10. Schardscha-Biennale

Revolutionsbegeisterung mit Eigentor

Die brennendste Frage beantwortete Jack Persekian, bevor sie gestellt wurde. „Die zehnte Schardscha-Biennale widmen wir dem Wandel in der arabischen Welt“, sagte der Direktor der Sharjah Art Foundation gleich zu Beginn der Pressekonferenz. Die
Schau im Golf-Emirat Schardscha eröffnete, während die Region unter den verschiedensten Freiheitsbewegungen erzitterte. Und natürlich wollte das Publikum unbedingt erfahren, ob und wie die Biennale auf die Umstürze in Ägypten und Tunesien oder die Revolten im mit den Vereinigten Emiraten verbündeten Bahrain reagieren würde – beziehungsweise, ob sie die Freiheit haben würde, das zu tun. Schließlich wird Schardscha auch autokratisch regiert.

Doch offensichtlich glaubten weder Persekian noch sein internationales Kuratorenteam Suzanne Cotter (Guggenheim Abu Dhabi), Rasha Salti (Beirut) und Haig Aivazian (Chicago), Rücksicht nehmen zu müssen, als sie ihre Sympathien für die Demonstranten in den arabischen Staaten ausdrückten. Eine wirkliche Revolutionsbiennale war die Ausstellung sowieso nicht geworden. Einerseits, sagte der libanesischstämmige Aivazian, sei vieles schon fertig geplant gewesen, als die Demonstrationen begannen. Andererseits sei man ja auch nicht Twitter: „Es geht auf einer Biennale nicht um möglichst schnelle Kurznachrichten, sondern um das lange Gespräch, um Reflexion, um Vielschichtigkeit.“ Und für eine echte Einschätzung der Ereignisse sei es einfach noch zu früh.

Am Ende aber führte eines der besten politischen Werke der Ausstellung doch zum Eklat: Die Installation des algerischen Künstlers Mustapha Benfodil wurde zwei Wochen nach Eröffnung der Schau abgebaut, Jack Persekian vom regierenden Scheich Sultan bin Mohammed al-Qasimi wegen des Werkes entlassen. Benfodil hatte kopflose Schaufensterpuppen als Fußballmannschaften kostümiert.

Auf den Trikots standen unter verballhornten Namen von Freiheitskämpfern verschiedene Texte in Arabisch und Englisch. Mal ein zartes Gedicht auf einen vor langer Zeit Ermordeten, mal eine witzige Konversation über Revolutionsfernsehen mit YouTube, mal direkte Agitation: Freiheit ist eine ansteckende Krankheit, die alle unsere Seelen infiziert hat.“ Offenbar befanden sich irgendwo auf den T-Shirts auch Aussagen, die man als Blasphemie verstand – das war dann doch zu viel für Schardscha.

Ein viel indirekteres politisches Werk stammt von dem Pakistaner Imran Qureshi, der den Innenhof einer der Ausstellungsorte mit roter Farbe überzog. Wilde Spritzer gehen immer wieder in fein ziselierte Blumenmalerei über, aus Blut wurde Ornament. Qureshi, der den Preis der Biennale gewann, überzeugt außerdem mit meisterhaft gefertigten kleinformatigen Gemälden im Stil persischer Miniaturmalerei. Wenn die gläubigen Muslime darauf ihre Hosen lüpfen, kommen Tarnfarbensocken ans Licht. Eine Ironisierung der Angst des Westens vor dem Islam.

Qureshi ist nicht der einzige Künstler, der klug über die Bande des westlichen Blicks spielt. In Schardscha zeigt eine selbstbewusste Kunstszene mit Wurzeln im Nahen Osten, in Südasien oder Nordafrika, was sie kann. Und ein Filmemacher aus Bangladesch wie Naeem Mohaiemen äußert sich kompetenter zur Geschichte der RAF in Deutschland als Josephine Meckseper zum Ölboom am Golf.

Zur zentralen Metapher haben die Kuratoren das Genre Film gewählt, die Schau mit ihren über 100 Künstlern sollte einen Plot entfalten, Charaktere vorstellen und Motive entwickeln. Das Setting ist gelungen: Schardscha hat, anders als beispielsweise Dubai, einige wenige seiner traditionellen Häuser aus Korallen und Lehm restauriert und in Museen verwandelt, statt sie abzureißen, und die bieten nun einen reizvollen Parcours vom Sharjah Art Museum durch schmale Gassen und schattige Innenhöfe.

Aber eigentlich haben die Künstler diesen Überbau nicht nötig, ihre Geschichten konnten auch allein stehen. Die Amerikanerin Judith Barry ließ Frauen aus Kairo von ihren unterschiedlichen Lebensbedingungen erzählen, ihre „Cairo Stories“ überraschen die Besucher in Treppenhäusern und Gängen. Bouchra Khalilis „Mapping Journey Project“ verfolgte die absurden Wege von Arbeitsmigranten über diverse Kontinente. Emily Jacir kehrte in einem gespenstischen Animationsfi lm zum „Lydda Airport“ im Palästina der 30er-Jahre zurück, der heute nach David Ben-Gurion benannt ist – Palästinenser dürfen hier nicht mehr einreisen. Shumon Basar, Eyal Weizman und Jane und Louise Wilson produzierten gemeinsam einen spannenden Film über das Hotel in Dubai, in dem der Mossad im Januar 2010 einen Hamas-Führer exekutiert haben soll.

Das Böse ist in diesen Plots allerdings auffällig oft mit Israel besetzt, Kunst aus dem verhassten Staat offenbar nicht erwünscht. Ein weiteres Tabu auf dieser Biennale.

Schardscha-Biennale, bis 16. Mai