Tanz im August 2015

Und jetzt den Andy-Warhol-Code

Interviews, Kritik, Klischees: Der Choreograf Adam Linder ­konfrontiert Texte zur Kunst mit der Sprache des Körpers

"Ich bin vollkommen leer. Mir fällt nichts ein." Die an sich nicht unberechtigte Vorstellung, dass ein Künstler etwas Interessantes und Aufregendes macht, hat wohl niemand so zuverlässig unterlaufen wie Andy Warhol in seinen öffentlichen Äußerungen – und er hat sich damit gekonnt in den Nebel der Rätselhaftigkeit gehüllt. Was Künstler sagen und was über sie gesagt wird, trägt entscheidend zur Rezeption ihres Werks bei: Wir sehen, was wir zuvor gelesen haben, erkennen im Werk Gedanken, Gefühle oder biografische Spuren, und sei es nur lakonischer Nihilismus.

Der Choreograf Adam Linder bringt diesen Vermittlungsprozess zum Tanzen. Sein neuestes Stück "Auto Ficto Reflexo", das im Rahmen des Berliner Festivals "Tanz im August" aufgeführt wird, basiert auf Pressemitteilungen von Museen, Werkbeschreibungen, Interviews mit Künstlern und Gossip über Künstler wie Warhol, Sturtevant, die Rapperin Azealia Banks oder den Filmemacher Alejandro Jodorowsky.

"Mich interessiert, wie Sprache als Code kultureller Produktion fungiert, wie mit Sprache Werte, Kontexte und Hegemonien geschaffen werden", sagt Linder. "Es gibt das 'offene Wort', intime Bekenntnisse über sexuelle oder persönliche Vorlieben, die dem Zuhörer das Gefühl geben, er kenne die Person. Andere Künstler sprechen über ihre Antriebe, Methoden oder die Mühen der Arbeit. Es gibt mythisches Gerede, das das romantische Klischee des Genies befördert. Und selbst Warhols Weigerung, irgendeine Motivation für sein Werk zu nennen, wird zu einem Mittel, Wert zu generieren."

Linders übergenauer Blick auf die Künste mag daher rühren, dass er schon länger eher zwischen den Disziplinen zu Hause ist. Der gebürtige Australier schloss in London die Royal Ballet School ab, tauchte gleichzeitig in die Houseszene ein und begeisterte sich für die Young British Artists. Nach seiner Ausbildung war Linder Mitglied der Kompanie von Michael Clark und arbeitete in Berlin mit Meg Stuart. Und obwohl Linder seine Aufführungen als Tanz versteht, bespielt er seit einigen Jahren zunehmend Kunsträume.

Die Performance "Ma Ma Ma Materials", die unter anderem in der Berliner Galerie Silberkuppe und in der Halle für Kunst in Lüneburg zu sehen war, reihte historische Präsentationsposen von ägyptischen Hieroglyphen bis zu Modezar Christian Dior aneinander. Und auf der Kunstmesse Swab in Barcelona stellte Linder mit "Some Cleaning" eine "choreografische Dienstleistung" vor, die Kunden stundenweise bei ihm buchen können: Er erledigt zu Hause oder an öffentlichen Orten Aufgaben wie Staubsaugen oder Fensterputz in tänzerischen Bewegungen – Mindestlohntätigkeit und Hochkultur überlagern sich im rigiden Perfektionismus, der Tänzern und Putzkräften gemeinsam ist.

Während sich die Performance-Art gerade als authentisches Bollwerk in einer durchdigitalisierten Welt in Stellung bringt – die Tränen der Marina Abramović erscheinen dabei so wundersam wie Marias Blutweinen –, untersucht Linder den Körper als Resultat kultureller und sozialer Zuschreibungen. "Die Art, wie Künstler sprechen und wie auch ich jetzt über meine Arbeit spreche, ist sehr definitiv und kodifiziert. Auch die Bewegungen des Körpers sind eine Sprache, aber sie ist vieldeutiger und verwendet ein anderes Vokabular", sagt Linder.

"Auto Ficto Reflexo", das Linder gemeinsam mit Justin F. Kennedy tanzt, ist wie ein Computerspiel aus sechs Levels aufgebaut, wobei sich das Verhältnis von Sprache und Verkörperung auf jeder Ebene verändert und komplexer wird. "Take the work out of context", weist eine Lautsprecherstimme im Verlauf des Stückes die Tänzer an. Warhol hätte seine Freude gehabt.