Kunstbiennale

10 Dinge, die man in Venedig nicht verpassen sollte

Die 56. Internationale Kunstausstellung in Venedig läuft noch bis zum 22. November. Zehn Highlights aus der Monopol-Redaktion

1) Bevor am Flughafen der Koffer kommt, einmal auf den Boden schauen, bitte: Simon Dennys Beitrag für den neuseeländischen Pavillon beginnt schon in der Transitzone des Flughafens, wo er das Deckenfresko aus der Nationalbibliothek von Venedig nachgebildet hat. Im Zentrum: Tizians "Weisheit". (Verpasst? Beim Rückflug in der Gegend von Gate 1-4 ist ein anderer Ausschnitt zu sehen). sh

2) In einem Seitenraum des angolanischen Pavillons in der Musikschule am Campo Santo Stefano läuft ein schöner kleiner Film von Binelde Hyrcan: Vier angolanische Jungs im Grundschulalter sitzen in Sandkuhlen und spielen Erwachsene, die in einer Limousine über Umzugspläne in die USA und ihre Ehefrau in Italien streiten. Achtung: Nicht an Sonntagen geöffnet! sh

3) Das Armenische Kloster auf der Insel San Lazzaro (Vaporetto 20) ist wie ein Urlaub im Urlaub, im politisch brisanten Jahr 2015 zeigt Armenien dort eine gute Gruppenausstellung, die als bester Nationalpavillon mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden ist. Sie endet bereits am 3. November. Zwischen Hin- und Rückfahrt liegen anderthalb Stunden, Zeit für mitgebrachtes Picknick. Die Installation im Wehrturm nicht verpassen! sh

4) Der "Corner Speaker" beginnt, wenn die Sonne untergeht. Der Mann, den Saadane Afif für seine Performance engagiert hat, richtet seine Worte an den Lagunenkanal. Er trägt Texte vor, die Freunde des Künstlers geschrieben haben. Mal beat-poetisch, mal verträumt treiben sie hinaus aufs Meer, brechen sich an Ölschlieren und Vaporetti-Lärm und stiften unter den Uferpassanten doch einen kurzen, zeitgenössisch-romantischen Moment der Communitas.
Fondamenta Zattere Al Ponte Lungo, mittlerweile nur an bestimmten Tagen, mehr auf Twitter sf

5) Wenn man sich durch den italienischen Pavillon hindurchgekämpft hat, ganz hinten im Arsenale, kommt der Teil, der immer der schönste ist hier: Der Giardini delle Vergine. Plötzlich Ruhe, grünes Gras, vielleicht eine freundliche Musikperformance. Und darin, noch abgeschiedener, der Garten, den sich Sarah Sze eingerichtet hat. Hier hängt eine Art Hängematte von Ast zu Ast, dort baumelt ein Stein an einer Schnur. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Und jetzt durchatmen. eb

6) Eine ganze runde Ausstellung hat Kuratorin Katharina Gregos im belgischen Pavillon rund um den Künstler Vincent Meessen zusammengestellt. Es geht um die Kolonialgeschichte Belgiens, um Malariamücken, die die schwarzen Viertel einer Stadt bevölkern und die weißen Viertel nicht.  Meessens eigener Film ist eine rhythmisch pulsierende Begehung eines wunderschönen Gebäudes in Kinshasa, der Club Un Deux Trois, den einige Musikerinnen vorsichtig mit ihren Instrumenten durchwandern. Sie spielen den Song eines vergessenen kongolesischen Situationisten – und die tollen Bassläufe durchzittern die Bilder und einen selbst. eb

7) Der polnische Pavillon wird zum Superbreitwand-Kino. Der Film: „Halka/Haiti 18°48’05”N 72°23’01”W“ von C.T. Jasper und Joanna Malinowska. Die Künstler ließen eine Aufführung von „Halka“ (gilt als polnische Nationaloper) an einer Dorfstraße in Haiti performen. Nanu? Trachtentanz im Straßenstaub, Hundegebell, Motorradlärm, die Sopranistin schmettert ihre Klagearie neben einer angebundenen Ziege. Frenetischer Applaus. Kein absurdes Theater: Im Dorf Cazale auf Haiti leben die Nachfahren polnischer Soldaten, 1802 abkommandiert, um einen Sklavenaufstand niederzuschlagen; bald verbrüderten sich die Männer mit der lokalen Bevölkerung gegen die Kolonialherrn. Solidarität, utopisch, kaum zu glauben. Passt das nicht perfekt zum „unmöglichen Kunstwerk“ Oper? jh
 

8) Was für ein Kraft-Werk: Von Lavar Munroe, 1982 in ärmlichen Verhältnissen auf den Bahamas geboren, sind drei Bilder im Arsenale zu sehen. Statt auf ordentlich-rechteckige Formate malt Munroe auf unregelmäßig vernähten Stoffteilen, arbeitet Papier, Knöpfe, Tennisbälle, Isolierband, Stoffransen hinein. Ein erlebter Alltag von Bandenkriegen, Drogenexzessen und Knast vermengt sich mit mythischen Storys. Das ist einerseits unglaublich liebevoll und detailliert gemacht, wirkt andererseits, als ob da einer um sein Leben malt und sprayt und spachtelt. jh

9) Ein Meerrauschen, Hunde streunen über den Friedhof, der Wind geht durchs Gras und ein Grab wird vorbereitet: das Grab von Ashes. Ashes war ein junger Fischer von der Antillen-Insel Grenada, den der britische Videokünstler und Regisseur Steve McQueen 2002 bei einem Dreh zu einem anderen Film kennen lernte. Der junge Mann wurde nach einem Drogenfund ermordet. In den Arsenale zeigt der OscarpreisträgerMcQueen  ("Twelve Years a Slave") in einer Zweikanal-Projektion einen bewegenden Nachruf, der von nicht weniger erzählt als vom Leben und Sterben selbst. dv

10) Die zerbrechliche Schönheit der Stadt spiegelt sich in einer Gruppenschau, die der in Berlin und Mexiko-Stadt lebende Künstler Danh Vo gemeinsam mit Caroline Bourgeois auf der Punta della Dogana kuratiert hat. "Slip of the Tongue" im Privatmuseum des französischen Unternehmers François Pinault präsentiert über 40 Künstler, darunter viele Freunde Vos. Die meisten Exponate stammen aus Pinaults Sammlung. Was sofort auffällt: das gekonnte Spiel mit Oberflächen und Materialien. Die Ausstellung handle auch von der Zerbrechlichkeit von Kunstwerken, heißt es in der Ankündigung, von Beschädigung, Verfall, Restauration und Konservierung. Aber hier erzählen die Arbeiten – auffällig viele stammen von früh verstorbenen Künstlern – gleichzeitig vom Vergehen des Lebens, von den Spuren, die Künstler in der Welt hinterlassen. Auch Werke alter Meister sind in die Schau integriert, Leihgaben der venezianischen Giorgio-Cini-Stiftung und des örtlichen Museums Gallerie dell’Accademia. Giovanni Bellinis Fragment einer Version seines Gemäldes "Trasfigurazione di Cristo", ein kleiner Fetzen Leinwand, enthält nur seine Signatur. Ich war hier, ich habe gelebt ... dv