Kunst und Macht

Rudelpudern

Christoph Büchel probt in Wien mit seinem Swingerklub den Aufstand. Doch provokante Posen schützen die Kunst nicht vor der Umarmung der Mächtigen - denn Regelbruch ist imagefördernd.

An dieser Stelle möchten wir zunächst unseren heißen Dank an Christoph Büchel aussprechen. Denn ohne ihn wäre in diesen Frühjahrstagen die folgende, berückende Vokabel wohl nie an unser Ohr gedrungen: "Rudelpudern". So nennen die Österreicher das, was der Schweizer Künstler zurzeit in seinem Swingerklub im Untergeschoss der Wiener Secession ermöglicht (bis 18. April).

Für seine Installation, deren Stripteasestangen und Liegelandschaften nachts von realen Swingerfreunden so bestimmungsgemäß wie kunstfern genutzt werden, hat Büchel die erhofften Reaktionen aus Politik und Bürgerschaft bekommen: öffentlich subventionierter Sex, welch ein Skandal! Und sich damit wieder einmal als ein Künstler positioniert, dessen Markenzeichen die Provokation ist. Eine Rolle, die nicht zuletzt zum Gründungsmythos der Institution gehört, in der er sie auslebt: Die Secession, das war zum Ende des 19. Jahrhunderts in Wien und anderswo die Abspaltung der Modernen von den Verknöcherten, der Mutigen von den Angepassten.

Seit diesen Zeiten ist unser Lieblingsbild des Künstlers das des kritischen Dissidenten. Künstler werden dafür bewundert, dass sie Normen und Zwänge abschütteln, Traditionen umstürzen und vor den Einflüsterungen der Mächtigen die Ohren verschließen. Repräsentationskunst, das ist was für Hofmaler, und an die Monarchie glauben wir nicht mehr. Oder doch?

Der wirklich aufgeklärte Kunstkonsument weiß natürlich, dass die Kunst bei aller provokanter Pose das Rudelpudern mit den Mächtigen nie wirklich aufgegeben hat – wie auch? Dafür ist sie für die großen und kleinen Könige von heute viel zu attraktiv.

In der Schau "Macht zeigen" im Deutschen Historischen Museum in Berlin (bis 13. Juni) demonstriert der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich gerade, wie die "Kunst als Herrschaftsstrategie", so der Untertitel, funktioniert: Sie ist Imagefaktor und Selbstvermarktungshilfe wie eh und je.

Selbstironie im erschlafften Zustand

Was die Politik angeht, ist die Schau leider bereits wieder historisch geworden. Angela Merkel sitzt heute so brav unter Kokoschkas Adenauer-Porträt wie einst Helmut Schmidt unter dem August Bebels. Am spannendsten war das Verhältnis von Macht und Kunst zu Zeiten Gerhard Schröders, des bislang größten Spezialisten für mediale Selbstinszenierung unter den deutschen Kanzlern. Schröder demonstrierte mit Baselitz’ stürzendem Adler hinter dem Schreibtisch ein Maximum an Raffinesse, schmuste dann mit Immendorff und bekam zum Lohn von ihm sein eigenes Konterfei in Gold gemalt.

So ist im Kanzleramt nun für die Nachwelt festgehalten, wie Selbstironie im erschlafften Zustand dann doch wieder in Selbstbeweihräucherung kippt: Den Hartz-IV-geknechteten Erben der Ära Schröder kann der goldige Ego-Shooter nur mehr zynisch vorkommen.

"Leadership bedeutet, Regeln zu brechen" – das kann Schröder jetzt bei seinem Arbeitgeber Gazprom erzählen und dabei auch noch Georg Baselitz zitieren, der den Spruch auch mal der Automarke Maybach für eine Werbeanzeige zur Verfügung stellte. Wer so mutig ist, ein Bild auf den Kopf zu stellen, der fährt auch ein cooles Auto, so die Botschaft.

Anders als zu Zeiten der Secession sind die Eigenschaften, die man der Avantgardekunst zuschreibt, längst identisch mit denen, die Marketing und Managementberater fordern: Innovation, Flexibilität, Risikobereitschaft, all das repräsentiert die zeitgenössische Kunst, ob sie will oder nicht. Deshalb lassen sich Vorstandsvorsitzende von Banken ja auch so gern vor abstrakten Gemälden ablichten: So ein hübsch monochromes Bild suggeriert Aufgeschlossenheit und Kunstverstand – und stört außerdem nicht mit irgendwelchen Inhalten.

Die trotzige Punkgeste wird zur perfekten Geldanlage

Die Frage ist nur, ob die Künstler die Verbrüderung mit dem Kapital so einfach verweigern könnten. Die Leipzigerin Verena Landau versucht mittlerweile zu unterbinden, dass ihre Werke von Banken angekauft werden. Konsequenterweise müsste sie dann aber auch die Reputation aller Privatsammler prüfen, die sich eine Arbeit von ihr ins Schlafzimmer hängen wollen. Und nicht selten wird eine trotzige Punkgeste zur perfekten Geldanlage – die bekanntesten Beispiele von Kippenberger bis zu den Young British Artists sind zurzeit in der "Pop Life"-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zu bewundern (bis 9. Mai).

Vielleicht sollte man den Baselitz-Sinnspruch variieren: Leadership bedeutet, Regeln zu brechen, um ihnen umso besser zu entsprechen. Womit wir wieder bei Christoph Büchel wären. Ein Künstler, der Skandale so virtuos gestalten kann wie ein alter Meister seine Gemälde. Demnächst auch im Souterrain der Deutschen Bank? Oder in der FDP-Zentrale? Gepudert werden kann schließlich überall.