Herr Neumann, wohin sind nach den letzten Vorstellungen all Ihre legendären Bühnenbauten verschwunden?
Die Räume, die ich baue, haben immer eine bestimmte Lebensdauer und werden danach recycelt oder entsorgt. Das hat etwas Befreiendes und ist die Konsequenz aus dem temporären Charakter meiner Arbeiten. Natürlich gibt es manchmal auch ein Bedauern darüber, dass man die Dinge nicht festhalten kann. Andererseits ist es entlastend, dass die Arbeiten verschwinden und man wieder etwas Neues machen muss. Wenn ich mir ein Museum als Endlager von Kunst anschaue, bin ich ganz froh, dass ich dort nicht landen werde.
Aber was, wenn eine Institution eine Ausstellung anfragt, wie jetzt das Wiener Augarten Contemporary?
Wir haben etwas Neues produziert: eine Überarbeitung des konkreten Raums. Das Augarten Contemporary war einmal das Atelier von Gustinus Ambrosi, eines Monumentalbildhauers, der für die klassische Kunstauffassung des 19. Jahrhunderts steht, und das hat sich in den architektonischen Grundriss der Baukörper eingeschrieben, mit festen Orten für die Produktion, den Transport und das Museum als Endlager. Dagegen habe ich meine temporäre Architektur gesetzt.
Ihnen ist am Austausch zwischen bildender Kunst und Theater gelegen. Sie holten etwa den Künstler Jonathan Meese an die Volksbühne in Berlin. Was haben Sie sich davon versprochen?
Mir hat gefallen, was er gemacht hat. Ich fand seine Arbeit theatralisch und auch in ihrer Anarchie kompatibel. Jede Probe ist eine Begegnung von Positionen – so verstehe ich Theater jedenfalls. Verschiedene Künstler arbeiten zusammen, ohne dass es ein Konzept gibt, dem alle folgen müssen. Konzept bedeutet Gehorsam und erzeugt Eindimensionalität. Und Zufall, den ich für meine Arbeit ganz wichtig finde, wäre ausgeschlossen.
In den vergangenen Jahren haben sich immer wieder Künstler als Bühnenbildner betätigt, Größen wie Olafur Eliasson, Daniel Richter, Hermann Nitsch. Was halten Sie davon?
Den Grundgedanken finde ich richtig. Doch hat man häufig den Eindruck, dass Leute, die nicht kontinuierlich beim Theater arbeiten, konventionellere Vorstellungen davon haben als nötig. Ich habe auch Meese ermutigt, nicht diejenigen Stimmen ernst zu nehmen, die meinen, das muss jetzt so oder so sein. Er sollte stattdessen einen eigenen Ansatz finden, der mit ihm zu tun hat, und freier über Theater nachdenken als: Da gibt es ein Portal und dahinter eine Bühne.
Es scheint, dass das Theater offener gegenüber der Kunstwelt ist als umgekehrt. Da beschwert sich etwa kürzlich der Maler Gerhard Richter, dass der Regisseur Christoph Schlingensief den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale bespielen soll. Woher kommt dieses Abgrenzungsdenken?
Vielleicht hat es damit zu tun, dass Theatermacher in der Traditionslinie des fahrenden Volkes stehen, das nie ganz dazugehört hat und immer ein bisschen als halbseiden galt. Für mich – und ich verstehe mich als bildender Künstler – bietet das Theater vor allem gute Arbeitsmöglichkeiten: relativ hohe Budgets, hoch qualifizierte Handwerker und Partner, also Regisseure und Schauspieler, die mit meinen Vorschlägen etwas anfangen können. Ich bin froh, dass ich unabhängig von den Gesetzen des Kunstmarkts arbeiten kann. Und solange ein Land wie Deutschland sich den Luxus des subventionierten Theaters leistet, sollte man dort auch Kunst machen, die den Rahmen sprengt.
Ihre Arbeit geht weit über das Bühnenbildnerische hinaus: Mit Ihrem Grafikbüro LSD haben Sie das Erscheinungsbild der Volksbühne geprägt, mit der Gestaltung des Logos, der Plakate und Flyer, mit Interventionen am Gebäude selbst. Was macht einen guten visuellen Auftritt aus?
Ich finde es langweilig, wenn sich alles so eindeutig erschließt. Wir haben Werbung nicht als Dienstleistung gesehen, sondern als Transportmittel von Kunst in den Stadtraum. Letztlich ist dadurch auch die Zusammenarbeit mit der Volksbühne an ein Ende gekommen. Institutionen haben immer die Tendenz zur Risikovermeidung, zur Routine. Im Falle von Kunstinstitutionen bedeutet das einen permanenten Widerspruch zwischen diesem Bedürfnis und der Tatsache, dass diese Einrichtungen doch Kunstproduktion, also den permanenten Ausnahmezustand, ermöglichen sollen.
Apropos Routine: Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man permanent kopiert wird? Heute sehen so viele Bühnenbilder so kulissen- und rummelplatzhaft aus ...
Vielleicht sind das manchmal zufällige Übereinstimmungen in den Sichtweisen und benutzten Mitteln. Und gegen Kopien habe ich nichts, wenn es nicht nur die Oberfläche betrifft, sondern auch die dahinterstehenden Inhalte, die Haltung.
Bert Neumann: „Setting of a Drama“, Augarten Contemporary, Wien, bis 29. August 2010