Ihr neuester Roman, „Shanghai Performance“, spielt in der globalen Kunstwelt. Eine deutsche Performancekünstlerin macht sich auf den Weg nach Shanghai. Warum treiben sich gerade so viele Romane im Kunstmilieu herum?
Das Kunstmilieu ist voller verwegener Charaktere. Denken Sie nur an den jüngsten Schwindel um den erfundenen Sammler Jägers. Was für eine Geschichte! Wie in kaum einem anderen Milieu ist hier alles gleichzeitig vollgepumpt mit Geld wie auch mit schwer existenziellen Inhalten. F. Scott Fitzgeralds großer Gatsby würde heute in Kunst machen.
Ihr erster Roman, „Die Stunde zwischen Hund und Wolf“, handelt von der Malerin Ines. Nun erzählen Sie in „Shanghai Performance“ von der Performancekünstlerin Margot. Was interessiert Sie genau?
Der Ausgangspunkt für „Die Stunde zwischen Hund und Wolf“ war eine Ausstellung von Francis Bacon. Bei „Shanghai Performance“ war es eine Reise. Zum ersten Mal war ich 2005 mit einem Übersetzerprojekt in China, und ich fand beeindruckend, was für eine unglaubliche Gründerzeitstimmung in Shanghai herrscht. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, das ist wie das New York der 20er. Der Umgang der ganzen Welt mit chinesischer Kunst, die ja seit Ende des vergangenen Jahrtausends diesen Boom erlebt hat, das war für mich ein Spiegelbild dessen. 2008 war ich dann genau für diese Recherche da und habe mich gezielt in Galerien und Ateliers umgeschaut, mit Buchplänen im Kopf.
Man kann das Buch als Roman über die Kunstszene, aber auch als Entwicklungsroman einer jungen Frau lesen. Was ist es für Sie?
Beides, denke ich. Die Erzählerin im Buch, Luisa, hat die Performancekünstlerin Margot Wincraft immer bewundert und eine Doktorarbeit über sie geschrieben. Jetzt zerbricht das Bild, weil andere Erfahrungen und Werte ins Spiel kommen. Sie hat Margots Energie geliebt, sich damit identifiziert, zu ihrem Erfolg beigetragen, aber nun, nach den Erlebnissen in Shanghai, ist es vielleicht an der Zeit, dass sie aus dieser Rolle der ewigen Assistentin heraustritt. Das ist das eine. Zum anderen versuchte ich wirklich, eine Art Lagebericht zu schreiben darüber, wie man die Shanghaier Kunstszene aus der Perspektive einer reisenden Künstlerin wahrnehmen könnte. Also ist es vielleicht ein Reiseroman.
Was die Kunst angeht, ist China eigentlich vorbei, das sagt auch die Erzählerin Ihres Buches. Warum haben Sie sich denn gerade im Moment des Abschwungs China zugewendet?
Ja, das sagt in dem Roman eine Figur. Obwohl es doch schade wäre. Vor zehn Jahren kannte noch kaum jemand chinesische Kunst – und jetzt soll es schon wieder vorbei sein? Mich haben viele Arbeiten in China sehr beeindruckt, Yang Zhichao etwa, der sehr körperbezogen arbeitet und sich Implantate und einmal sogar Gras einpflanzen ließ.
Ihre Protagonistin Margot, die Performancekünstlerin, heißt mit Nachnamen Wincraft, ihre Kunst ist mehr oder weniger identisch mit der von Vanessa Beecroft: Modelle stehen stundenlang in exakt choreografierter Regungslosigkeit herum. War das Absicht, dass man gleich ein konkretes Bild vor Augen hat?
Naja, an irgendjemanden erinnert es vermutlich immer. Beecroft steht für mich für diesen Drahtseiltanz zwischen dem kommerziellen Erfolg ihrer Kunst auf der einen Seite und einer künstlerisch-kritischen Haltung auf der anderen. Das ist das vielsagende Dilemma, das auch für Margot Wincraft große Bedeutung hat.
Warum haben Sie sich ausgerechnet für eine Performancekünstlerin entschieden?
Es war im Sinne der Handlung, worin es auch um die Frage geht, inwieweit ein Künstler Moral besitzt oder besitzen sollte. Da ist die deutsche Performancekünstlerin, die auf der Suche nach ihrer Tochter ist, einer Halbasiatin. Sie geht, leicht größenwahnsinnig wie sie ist, davon aus, dass sie bei ihrer Performance mitmachen will, um sie kennenzulernen.
Die Sprache der Kunst ist unschön. Es gibt Wortungetüme und Automatismen. Als Lyrikerin wiegen Sie doch normalerweise jedes Wort. Warum haben Sie sich ausgerechnet mit einer Szene beschäftigt, die so respektlos mit Sprache umgeht?
Die Sprache fast aller spezifischen Milieus ist merkwürdig. In der bildenden Kunst hat die Beschreibung, die Interpretation, eine besondere Macht. Wo sonst kann mittels ein paar kluger Drehungen und Wendungen buchstäblich ein Fäkalienhaufen zur Edelmaterie erklärt werden? Übrigens gibt es auch in der Lyrik erstaunlich viel Sprachmüll – so viel Mist, und manches haut einen dann wieder um.
Wonach suchen Sie selbst in der Kunst? Nach diesem Moment des Umgehauen-Werdens?
Ja, erstens. Und dann nach einem Moment der Identifikation und Welterklärung. Im Übrigen schätze ich, als einsam daheim hockender Schreiberling, den Gang ins Museum sehr – und den Trubel bei Vernissagen.
Silke Scheuermann: „Shanghai Performance“. Schöffling & Co., 312 Seiten, 19,95 Euro
Das Kunstmilieu ist voller verwegener Charaktere. Denken Sie nur an den jüngsten Schwindel um den erfundenen Sammler Jägers. Was für eine Geschichte! Wie in kaum einem anderen Milieu ist hier alles gleichzeitig vollgepumpt mit Geld wie auch mit schwer existenziellen Inhalten. F. Scott Fitzgeralds großer Gatsby würde heute in Kunst machen.
Ihr erster Roman, „Die Stunde zwischen Hund und Wolf“, handelt von der Malerin Ines. Nun erzählen Sie in „Shanghai Performance“ von der Performancekünstlerin Margot. Was interessiert Sie genau?
Der Ausgangspunkt für „Die Stunde zwischen Hund und Wolf“ war eine Ausstellung von Francis Bacon. Bei „Shanghai Performance“ war es eine Reise. Zum ersten Mal war ich 2005 mit einem Übersetzerprojekt in China, und ich fand beeindruckend, was für eine unglaubliche Gründerzeitstimmung in Shanghai herrscht. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, das ist wie das New York der 20er. Der Umgang der ganzen Welt mit chinesischer Kunst, die ja seit Ende des vergangenen Jahrtausends diesen Boom erlebt hat, das war für mich ein Spiegelbild dessen. 2008 war ich dann genau für diese Recherche da und habe mich gezielt in Galerien und Ateliers umgeschaut, mit Buchplänen im Kopf.
Man kann das Buch als Roman über die Kunstszene, aber auch als Entwicklungsroman einer jungen Frau lesen. Was ist es für Sie?
Beides, denke ich. Die Erzählerin im Buch, Luisa, hat die Performancekünstlerin Margot Wincraft immer bewundert und eine Doktorarbeit über sie geschrieben. Jetzt zerbricht das Bild, weil andere Erfahrungen und Werte ins Spiel kommen. Sie hat Margots Energie geliebt, sich damit identifiziert, zu ihrem Erfolg beigetragen, aber nun, nach den Erlebnissen in Shanghai, ist es vielleicht an der Zeit, dass sie aus dieser Rolle der ewigen Assistentin heraustritt. Das ist das eine. Zum anderen versuchte ich wirklich, eine Art Lagebericht zu schreiben darüber, wie man die Shanghaier Kunstszene aus der Perspektive einer reisenden Künstlerin wahrnehmen könnte. Also ist es vielleicht ein Reiseroman.
Was die Kunst angeht, ist China eigentlich vorbei, das sagt auch die Erzählerin Ihres Buches. Warum haben Sie sich denn gerade im Moment des Abschwungs China zugewendet?
Ja, das sagt in dem Roman eine Figur. Obwohl es doch schade wäre. Vor zehn Jahren kannte noch kaum jemand chinesische Kunst – und jetzt soll es schon wieder vorbei sein? Mich haben viele Arbeiten in China sehr beeindruckt, Yang Zhichao etwa, der sehr körperbezogen arbeitet und sich Implantate und einmal sogar Gras einpflanzen ließ.
Ihre Protagonistin Margot, die Performancekünstlerin, heißt mit Nachnamen Wincraft, ihre Kunst ist mehr oder weniger identisch mit der von Vanessa Beecroft: Modelle stehen stundenlang in exakt choreografierter Regungslosigkeit herum. War das Absicht, dass man gleich ein konkretes Bild vor Augen hat?
Naja, an irgendjemanden erinnert es vermutlich immer. Beecroft steht für mich für diesen Drahtseiltanz zwischen dem kommerziellen Erfolg ihrer Kunst auf der einen Seite und einer künstlerisch-kritischen Haltung auf der anderen. Das ist das vielsagende Dilemma, das auch für Margot Wincraft große Bedeutung hat.
Warum haben Sie sich ausgerechnet für eine Performancekünstlerin entschieden?
Es war im Sinne der Handlung, worin es auch um die Frage geht, inwieweit ein Künstler Moral besitzt oder besitzen sollte. Da ist die deutsche Performancekünstlerin, die auf der Suche nach ihrer Tochter ist, einer Halbasiatin. Sie geht, leicht größenwahnsinnig wie sie ist, davon aus, dass sie bei ihrer Performance mitmachen will, um sie kennenzulernen.
Die Sprache der Kunst ist unschön. Es gibt Wortungetüme und Automatismen. Als Lyrikerin wiegen Sie doch normalerweise jedes Wort. Warum haben Sie sich ausgerechnet mit einer Szene beschäftigt, die so respektlos mit Sprache umgeht?
Die Sprache fast aller spezifischen Milieus ist merkwürdig. In der bildenden Kunst hat die Beschreibung, die Interpretation, eine besondere Macht. Wo sonst kann mittels ein paar kluger Drehungen und Wendungen buchstäblich ein Fäkalienhaufen zur Edelmaterie erklärt werden? Übrigens gibt es auch in der Lyrik erstaunlich viel Sprachmüll – so viel Mist, und manches haut einen dann wieder um.
Wonach suchen Sie selbst in der Kunst? Nach diesem Moment des Umgehauen-Werdens?
Ja, erstens. Und dann nach einem Moment der Identifikation und Welterklärung. Im Übrigen schätze ich, als einsam daheim hockender Schreiberling, den Gang ins Museum sehr – und den Trubel bei Vernissagen.
Silke Scheuermann: „Shanghai Performance“. Schöffling & Co., 312 Seiten, 19,95 Euro