die Dokumentation "Kunstretter" von Lars Hering, die in der ZDF-Mediathek zu sehen ist, zeigt, wie mutige Menschen damals ungewöhnliche Wege gingen, um Teile der bekämpften Kultur zu erhalten. In dem rund 30-minütigen Format kommen Historikerinnen und Historiker, Galeristinnen und Galeristen zu Wort. Außerdem zeigt der zeitgenössische Künstler Maximilian Prüfer, wie er vergessene Werke heute wieder zum Leben erwecken will. 

Prüfer lässt Insekten monatelang auf Leinwänden leben und füttert diese mit Farbpigmenten aus Kriegsschutt. So lässt der Kot dieser "Mini-Phönixe" eine Neuinterpretation aus der Asche entstehen. Kunsthistorikerin Meike Hoffmann erzählt dagegen von Methoden wie der des Galeristen Ferdinand Möller, der Künstler der Brücke während der NS-Zeit privat in Hinterzimmern ausstellte und sie vor Zugriff schützte. Werke von Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix oder Max Beckmann sollten aus Deutschland geschafft werden, wurden zu Spottpreisen ins Ausland verkauft oder verbrannt. 

Der Film stellt auch Günter Frank vor, der als damaliger Leiter des Kupferstichkabinetts in Berlin gefährliche Taktiken des "Kunstrettens" entwickelte und unter anderem heimlich "entartete" Werke mit Dubletten austauschte. Historiker Rainer Adomat ist außerdem einer Brieffreundschaft zwischen Emil Nolde und dem Lehrer und Privatsammler Alfred Heuer auf der Spur. Heuer hielt die Beziehung zu geschmähten Künstlern aufrecht. Während Galerien und Städte zerbombt wurden, versteckte er Noldes Arbeiten von unschätzbarem Wert in einem Bauernschuppen. 

"Kunstretter - Im Sturm auf die Moderne", ZDF-Mediathek, bis 2029

Maximilian Prüfer vor dem Werk "Kriegskrüppel" von Otto Dix
Foto: (c) ZDF/Lars Hering

Maximilian Prüfer vor dem Werk "Kriegskrüppel" von Otto Dix