Neue Swatch Art Modelle

Tickende Kunstwerke

Kunst zu erschwinglichen Preisen gibt es bei der Firma Swatch im Armbanduhren-Format. In Kooperation mit der Londoner Tate Modern ist eine neue Kollektion entstanden, die auch Werke von Chagall und Matisse umfasst

Eine blaue Spirale zieht sich über papierweißen Grund. Oder andersherum, so genau weiß man das bei Spiralen ja immer nicht. Sicher ist: Rote Zeiger ticken darüber. Denn wir schauen nicht auf eine Leinwand, sondern auf eine Uhr. Und dessen Zifferblatt und Armband ziert ein Druck des Werkes "Spirals" von Louise Bourgeois. "Für sie symbolisierte die äußere Bewegung 'ein Geben und ein Nehmen von Kontrolle, Vertrauen und positive Energie …'", lesen wir in der Beschreibung der Uhr. Vielleicht weil Zeit doch auch ein Geben und vor allem Nehmen von Kontrolle ist.

Aber das hier ist keine Ausstellungsbesprechung, nichtsdestotrotz geht es auch um ausgestellte Bilder und um Kunstvermittlung. Denn die Schweizer Uhrenfirma Swatch, seit den 1980er-Jahren bekannt für bunte, poppige, leichte und erschwingliche Uhrenmodelle, investiert seit Jahren in genau diese Kunstvermittlung. Einmal als Sponsor für die Venedig Biennale, außerdem als Betreiber einer Art Residency in Shanghai und dann, indem sie Uhren-Modelle verkauft, die entweder von Künstlern gestaltet wurden oder bei denen, in Zusammenarbeit mit internationalen Museen, bekannte Werke auf Uhren gedruckt werden. So wollen sie die Kunst einem breiteren Publikum näher bringen.

Die erste Kunst-Swatch entstand 1985 aus einer Kooperation mit der Künstlerin Kiki Picasso. Später, in den 1990er-Jahren, kam ein durch und durch geschmackvolles Modell in Zusammenarbeit mit einem italienischen Architekten auf den Markt, dessen Namen ich hier nicht weiter nennen möchte, aus Sorge, dass die gebrauchten Modelle bei den üblichen Handels-Plattformen zu noch höheren Preisen verkauft werden könnten. Es gab außerdem Uhren von Yoko Ono, Nam June Paik und sogar dem kürzlich tragischerweise verstorbenen malenden Schwein Pigcasso. 

Sammlung der Tate Modern

Für andere Editionen taten sich die Kreativen von Swatch seit 2018 mit Museen zusammen, darunter das Pariser Musée du Louvre und Centre Pompidou, das Rijksmuseum in Amsterdam, das MoMA in New York und das Thyssen-Bornemisza Nationalmuseum in Madrid. In diesem Jahr wurde die Sammlung der Tate Modern für das Projekt geöffnet. Wie die Bilder ausgesucht werden, erzählt Kreativ-Chef Carlo Giordanetti in London, sei durchaus ein hitziger Prozess, bei dem die Sammlungs-Kennerinnen mehr und mehr Werke in den Ring werfen. Allein die Tate-Häuser haben über 70.000 Werke in der Sammlung. Und vermutlich möchte man wirklich sehr viele davon durch ein neues Medium einem neuen Publikum bekannter machen, die Kunst an den Puls bringen.

Andererseits sollen die Uhren einem breiten, vielleicht auch eher kunstfernen Publikum verkauft werden. Also gibt es in der Kunst-Kollektion von Swatch auch die ganze beliebte Küchengeschirrtuch-Kunst von Frida Kahlo über Gustav Klimt, Piet Mondrian bis zu Leonardo da Vinci.

Doch bei Vincent van Gogh und Co bleibt die Kollaboration eben nicht stehen, sondern bezieht auch eine Wilhelmina Barns-Graham mit ein, die zunächst einmal kaum jemand kennt. Die verschiedenen Uhren, sieben sind es in der neuen Art-Journey-Kollektion, dienten also durchaus auch der Kunstvermittlung, sagt der Kreativchef. Mit dabei die Museums-Shop Kassenschlager Joan Miró, Marc Chagall oder JMW Turner, aber eben auch Louise Bourgeois und ihre Spiral-Bilder oder Fernand Léger und seine Figurenteile auf Primärfarben – die dem ein oder anderen Flagshipstore-Besucher vielleicht doch noch ein interessiertes Zucken entlocken können. 

Attraktives Programm für Urbanisten

Um erstmal die eingeladenen Journalistinnen und Journalisten auf Kenntnisstand zu bringen, gibt es eine kleine Führung durch den zweiten Stock des Natalie Bell Buildings des Tate Modern, das auch deswegen so gut ist, weil dort in verschiedenen Themenräumen ausgesuchte Werke der Sammlung zu sehen sind. Malen mit Weiß. Oder Malen nach dem Krieg. 

Über fünf Millionen Menschen kommen jedes Jahr in das Museum. Nicht nur weil der Eintritt umsonst ist, sondern auch, weil Kunst hier so gut vermittelt wird. Eben durch diese Selektion. Oder weil das Museum sich auch am Freitagabend öffnet, zu der Reihe Tate Late – ebenfalls vom Uhrenhersteller unterstützt – gibt es ein spezielles Programm mit DJs, Drinks und Dingen, die junge Urbanisten sonst gerne erleben. Oder aber – um hier nun zum wichtigsten Punkt der Kunstvermittlung zu kommen – wegen seiner unglaublichen Mitarbeiterinnen.

Denn da gab es nicht nur die bezaubernden Damen in der Turbinenhalle, die ausufernd, leidenschaftlich und überfreundlich Tipps gaben, welcher Raum sich denn gerade besonders zu besichtigen lohne, ihr Mobiltelefon zückend, um diese Skulptur zu zeigen, die man unbedingt sehen müsse, von Petrit Halilaj, um dann doch nur die neuesten Bilder von den Enkeln zu finden. Sondern auch diese wunderbare kleine Frau, die uns mitnahm, in dem sie immer wieder Fragen stellte. Was haben diese Bilder gemeinsam? Sagen Sie doch mal! Die ihren ganzen Körper einsetzte, wenn sie die Pinselstriche von Joan Snyder nachmalte. Die von diesem Museum so begeistert war, dass sie sich dafür entschuldigte, weil sie so schnell reden musste, um möglichst viel unterzubringen. Die die Aufmerksamkeit der Gruppe erregte, als sie davon sprach, wie sexy die Assistentin von Henri Matisse war, die ihm half, die Papiere anzumalen, mit denen er rumfetzten konnte, als er fast schon zu krank dafür war. Und die von Miro und Bauhaus zu Fernand Léger und Körperbildern in der aktuellen Debatte springen konnte, als wäre nichts. 

Sie machte ganz euphorisch, sie bekam Applaus und, tja, was soll man sagen, natürlich braucht man eher Menschen als Marken zur Kulturvermittlung. Aber die Louise-Bourgeois-Uhr ist wirklich sehr schön. Und man kann mit ihr sogar bezahlen.