Schirn Frankfurt

Rühren in der Wunde

Leblose Körper, verstümmelt, zerhackt, Eingeweide quellen hervor, Blut mischt sich mit Eiter. Alles ist Wunde. Und Eugen Schönebeck rührt mit seinem Pinsel immer wieder darin herum. Kein Wunder, dass er in den 60er-Jahren damit nicht ankam. Solche Bilder waren in der BRD der properen Wirtschaftswunderjahre nicht erwünscht. Malerei hatte erstens abstrakt und zweitens unpolitisch zu sein. Eugen Schönebeck schont seine Zeitgenossen nicht. Als einer der ersten deutschen Künstler thematisiert er die traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, führt den eierlikörtrunkenen Westdeutschen ihre eigene Brutalität vor Augen. Ein Affront gegen die damals hochgehaltene Doktrin des Verdrängens.

Doch Schönebeck geht nicht nur mit anderen hart ins Gericht, er ist auch hart gegen sich und seine Kunst. Viele seiner Gemälde zerstört er, etliche Arbeiten existieren heute nur noch auf Fotografien.

Nun entdeckt die Frankfurter Schirn den von der Kunstgeschichte fast vergessenen Schönebeck wieder und ehrt ihn mit einer sensationellen Retrospektive. Fast alle rund 30 noch erhaltenen Gemälde und etwa 30 seiner Werke auf Papier sind zu sehen. Sichtbar wird die erstaunliche Entwicklung, die Schönebeck in seiner kurzen Schaffensphase von nur zehn Jahren durchlaufen hat.

Schönebeck verewigt die Geisteswelt der DDR

Dekorationsmaler hatte er gelernt und in Ostberlin an der Fachschule für Angewandte Kunst studiert. 1955 wechselt er an die Hochschule für Bildende Künste in West-Berlin, wo er sich mit Georg Baselitz anfreundet. Gemeinsam wenden sie 1961 und 1962 in ihrem „Pandämischen Manifest“ gegen die übersättigte, bürgerliche Kunstwelt und das Informel, das als abstrakte Malerei an ihrer Hochschule dominiert. Im Duo mit Baselitz entwickelt Schönebeck den figurativen Ausdruck: Es entstehen die Kopflosen, Gehängten, Verstümmelten und eine Reihe grausam ans Kreuz Geschlagener, mit der er auf so viel Ablehnung stößt.

1964 beginnt mit dem Monumentalgemälde „Der wahre Mensch“ die zweite Schaffensperiode: Schönebeck, der die DDR verlassen hatte, verewigt die Geisteswelt der ehemaligen DDR in großformatigen Porträts: Lenin, Trotzki, Majakowski, Pasternak, sowie den mexikanischen Maler, Grafiker und kommunistischen Aktivisten David Alfaro Siqueiros.

Rückzug aus der Kunst
Sein bekanntestes Porträt zeigt Mao mit Rose. Bevor die Linken sein Konterfei auf Fahnen und T-Shirts druckten und Richter, Polke und Warhol sein Potenzial erkannten, malte Schönebeck den Großen Vorsitzenden als politische Ikone. Ohne jedoch propagandistische Zwecke damit zu verfolgen. Ihm geht es darum, die Wirkungsmechanismen des sozialistischen Realismus und der Ideologieverfallenheit auszustellen. Daher verwendet er für seine „Helden des Ostens“ den flächigen Malstil, den er während eines Wandmalerei-Praktikums in der ehemaligen DDR gelernt hatte – eine Bildsprache, die im Westen Tabu war. Tatsächlich ist bei Schönebecks Helden, die er oft vor überraschend buntem Hintergrund zeigt, nicht immer klar, ob es sich um wirkliche Helden oder um Hauptdarsteller einer Tragödie handelt.

1967 dann der Bruch: Während Baselitz über die Jahre zum Malerfürsten aufsteigt, macht Schönebeck mit 31 Jahren einfach Schluss. Einen Pinsel wird er sein Leben lang nicht mehr anfassen. Warum, darüber schweigt er bis heute.

Bis 15. Mai, Schirn Kunsthalle Frankfurt