Auch Denkmälern muss man ab und an ein Denkmal setzen, sonst geraten sie womöglich selbst noch in Vergessenheit. Als die Fotografin Sibylle Bergemann zwischen 1975 und 1986 die Entstehung des Berliner Marx-Engels-Denkmals dokumentierte, konnte sie nicht ahnen, dass bald sogar der mächtige Palast der Republik, hinter dem die beiden Denker aufgestellt wurden, der Vandalentat eines Parlaments zum Opfer fallen würde. Immerhin: Den majestätisch sitzenden Marx und den stämmig stehenden Engels des Bildhauers Ludwig Engelhardt kann man noch heute in Berlin besichtigen.
Weit lebendiger als in der Bronze, die sie schließlich kleiden sollte, wirken die beiden Denker freilich in Bergemanns berühmter Bildserie. Die besondere Begabung der Fotografin, mit Geduld auf den besten Augenblick zu warten, setzt sich hier selbst ein Denkmal. Immer ist sie zur Stelle, wenn sich eine Idee gerade in Form verwandelt und dabei viel schönere Lösungen entstehen, als sie der sozialistische Realismus vorsieht. In einem frühen Stadium gleicht das Monument einer Fotoinstallation von Christian Boltanski; ein anderes Mal zeigen sich die Denker als futuristische Holzskelette à la de Chirico.
Auch in ihrer Modefotografie misstraute die 2010 verstorbene Fotografin den staatstragenden Idealen der Perfektion. "Wir zeigten einfach nur, wie es wirklich war", sagte sie später. Seit 1967 arbeitete die 1941 in Berlin geborene Bergemann als freie Fotografin und fotografierte Reportagen, Mode und Porträts für verschiedene Magazine der DDR; nach der Wende wurde sie unter anderem Mitbegründerin der Ostkreuzschule. Sie verstand sich als sozialdokumentarische, sachliche Beobachterin, die die Farbe allein den Modestrecken vorbehielt – in denen man mindestens so viel von den gesellschaftlichen Zuständen spürt wie in den dokumentarischen Aufnahmen.
Gleich drei Ausstellungen erinnern zum Gallery Weekend an Sibylle Bergemann: eine retrospektive Werkschau in den Reinbeckhallen, eine Auswahl von Frauenporträts und Farbaufnahmen in der Loock Galerie sowie eine Auswahl ihrer Darstellungen von Berlin-Mitte bei Kicken Berlin.
Über ihren Realismus finden Bergemanns Modefotos aus der DDR auf direktem Weg zur Kunst – gerade weil sie nicht wirklich etwas zu verkaufen hatten. Eines ihrer berühmtesten Fotos, "Marisa und Liane, Sellin", entstand 1981 am Ostseestrand. Zwei rückwärtig porträtierte Trägerinnen schwarzer Kleidchen blicken so unwirsch in die Kamera, als wollten sie klagen: "Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael". Tatsächlich verlebendigen sie dadurch die Statik einer abstrahierenden Hintergrundkomposition aus Strandkörben mit einem Hauch von Punk.
Die vom Zentralkomitee überwachte Redaktion der Modezeitschrift "Sibylle" verlangte die damals noch analog vorgenommene Retusche: Wenn sich schon die Sonne nicht zeigte, sollten doch wenigsten die Mundwinkel der Urlauberinnen in ihre Richtung zeigen. Nach dem Sieg des Kapitalismus hatte es Bergemann allerdings auch nicht leichter. Eine Modefotografie, die nichts beschönigt, hat nur die Wahrheit zu verkaufen.