Kunstfestival in Berlin

Wohin zur Art Week?

Endre Tó „Berlin TÓTalJOYS, Westberlin“, 1979
Foto: Herta Paraschi

Endre Tót "Berlin TÓTalJOYS, Westberlin“, 1979

Eine Stadt wird Museum: Zur Berlin Art Week zeigen Institutionen und Galerien, was sie können. Ein Überblick von Edvard Munch bis Emma Talbot


Emma Talbot im Kindl

Furien und Sirenen, Hexen und Geister sind die Protagonistinnen von Emma Talbots überbordenden Bildern und Installationen. In ihren ekstatischen Malereien auf Seide und anderen Stoffen und ihren ebenfalls aus Textil entstehenden Figuren und Skulpturengruppen entwickelt sie eine feministische Ästhetik zwischen Hippietum und Utopie. Zur Berlin Art Week wird die 1969 geborene Britin das 20 Meter hohe Kesselhaus des Kindl bespielen – mit Geschichten von Toxizität und Heilung.

Emma Talbot, Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst, 17. September bis 26. Mai 2024

Emma Talbot, "Contemporary Storms", 2023, KINDL Berlin
Foto: Courtesy Emma Talbot

Emma Talbot, "Contemporary Storms", 2023, KINDL Berlin


Wie Berlin international wurde

Seit 1963 kamen auf Einladung des Berliner Künstlerprogramms (BKP) des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) über 1000 Kunstschaffende aller Sparten nach Berlin. Zum 60-jährigen Jubiläum nimmt ein Kooperationsprojekt die Geschichte des weltweit renommierten Stipendienprogramms und die künstlerischen Szenen in West-Berlin vor dem Mauerfall in den Blick.

Zentrale Themen sind die politische Ausrichtung des von der US-amerikanischen Ford Foundation zur Zeit des Kalten Kriegs gegründeten Programms, die Verbindung des BKP und seiner Fellows nach Ost-Berlin und Osteuropa, das Zusammenspiel mit künstlerischen Bewegungen in der Stadt und Erinnerungen der Stipendiaten an ihr Leben im Inseldasein West-Berlins. Und in der Galerie im Körnerpark spürt die erste deutsche Einzelausstellung von Agnes Denes seit 1978 den ursprünglichen Ideen der Künstlerin nach, die sie für ein nie zustande gekommenes BKP-Stipendium entwickelt hatte.

Agnes Denes: "Early Works“, Galerie im Körnerpark, 8. September bis 14. Januar 2024; "If The Berlin Wind Blows My Flag“, Neuer Berliner Kunstverein und BKP/ daadgalerie, 13. September bis 14. Januar 2024; Akademie der Künste, 26. Oktober, 1. November


Saisonstart in den Galerien

Nicht nur die hauptstädtischen Institutionen, auch die Galerien starten mit zeitgleichen Eröffnungen und besonderen Formaten in den Kunstherbst. So feiert zur Berlin Art Week ein "Festival der Galerien“ Premiere, das von Sandra Teitge kuratiert und vom Team des Gallery Weekend Berlin geleitet wird und ein gebündeltes Veranstaltungsprogramm mit Lesungen, Performances, Konzerten und DJ-Sets umfasst.

Bereits zum vierten Mal laden in den imposanten Wilhelm Hallen in Reinickendorf rund 20 Galerien zur Gruppenausstellung "Hallen #4“. Und nicht zuletzt locken die Galerien in ihren eigenen Räumen mit einem hochkarätigen Programm, das von etablierten Positionen wie Monika Baer (Galerie Barbara Weiss) und Paul McCarthy (Max Hetzler) bis zu jüngeren Stars wie Anicka Yi (Esther Schipper) und Raphaela Vogel (BQ) reicht.

"Gallery Weekend Festival", Galerien Berlin, 16. bis 17. September

Hallen #4 - Kunstfestival 2023, Wilhelm Hallen, Berlin, bis 17. September

Agnes Scherer "Große Psychostasie mit Banderolen (linke Seite)“, 2021
Foto: Andrea Rossetti, Courtesy Agnes Scherer und ChertLüdde

Agnes Scherer "Große Psychostasie mit Banderolen (linke Seite)“, 2021


Zeitzeugen im Brücke Museum und im Schinkel Pavillon

Die Frage, wie Kriegszeiten die Kunst prägen, ist ungebrochen aktuell. So schlägt dieses Gemeinschaftsprojekt zwischen Brücke-Museum und Schinkel Pavillon den Bogen von den 1930er-Jahren und Werken von Johanna Schütz-Wolff, Maria Luiko oder Felix Nussbaum zu zeitgenössischen Kunstschaffenden wie Simone Fattal, Lawrence Abu Hamdan oder Dana Kavelina.

Ausgangspunkt der Kooperation ist die Geschichte beider Institutionen. Der Schinkel Pavillon befindet sich im Garten des ehemaligen Kronprinzenpalais, das im frühen 20. Jahrhundert die "Neue Abteilung“ der Nationalgalerie beherbergte – bis die Nationalsozialisten dort Hunderte Kunstwerke als "entartet“ beschlagnahmten. Einige der diffamierten Werke gelangten über Umwege in die Sammlung des 30 Jahre später gegründeten Brücke-Museums.

Die von Katya Inozemtseva kuratierte, nach einem Film von Alexander Kluge benannte Gruppenausstellung "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ beleuchtet die Idee der künstlerischen Zeugenschaft und fragt, welche Merkmale der Kunst aus Kriegszeiten immanent sind.

"Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit"“, Brücke Museum und Schinkel Pavillon, 13. September bis 7. Januar 2024


Performancevideos in der Stoschek Foundation

Performance und Video sind ein interessantes Paar, das sich früh gefunden hat. Schon seit den 1960er-Jahren wurde Film eingesetzt, um die frühen Performances zu dokumentieren, und bis heute ist Video das Mittel der Wahl, um der flüchtigen Live-Aktion Dauer und Sichtbarkeit zu verschaffen.

Die Ausstellung "Unbound. Performance as Rupture“, die zur Berlin Art Week in der Julia Stoschek Foundation eröffnet, geht dieser Beziehung auf den Grund und kombiniert Klassiker der Performancevideos von Joan Jonas, Senga Nengudi, Katharina Sieverding und anderen mit jüngeren Arbeiten, unter anderem von Sondra Perry, Akeem Smith und P. Staff.

"Unbound. Performance as Rupture “, Julia Stoschek Foundation Berlin, 14. September bis 28. Juli 2024

Sondra Perry, "Double Quadruple Etcetera Etcetera I & II“, 2013, Videostill
Foto: Courtesy Sondra Perry und Bridget Donahue

Sondra Perry, "Double Quadruple Etcetera Etcetera I & II“, 2013, Videostill

 

 


Edvard Munch in der Berlinischen Galerie

Berlin im November 1892: Die Ausstellung des kaum bekannten Malers Edvard Munch wird nach wenigen Tagen wieder geschlossen, weil die Bilder als zu radikal, zu farbgewaltig empfunden werden. Der norwegische Symbolist und Wegbereiter der Moderne zeigt sich amüsiert. Munch zieht sogar nach Berlin, wo er dann doch gefördert wird und ideale Ausstellungs- und Arbeitsbedingungen vorfindet.

Seine Berliner Jahre bis 1933 stehen im Fokus der Ausstellung "Edvard Munch. Zauber des Nordens“ in der Berlinischen Galerie. Rund 80 Werke von Munch werden gezeigt, neben Gemälden auch Druckgrafiken und Fotografien.

"Edvard Munch. Zauber des Nordens“, Berlinische Galerie, 15. September bis 22. Januar 2024


Mary Ellen Mark im C/O Berlin

"There is nothing more extraordinary than reality“, sagte Mary Ellen Mark einmal, und so richtete sie ihre Kamera genau dorthin: auf den Alltag von Menschen am Rande der Gesellschaft, auf die "unknowns“, wie sie sie nannte. Sie fotografierte Heroinabhängige in London, die Insassinnen eines Frauenkrankenhauses, die Sexarbeiterinnen von Bombay, die Kranken und Sterbenden in Mutter Teresas Hospizen in Indien und die Artisten in Zirkussen.

Und immer wieder fotografierte sie Kinder, die in ihren Bildern so gar nicht kindlich wirken, sondern wie Charaktere voller Erfahrungen, Hoffnungen und Potenziale. Die Porträts und Reportagearbeiten der US-Amerikanerin (1940–2015), die die Foto-Institution C/O Berlin in einer ersten großen Retrospektive versammelt, sind so aufschlussreich wie einfühlsam, formal vollendet und vor allem: zutiefst humanistisch.

"Mary Ellen Mark. Retrospektive", C/O Berlin, 16. September bis 18. Januar 2024


BAW Garten und Performance-Programm an der Neuen Nationalgalerie

Die Berliner Museen entdecken mehr und mehr ihre Qualitäten als Outdoor-Aufenthaltsort, und die Neue Nationalgalerie mit ihrer großen erhabenen Freifläche unter dem Flachdach und davor ist da ganz vorn dabei. Hier lädt der BAW Garten – Treffpunkt der Berlin Art Week – während der gesamten Festivalwoche die Besucherinnen und Besucher umsonst und draußen dazu ein, das Programm der Berlin Art Week zu entdecken. Vom 13. bis 17. September können Kunstbegeisterte und -neugierige hier zusammenkommen: Von spannenden Performances über Workshops zum Mitmachen bis hin zu Drinks zum Feierabend oder einer Stärkung zwischendurch – das täglich wechselnde Programm bietet für alle etwas.

Im vorderen Bereich des lichtdruchfluteten Ausstellungsraums wird es jeden Tag die Aufführung eines Performance-Klassikers geben: Das "Cut Piece" von Yoko Ono ist ein interaktives Kunstwerk, das schon 60 Jahre alt ist und absolut nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat  1964 hatte Yoko Ono selbst dem Publikum den Auftrag gegeben, ihr mit der Schere nach und nach ihre Kleidung vom Leib zu schneiden. Ab einem bestimmten Punkt – an dem sie schon "zu sehr Yoko Ono", also eine Berühmtheit war, wie Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach erzählt – übernahmen andere Künstlerinnen und Künstler. In Berlin werden es wechselnde Performer sein, Abend für Abend um 17 Uhr, und danach ist allerbeste Sundowner-Zeit mit DJs. Denn auch Sonnenuntergänge inszeniert die Neue Nationalgalerie hervorragend.

Im BAW Garten findet man zudem Informationen zum Tourenangebot durch die verschiedenen Berliner Kieze sowie alles rund um das Gesamtprogramm der Berlin Art Week, um von hier aus in die ganze Stadt auszuschwärmen. Oder einfach dablieben zum abendlichen Open-Air-Kinoprogramm, kuratiert von den Kunstfilm-Experten von „Videoart at Midnight“.

Am Abend des 14. September tritt der New Yorker Elektro-Musiker Casey Spooner auf, die riesige Rose von Isa Genzken soll eine Rolle spielen bei "With Love from Death Beach".

BAW Garten an der Neuen Nationalgalerie, 13. bis 17. September

Außenansicht Neue Nationalgalerie, Berlin
© Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Außenansicht Neue Nationalgalerie, Berlin


Klima-Talk an der Neuen Nationalgalerie

Der Neubau des Berliner Museums der Moderne wurde umgeplant, das Kulturforum soll ein Wald werden, und nicht nur in Berlin verbünden sich Institutionen und Kulturschaffende zu Klima-Koalitionen. Kommt nun die ökologische Transformation des Kulturbetriebs, und wie genau sieht sie aus? Wie muss die Politik helfen, und welche Rolle kann die Kultur bei der größten gesellschaftlichen Aufgabe der Gegenwart spielen?

Das wird Monopol bei einem Talk in Kooperation mit der E.ON Stiftung und mit Claudia Roth (Kulturstaatsministerin), Klaus Biesenbach (Direktor Neue Nationalgalerie), Tino Sehgal (Künstler) und Dr. Stephan Mutschick (Geschäftsführer E.ON Stiftung) diskutieren. Das Gespräch unter dem Motto "Die neuen Klima-Allianzen – Kultureinrichtungen als Motor der Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft“ moderiert Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr.

"Die neuen Klima-Allianzen – Kultureinrichtungen als Motor der Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft“, 14. September, 15.30 Uhr, BAW Garten

Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr
Foto: Kristin Loschert

Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr