Anika Meier über das Fotografieverbot im Rijksmuseum

Krieg dem Selfie-Stick

Fotografierende Besucher werden von den Museen nicht so gern gesehen. Wie steht es mit zeichnenden Kunstbetrachtern? Das Amsterdamer Rijksmuseum macht einen Versuch

Der fotografierende Besucher war im Museum noch nie wirklich gern gesehen. Denn das Fotografieren macht Probleme. Dem Museum wegen der Urheberrechte. Den anderen Besuchern, weil Menschen mit Kamera meist hastig von Kunstwerk zu Kunstwerk eilen und nur kurz innehalten, um den Auslöser zu betätigen. Und dem Museumsshop, weil Reproduktionen der Originale selbst gemacht werden und deshalb weniger Postkarten gekauft werden müssen. Inzwischen hat auch noch fast jeder Museumsbesucher ein Smartphone in der Hosentasche, und gefühlt jeder dritte Tourist in der Großstadt verlängert seinen Arm mit einem Selfie-Stick. Das sehen Museen noch weniger gern. Schließlich sind Selfie-Sticks ungefähr so praktisch wie Regenschirme in Innenräumen. Zahlreiche Kulturinstitutionen haben darum in den letzten Monaten ein Selfie-Stick-Verbot erteilt, sie sorgen sich um die Sicherheit der Exponate und der anderen Besucher.

Art and devices at the #aiweiwei exhibition @royalacademyarts

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Das Amsterdamer Rijksmuseum will jetzt sogar das Fotografieren verbieten oder besser gesagt: ein wenig davon ablenken. Außen am Gebäude hängt ein großes Banner, auf dem eine durchgestrichene Kamera prangt. Darunter steht das Hashtag #hierteekenen. Soll heißen: Hört auf zu fotografieren, fangt an zu zeichnen. Ende Oktober gab es bereits einen Aktionstag zur Kampagne #startdrawing – unter dem englischsprachigen Hashtag wird ebenfalls in den sozialen Medien kommuniziert.

 

Helfen wolle man den Menschen, erfährt man auf der Website des Rijksmuseum, die Schönheit der Kunst zu entdecken und zu würdigen. In Zeiten von Smartphones und sozialen Medien sei ein Besuch im Museum häufig nur noch ein passives und oberflächliches Erlebnis. Und die Besucher seien zu leicht abgelenkt. Darum lautet das Motto zur Kampagne: "You see more when you draw." Das Kunstblog Hyperallergic pflichtet dem Rijksmusem mit Verweis auf eine Studie bei: Wer Kunst fotografiert, kann sich schlechter daran erinnern. Das Ergebnis selbst sei bei diesem Unterfangen nicht wichtig, betont man außerdem in Amsterdam. Als Kinder hätten wir schließlich alle einmal gezeichnet, also können wir das auch jetzt wieder.

Und das Ergebnis der Kampagne in den sozialen Medien? Auf Instagram sind unter den beiden Hashtags Zeichnungen allein, Zeichnung und Kunstwerk sowie zeichnende Menschen zu sehen. Unter #startdrawing finden sich auf Instagram 542 Posts – allerdings nicht ausschließlich mit Bezug zum Rijksmuseum –, unter #hierteekenen 143. Aber das Fotografieren ist ja auch nicht verboten. Ganz im Gegenteil. Es wird sogar um Einsendungen via Hashtag auf Instagram gebeten, verbunden mit der Frage, welches Kunstwerk einen denn inspiriert habe zu zeichnen. Also doch wieder alle schnell in die sozialen Netzwerke, die eigentlich nur ablenken.

Das Museums als Arbeitsort: Das Depot des @staedelmuseum. #200jahrestaedel

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In Deutschland derweil setzen einige Museen, wenn auch erst allmählich, auf den sozial vernetzten fotografierenden Besucher. Während das Rijksmuseum den Umweg über die Zeichnung nimmt, um eine virale Verbreitung einer Kampagne in den sozialen Medien zu erreichen, lud das Frankfurter Städel vergangene Tage im Jubiläumsjahr lieber gleich die Community nachts ins Museum ein. 200 Minuten Blicke hinter die Kulissen, ins Depot, in die Restaurierungswerkstatt, ins Büro des Direktors und in die Sammlung wurden 120 Bloggern, Instagrammern und Twitterern passend zum Hashtag #200jahrestaedel gewährt. Der Erfolg einer solchen Veranstaltung wird gern in Zahlen gemessen: 1.500 Tweets von 250 Personen mit 6 Millionen Impressionen reichten für einen dritten Platz in den deutschen Twittertrends. Hinzu kamen 400 Fotos auf Instagram, und 300 Zuschauer schauten sich die Live-Übertragung des Abends auf Periscope an.

Venus de otoo #VenusOfBerlin #gemldegalerie #botticelliberlin

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In Berlin werden Fotografen aktuell vor die Türe gebeten. Die Gemäldegalerie hat eine Fotostation zur Ausstellung "The Botticelli Renaissance" aufgebaut, die passiert, wer hinein möchte. Dort soll man nun, wie Botticelli es in seinem Gemälde "Die Geburt der Venus" dargestellt hat, grazil auf einer Muschelschale gleiten. Die ganze Aktion ist nur bedingt erfolgreich, was vermutlich nicht dem Umstand geschuldet ist, dass das Hashtag #venusofberlin auch von Besuchern der Berliner Erotik-Messe genutzt wird. Vielleicht sollte, wer auf Kitsch setzt, gleich die volle Ladung liefern. Denn wirft man sich bei diesen winterlichen Temperaturen in Venus-Pose, tut man das vor der Stadtlandschaft Berlins, die eher an eine verstellte Kulisse à la Max Beckmann erinnert als an eine idealisierte Landschaft südlicher Couleur.

Zurück nach Amsterdam. Auch wenn die Kampagne des Rijksmuseums nicht mit letzter Konsequenz auf die vermeintlichen Störenfriede Smartphone und soziale Medien verzichtet, dürften sich Kulturpessimisten, die kitschige Fotostationen, knipsende digital natives und Freunde der Narzisstenstange zum Schnauben bringen, über diese neuerliche Zeichenbewegung freuen. Endlich weniger Besucher im Museum, die den Kunstwerken den Rücken zukehren, um ein #museumselfie oder ein #artselfie zu machen, und dabei auch noch den Blick auf das Bild versperren.