Erweiterungsbau der Tate Modern in London

Aus meiner Festung

In London eröffnet der von Herzog de Meuron entworfene Erweiterungsbau der Tate Modern. Ein Besuch

Wenn in Deutschland ein Museumsneubau eröffnet wird, darf sich der verantwortliche Direktor gelegentlich darüber freuen, dass das neue Haus den MoMA-Standards entspricht. Wenn das Museum aber zu den bedeutendsten der Welt gehört, kann es sich nur noch selbst übertreffen. Als die Tate Modern im Jahr 2000 eröffnete, wurde mit zwei Millionen Besuchern im Jahr gerechnet. Schon bald waren es fünf Millionen und mehr. Von der Kunst war da nicht mehr viel zu sehen, die Besucher waren eher mit Schieben, Drängeln, Warten und ihrer Geduld beschäftigt. Ein Neubau wurde geplant und wieder das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron beauftragt, das 2000 schon die alte Bankside Power Station, ein Kraftwerk im Londoner Stadtteil Southwark zum Museum umbaute. 260 Millionen Pfund hat der Neubau gekostet, der die Tate Modern um 60 Prozent vergrößert.

Jetzt ging es um mehr von allem: mehr Kunst, mehr Platz, mehr Essen, mehr Partizipation, mehr Performances, mehr Erfahrung für die zuletzt fast sechs Millionen Besucher. Das hörte man die Mitarbeiter der Tate während der Pressevorbesichtigung immer wieder in Mikrofone sprechen. Und das auf zehn Stockwerken. Vier Etagen für die Kunst im so genannten "Switch House", dem ehemaligen Umspannwerk, das neben der Verbindung durch die Turbinenhalle über eine Brücke im vierten Stock mit dem "Boiler House" erreichbar ist.

Die weiteren sechs Etagen sind Orte der Begegnung, des Miteinander und des Austausches. Denn vor einigen Jahren hat eine Umfrage der Tate ergeben, dass die Besucher nicht unbedingt wegen der Kunst kommen. Mehr als die Hälfte hatte angegeben, dass es ihnen um die soziale Erfahrung ginge. Darauf hat die Tate reagiert und Plattformen und Programme für zwischenmenschliche Begegnungen geschaffen.

Die Architekten selbst hielten sich im Hintergrund, als die internationale Presse am Dienstag durch das Haus schwirrte. Man sah sie nur, wenn man aufmerksam die Gesichter der Anwesenden scannte, denn irgendwo mussten Jacques Herzog und Pierre de Meuron an diesem Tag in der Tate ja sein.

Erst vor wenigen Wochen wurde in Weil am Rhein ein anderer von ihnen entworfener Museumsbau eröffnet. Das Schaudepot auf dem Vitra Campus. Ein Backsteinhaus mit Satteldach und Türe. Ohne Fenster. Mehr als eine Tür braucht es schließlich nicht, um in das Designmuseum hinein und wieder heraus zu kommen. Aber ganz so alltäglich ist das Backsteinhaus dann doch nicht, die Ziegel sind falsch herum gesetzt, mit der Bruchkante nach außen. Das gibt dem Bau etwas Textiles, Jacques Herzog vergleicht es mit Strickwerk.

 

Vitra #Schaudepot by Herzog & de Meuron.

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In London war zuerst eine 70 Meter hohe stufenförmige Glaspyramide geplant. Gebaut wurde eine zehnstöckige Backsteinpyramide, die nicht einmal recht wie eine Pyramide aussehen mag. Das Gebäude sieht aus, als wären mehrere Pyramiden ineinander geschoben worden und am Ende hat jemand einfach die Spitze abgesägt. Es ist ein Bau mit vielen Ecken und scharfen Kanten entstanden.

Wenn man von der St. Paul’s Cathedral aus über die Millennium Bridge auf die Tate zuläuft, schaut der Neubau etwas schüchtern hinter dem Kraftwerk hervor. Und wenn man dann den Blick etwas schweifen lässt und hinüber zu den Neo Bankside Pavilions geht, zu den Hochhäusern aus Glas, den unmittelbaren Nachbarn des Neubaus, wirkt der plötzlich, als hätte er sich nur kurz einen Strickpullover übergezogen.

Viel Glas, das für möglichst viel Transparenz sorgt, kam nicht zum Einsatz. Die neue Tate macht dicht. Aber nicht ganz. Denn auch hier sind die Ziegelsteine nach einem bestimmten Strickmuster gesetzt. Immer ein Platz blieb frei, so dass man von Innen zwar gut nach draußen gucken kann, aber nicht anders herum. Fenster gibt es auch hier nur wenige, aber immerhin wurden ein paar Sehschlitze hineingeschnitten.

| eiger north face # |

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Für eine gute Sicht wurden andere Maßnahmen ergriffen. Der zehnte Stock fungiert als Aussichtsplattform mit Panorama-Blick auf London, sogar ein Skyline Guide liegt für zwei Pfund zur Mitnahme bereit. Eine Flut von Selfies mit der Londoner Skyline im Rücken wird über Instagram in den nächsten Wochen hereinbrechen. Und viele Finger werden aufgeregt im Osten auf The Shard zeigen, im Norden vielleicht auf einen der Türme des Barbican, im Westen auf das Wembley Stadium und im Süd-Westen, wenn die Augen etwas zusammengekniffen werden, auf Big Ben.

Nicht ganz so freudig erregt über die neue Aussicht sind vermutlich die direkten Nachbarn, die Bewohner der Neo Bankside Pavilions, von den Londonern auch spöttisch Neo Blingside genannt. Denen können die Museumsbesucher nämlich besonders gut in die teuren Wohnzimmer und in die Hausbar gucken. Man braucht nicht einmal ein Fernglas, sondern nur gute Augen, um fast jeden Einrichtungsgegenstand in Augenschein nehmen zu können. Ohne seine Bewohner wirkt das Glasgebäude wie eine Puppenstube, wie eine etwas zu groß geratene Installation, die nicht mehr in die Tate gepasst hat und deshalb vor der Türe aufgebaut werden musste. Oder wie das offene Schaudepot eines Einrichtungshauses.

 

 

War es vorher noch schick, sagen zu können, der direkte Nachbar sei die Tate Modern, ist der Spaß jetzt sicherlich vorbei. Denn wer will schon, dass sechs Millionen Paar Augen, wenn auch auf das Jahr verteilt, im eigenen Wohnzimmer vorbeischauen? Oliver Wainwright, der Architekturkritiker des "Guardian", hat die Entwicklung des Immobilienmarktes in Southwark seit Eröffnung der Tate skizziert. Bevor aus dem ehemaligen Stromkraftwerk das populärste Museum für moderne und zeitgenösssische Kunst der Welt wurde, war der Stadtteil heruntergekommen. Schnell schossen die Preise in die Höhe und mit ihnen die gläserne Architektur in den Himmel. Zwischen all diesen Hochhäusern wirke die neue Tate wie ein Wachturm, wie eine Festung, schreibt Wainwright, die verhindern wolle, dass immer noch mehr für Investoren und Superreiche gebaut wird.

Verständlich also, dass Herzog & de Meuron auf ockerfarbene Ziegelsteine zurückgegriffen haben, damit sich der Erweiterungsbau an das ehemalige Kraftwerk anschmiegen kann und deutlich macht, dass Transparenz in der Gegenwart nicht immer die richtige Lösung ist – zumindest, wenn es um einen Museumsbau geht.