Fred Sandback in der Whitechapel Gallery

Rasende Fäden

Der britische Künstler Ryan Gander zerlegt Mondrians Kompositionen in den Arsenale-Hallen der Venedig-Biennale in ein gerahmtes Farbsammelsurium entlang der Ausstellungswand. Gute Idee, nur: Der amerikanische Bildhauer Fred Sandback (1943–2003) war 20 Jahre früher dran. Er überführte Piet Mondrians berühmte „Boogie Woogie“-Serie aus den 40er-Jahren ins Dreidimensionale und ließ sie wie einen pulsierenden blauen, roten und gelben Baukörper in den Himmel schnellen. Ein schnittiges Hochhaus, das einzig und allein aus Fred Sandbacks charakteristischem Arbeitsmaterial konstruiert wurde: an Wänden, Decken und Böden fixierte und gespannte Fäden.

Sandback ließ seine Fäden in alle Richtungen rasen, sie beschrieben und beanspruchten Raum auf eine völlig neue Weise. Wenn Minimal Art auch „Kunst der Sparsamkeit“ genannt wurde, war Fred Sandback, der Donald Judd in Yale kennengelernt hatte, ihr konsequentester Vertreter. Sein Werk wirkt bis heute, als legte einem jemand auf eine schwierige Frage die einfachste Lösung vor: Skulptur braucht keine Masse, um präsent zu sein. In der Mitte des Saals der Londoner Whitechapel Gallery changiert das zentrale Werk der Ausstellung, „Untitled (Sculptural Study, Seven-part Right-angled Triangular Construction)“ von 1982, zwischen Sichtbarkeit und Transparenz: ein riesiges fragiles Fadengebilde, das aus der Distanz und bei richtiger Perspektive so standhaft wie ein enormes Baugerüst erscheinen kann.

Die Londoner Schau ist mit gerade einmal fünf Arbeiten klein, doch sie macht Lust, Sandbacks Konstruktionen an noch viel kühneren Orten zu sehen. Im Pariser Grand Palais beispielsweise schnappten bis vor Kurzem Besucher aus aller Welt täglich nach Luft, erschlagen von Anish Kapoors gigantischen Auberginenformen. Ein Jammer, dass man nie erleben wird, wie Fred Sandback diese 5000 Quadratmeter Glas und Eisen bespannt und umgarnt hätte. 

Whitechapel Gallery, London, bis 14. August