Lawrence Weiner „Dirty Eyes“

Wie viel ist zuviel?

Die ersten paar Sekunden denkt man noch, da kommt jetzt ein richtiger Kinofilm. Drei junge Menschen fahren durch die Straßen New Yorks. Und dann fangen sie an, über Tageszeiten zu philosophieren: „In the middle of the middle of the middle of the morning“ etwa könne der Mann besonders gut arbeiten. Wohingegen „in the middle of the middle of the middle of the night“ das Licht so schön sei, findet die Frau. Und schon steckt man in der Mitte von der Mitte von der Mitte – ja, von was eigentlich? „Dirty Eyes“ des amerikanischen Künstler Lawrence Weiner will sich da nicht so genau festlegen. Am Freitag feierte der Film des Altmeisters der Konzeptkunst auf der Berlinale Weltpremiere.

In verschiedenen Episoden trifft sich eine Horde knackiger Modeltypen in hippen Klamotten. Sie langweilt sich an Pools, auf Dachterrassen, in Büros und Museen. Sie wirft sich Posen, Blicke und vor allem Sätze zu. Letztere kennt man aus Lawrence Weiners Werk. Normalerweise schreibt er sie in großen Lettern auf Wände. Weil Weiner der Auffassung ist, dass bereits die Idee die Kunst ausmacht, der Künstler sie also nicht ausführen muss.

Im Film werden diese Formeln, wenn sie nicht als Schriftzüge über das Bild laufen, nun ausgesprochen – und verkommen so zu Floskeln. Vor allem, wenn sie ständig wiederholt werden. Völlig unvermittelt kommt da eine Frau die marmorne Treppe herunterstolziert, ein Grüppchen schaut sie fragend an. Und sie konstatiert trocken: „One for the money, two for the show? Quid pro quo.“ Schnitt. Wieder stehen diese Leute zusammen im Kreis, neues Setting, neue Garderobe. „How much ist much? How much is too much?“, fragen sie sich. Eine Antwort gibt es nicht. Dafür neutrale Gesichter. An ihnen rutscht der Zuschauer ab.

Gleichzeitig macht sich der 1942 in New York geborene Künstler einen Spaß daraus, dem Publikum kinematografisch brillante Bilder zu kredenzen: ruhig und grafisch, in schönen Farben und schönem Licht. Die Kamera klebt an den sexy Rundungen der Frauen, wandert Beine und Brüste ab. Da wackeln die Hüften, da blitzt ein Slip unter dem Rock hervor. Ein ganz reizendes Ablenkungsmanöver – und eine Lesart für den Filmtitel „Dirty Eyes".

Jedoch kann er kann auch ganz anders verstanden werden. Weiner entschied sich bei diesem Film gegen ein Script, die meisten Szenen wurden spontan vor Ort entwickelt. Das Wetter, plötzlich einsetzender Regen, bestimmte die Dauer der Dreharbeiten. Noch in der Postproduktion soll der Künstler die komplette Arbeit umgeschmissen haben. So stemmt er sich in „Dirty Eyes“ 49 Minuten lang gegen das Medium Kino, gegen die Illusion. Weiner streut Sand in die Augen des Zuschauers.

Man stelle sich vor, der Film liefe nicht in einem Kino, an jenem magischen Ort des Geschichtenerzählens, sondern in einer Galerie. Er würde wahrscheinlich nicht funktionieren.

Weiterer Termin Berlinale: 19.02. um 20.30 Uhr im Kino Arsenal