Da liegt ein Mann im Bett, mit eingefallenen Wangen, die Augen geschlossen. "Artist at Work" hat der kroatische Konzeptualist Mladen Stilinović vor fast 40 Jahren seine subversive Schlafaktion genannt. Christine Macel hat die dabei entstandenen kleinformatigen Schwarz-Weiß-Bilder nun in das Entree des zentralen Biennale-Pavillons gehängt, als Sinnbild der Muße und der widerständigen Kraft der Kunst. "Viva Arte Viva" ist der etwas roncallihafte Titel ihrer Biennale: Die Künstler und nur sie sollen gefeiert, Kunst als Gegenmittel zum krisengeschüttelten Turbokapitalismus der Gegenwart stark gemacht werden. Aber sollte zu dem Zweck der blasse Herr Stilinović nicht besser mal aufstehen und was essen? Sind wir denn hier in der Dachkammer von Spitzwegs armem Poeten gelandet?
Das Zweite, was man sieht, ist die Amerikanerin Dawn Kasper, die irgendwann aus Geldmangel begonnen hat, ihr Studio in ihren Ausstellungen aufzubauen – gerade spielt ihre Band wirren Noise, die Künstlerin stolpert krachend über ihr Schlagzeug. Und dann? Landet man in Olafur Eliassons Bastelwerkstatt, in der afrikanische Migranten unter den Augen reicher Sammler grüne Lampenschirme zusammensetzen, die dann für einen guten Zweck verkauft werden. Eliassons soziales Engagement in Ehren: Er stellt die Geflüchteten hier aus wie im Zoo.
Natürlich, Künstler sind toll. Aber so toll, dass sie die Party ganz alleine schmeißen könnten, sind sie dann doch nicht. So ist der Pavillon der Biennale in den Giardini, wo die Kuratoren normalerweise den Ton für ihre Schau setzen, recht kopflos geraten. Und auch in der Folge bekommt Macel die Ausstellung hier nicht recht in den Griff.
Es gibt einige überzeugende Einzelwerke, wie die Tapete mit Zeichnungen aus Petrit Halilajs alter Schülerbibel, von denen ein Weg führt zu der kindlich und fein anmutenden, sanft surrealen Ölmalerei von Firenze Lai aus Hongkong. Dazu Entdeckungen wie die seltsam körperlichen kinetischen Strumpfhosenskulpturen der 1943 in Chicago geborenen Amerikanerin Senga Nengudi oder der Film der 1983 geborenen Taus Makhacheva aus Dagestan, die einen Seiltänzer über einen Abgrund schickt, mit alten Ölbildern im Stil des sozialistischen Realismus in der Hand. Aber zu einer Erzählung oder auch einem ästhetischen Erlebnis verdichtet sich der Parcours hier nicht. Manches enttäuscht auch, wie der neue Film der gefeierten jungen Videokünstlerin Rachel Rose: Warum sollte man sich für die geträumten Abenteuer eines kleinen, gezeichneten Hasen zwischen bunten Farben und Formen interessieren?
Besser ist es im Arsenale. Hier gerät man gleich im ersten Raum in den Sog des magischen Zirkels aus alten Fernsehschirmen des Chilenen Juan Downey (1940–1993): Er war bereits in den 70er-Jahren mit einer der allerersten verfügbaren Videokameras zu indigenen Völkern in Lateinamerika gereist, hatte ihren Alltag gefilmt und sie auch selbst filmen lassen. Die Stammesmitglieder fischen, lagern entspannt am Feuer, rauchen irgendein Zeug, das Bild kippt in halluzinogene Verfremdung – Technologie verschmilzt mit archaischen Praktiken zu etwas Neuem, in dem – und das ist entscheidend – Blicke nicht nur empfangen, sondern getauscht werden. Rund um diesen "Circle of Fires" geht der Rollenwechsel weiter, wenn die Biennale-Besucher – und zwar alle und nur aus Spaß, nicht als Spendenaktion für Flüchtlinge – aus den bunten Kuben des Pakistaners Rasheed Araeen neue Skulpturen zusammenbauen können.
Die Themen der Gemeinschaft, der Spiritualität und der Partizipation ziehen sich durch die langen Fluchten des Arsenale, formal symbolisiert in unendlich vielen Fäden, Textilarbeiten, Wirkwaren – man kann das kitschig finden, aber zumindest schafft es eine Ästhetik, in der Inhalt und Form sinnvoll zusammenklingen.
Durch die berückend schönen Vorhänge, mit denen Leonor Antunes dem Architekten Carlo Scarpa und den Glasbläsern von Murano ihre Reverenz erweist, spaziert man zu dem Raum mit Franz Erhard Walthers starkfarbigen, fast strengen Textilobjekten – der 77-Jährige bekam völlig zu Recht den Goldenen Löwen als bester Künstler der Ausstellung –, um am Ende vor einer Wand mit riesigen bunten Puscheln der 1934 geborenen Amerikanerin Sheila Hicks zu stehen: Abstraktion kann auch ganz weich sein.
Sinnfällig schlägt die Ausstellung die Brücken zwischen den alten und neuen Avantgarden: So findet der Rausch der Amazonasbewohner ein zeitgenössisches Echo in Jeremy Shaws neuem Film "Liminals" (2017), der die Tänzer einer imaginären Techno-Sekte auf dem Weg in höhere Bewusstseinssphären begleitet, und die in Gummi gepresste Unterwäsche der Schweizer Künstlerin Heidi Bucher (1926–1993) wird zum Vorläufer der posttechnologischen Gewänder, die Mariechen Danz bei ihrer starken Performance trägt.
In dieser Biennale des Fädenspinnens vereinen sich Neo-Hippies mit denen der 70er, Erotik und starke Farben sind erlaubt, und keine spirituelle Anwandlung ist mehr peinlich – was zunächst einmal befreiend ist, denn Coolness ist ja auch nicht mehr als eine gut designte Sackgasse. Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass die Kuratorin der Figur des Künstlers keinen Gefallen tut, wenn sie ihr so viele bunte Lampions aufhängt. Das Genie ist tot, seine Enkel haben sich unauffällig vom Sockel geschlichen – warum sie wieder heroisieren?
Interessant ist, dass thematisch die sinnenfrohe Venedig-Biennale und die vergrübelte Documenta gar nicht so weit voneinander entfernt sind: Beide gehen zurück zu den Kommunen und spirituellen Experimenten der 70er, beide beschäftigen sich mit indigenen Völkern und der Situation von Geflüchteten und Migranten. Es sind die Themen unserer Zeit. Aber mit Naivität kommt man ihnen nicht bei. Im Trubel von Venedig, wo Ernesto Neto Mitglieder des brasilianischen Huni-Kuin-Stamm in einer Art Polonaise durch die Massen der Vernissagegäste in den Giardini schickt, ist gut gemeint nicht immer gut gemacht.