"Inhuman" im Kassler Fridericianum

Tschüss, Mensch!

Wer sind wir eigentlich – und wenn ja, wie lange noch? So ließe sich die Frage paraphrasieren, die gerade im Kasseler Fridericianum gestellt wird. Direktorin Susanne Pfeffer hat wieder mal ein großes Fass aufgemacht. Es geht ihr diesmal nicht um "Speculations on Anonymous Materials" oder "nature after nature", sondern um das Menschliche nach dem Menschen. Um das, was übrig bleibt, wenn sich sein Bild weiter so stark verändert wie in den vergangenen Dekaden, von der Ökonomie dressiert, von der Lebensmittelindustrie ernährt, von Chirurgie und Modeindustrie geformt, von Technologie durchdrungen.


"Der Mensch lässt nach", sang Schorsch Kamerun. Oder dreht er gerade erst auf? Der Begriff des Humanen jedenfalls soll, so will es die Ausstellung, von dem des Inhumanen abgelöst werden, indem die Künstler die "Konstruktionen des Humanen" sichtbar machen und "bestehende Perspektiven auf die menschliche Subjektivität wie auf den Körper" verrückt werden.


Wie das aussehen kann, zeigt Johannes Paul Raether mit einer großen, mit Küchentüchern ausgekleideten Bruthöhle, der "Cave of Reproductive Futures", in der Teile von Kinderbuggys und Kindersitzbezüge zu aparten Skulpturen arrangiert sind. Künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft gibt es bereits. Aber wann können wir endlich aufhören, uns egoistisch selbst zu reproduzieren und unsere Fruchtbarkeit in eine sharing economy überführen wie unsere Autos, Wohnungen und Ferienhäuser? Das fragt Raethers Kunstfigur "Transformella". Ihre Stimme erzählt uns von dieser Zukunft, die Installation allein tut sich schwer, etwas so Umwälzendes wie den "Abschied von der heterosexuellen Paarbeziehung als Idealmatrix menschlicher Fortpflanzung" mitzuteilen. Da steht sie nicht allein – viele Arbeiten sind als Behälter von Ideen interessanter denn als Kunstwerke, der Diskurs wird von ihnen angestiftet, nicht ersetzt. Was in Ordnung geht, wenn es was zu sagen gibt.

Melanie Gilligan, eine in New York und London lebende kanadische Künstlerin, hat die Form einer Science-Fiction-Serie gewählt, um von einer Welt zu berichten, in der das Teilen von Gefühlen und Gedanken ohne Umweg über Sprache oder Bilder geschieht – mittels einer Technik namens "Patch". Natürlich dient sie auch der Kontrolle und kapitalistischen Verwertung von Emotionen. Die professionell produzierten, fernsehtauglichen Spielszenen laufen parallel auf zehn Bildschirmen, asymmetrisch im Raum angeordnet. Drahtlose Kopfhörer erkennen, vor welchem man gerade steht – ein komplexes Erzählen, ermöglicht durch Ausstellungsarchitektur.

"Inhuman" ist eine raumgreifende, präzise inszenierte Schau, in der einem nur manchmal etwa mulmig wird – etwa bei den an menschliches Gewebe erinnernden Ummantelungen von Sicherheitsfenstergittern eines Stewart Uoo. Doch die 15 Künstler, zwischen 1975 und 1993 geboren, beschäftigen sich nun mal mit dem, was auf uns zukommt. Und "aus der Perspektive des Jetzt", so die Mexikanerin Julieta Aranda, "erscheint uns die Zukunft der Menschheit monströs … Aber das muss nicht unbedingt etwas Negatives bedeuten."