Cy Twomblys Fotografie in Siegen

Vollgesogen mit südlicher Sonne

An der Konzeption der Siegener Retrospektive seines fotografischen Werks hat der Anfang Juli verstorbene US-amerikanische Maler, Zeichner und Bildhauer Cy Twombly noch mitgearbeitet. Viele der um die 100 kleinformatigen Arbeiten – sie messen nur 43 mal 28 Zentimeter – wurden kürzlich bereits im Museum Brandhorst in München gezeigt; das Museum für Gegenswartskunst in Siegen hat die Ausstellung noch einmal erweitert.

Obwohl die ersten Lichtbilder bereits 1951 am Black Mountain College entstanden sind, wo Twombly mit Andy Warhol, Jasper Johns und Robert Rauschenberg studiert hatte, traute der Maler sich mit seinen mediterran leuchtenden Polaroids erst vor knapp zwanzig Jahren in die Öffentlichkeit. Die Erforschung von dionysischen Lichteffekten scheint im Vordergrund seines Interesses gestanden zu haben. Menschen sucht man vergebens. Die Ausnahme macht ein selbstironisches Porträt, auf dem sich der 16-Jährige vor einer Staffelei in der Pose eines Impressionisten inszeniert.

Stilmittel Unschärfe
Geprägt von Mythen geben sich auch die fotografischen Anfänge. Die Tempelanlagen von Agrigent grüßen noch klotzig und bedeutungsschwer aus dem Urgrund der Kunstgeschichte zurück. Dann kommt schnell die Unschärfe ins Spiel. Wie ein filigraner Tagtraum geraten die Stillleben von Gräsern, Tulpen, Kohlköpfen und Zitronen, sinnlich überbelichtet von der Sonne Italiens, die wie hinter Milchglas die Luft zum Vibrieren bringt. Fast glaubt man, diese Dinge des täglichen Bedarfs wären direkt aus dem Sessel mit bewusst zittriger Geste aufgenommen worden, so überhitzt und träge ist die Stimmung.

Die Motivwahl gerät indes überraschend eindeutig. Unmöglich, in der klaren, wenn auch verwackelten Wiedergabe der Umgebung eine Spur der Abstraktion zu finden. Den Wechsel zwischen austrocknenden Landschaften und dem skulpturalen Durcheinander des Ateliers unterbrechen Arrangements von banalen Details in Großaufnahme: Kelche von Engelstrompeten, Gläser vom Flohmarkt oder Pantoffeln in einer Ecke.

Patina durch altertümliche Verfahren
Aufgenommen aus unmittelbarer Nähe zerfließen ihre Konturen ins Unbestimmte eines drohenden Zerfalls, lösen sich im Fluss der Zeit auf, angetrieben von einer grobkörnigen Patina, die Twombly mit Hilfe eines altertümlichen Verfahrens erreichte. Er druckte die Farbpigmente auf faserreiches Büttenpapier als „Dry Print“. Die Unikate wurden vergrößert und in limitierter Auflage hergestellt. 2009 ging er dazu über, eigene Gemälde zu fotografieren, darunter den Rosen-Zyklus, den er so lange sezierte, bis das Innere der Blüte vor dem Betrachter wie ein Herzmuskel zu pulsieren schien.

Obwohl latent melancholisch, schwebt eine lebensbejahende Aura über den in sich versunkenen Abzügen. Ein Gegenstück zu der kriegerisch wuchernden Zeichenmalerei, ein Refugium des Lichts.


Museum für Gegenwartskunst, Siegen, bis 30. Oktober