Eine 67 Meter lange Spiegelwand zieht sich durch die gesamte Raumflucht der Prunkräume des Winterpalais in der Wiener Himmelpfortgasse. Dem Prinzen Eugen diente das Winterpalais einst als Hauptwohnsitz, als feudalen Sommersitz ließ er das Untere und Obere Belvedere errichten. Heute ist der Stadtpalast der vierte Ausstellungsort des Museum Belvedere, neben dem Schloss selbst und dem 21er Haus, einem Museum für zeitgenössische Kunst.
Die Spiegelwand gab es zu Zeiten von Prinz Eugen noch nicht, sie ist eine zeitgenössische Zutat. Mitgebracht hat sie der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson. Und ein Hashtag: #OlafurBaroque. Unter dem Titel "Baroque Baroque" ist im Winterpalais, das gern Barockjuwel genannt wird, bis zum 6. März eine Auswahl seiner Werke aus zwei privaten Sammlungen zu sehen.
Wer in die Ausstellung möchte, kommt an einem weißen Tor vorbei, das eine Aufforderung mit auf den Weg gibt. Bitte fotografieren Sie. Nur anders, denn dort steht geschrieben: "Share your view". Ein Kamerasymbol klebt daneben. Und damit auch klar ist, wohin mit den Fotos, wird einem freundlich das Hashtag mitgeteilt, das vom Künstler für die Ausstellung vorgegeben wurde. Ab in die sozialen Medien. Eigentlich keine Besonderheit. Vielleicht die Tatsache, dass das Hashtag vom Künstler selbst stammt. Nur eigentlich herrscht an allen vier Ausstellungsorten des Belvedere ein striktes Fotoverbot. Für Olafur Eliasson wurde es erstmals aufgehoben.
Im Oberen Belvedere derweil hat man sich mit einer Selfie-Station beholfen. Denn man will zwar nicht, dass die Touristen den "Kuss" von Gustav Klimt – gewissermaßen die Mona Lisa in Wien – fotografieren und in allerlei verrutschten Farbversionen ins Netz jagen, man will aber auch nicht, dass sie keine Fotos machen und in den sozialen Medien teilen. Und damit es zu keinen Verwechslungen zwischen der Kopie und dem Original kommt, wurde ein Schild aufgestellt. Der Pfeil nach rechts weist den Weg zum "Original KISS", der Pfeil nach links führt zum "KISS Selfie Point". Beide sind keine zehn Meter voneinander entfernt. Fotografieren erlaubt, erwünscht und obendrein gibt es für ein "KISS Selfie" sogar noch einen Preis. Das verspricht zumindest der Wegweiser, unter dem angegebenen Link allerdings findet sich zu all dem nichts.
Während also vor dem Selfie Point Eltern ihre Kinder fotografieren und Paare umschlungen wie auf dem Original für ein Selfie posieren, nimmt man es überall sonst im Haus sehr genau mit dem Fotoverbot. Schon das Smartphone in der Hand des Museumsbesuchers lässt das Wachpersonal nervös näher kommen, in Position für ein Foto gebracht, löst es hektische Schritte und verzweifelte Schreie aus.
Unten in der Stadt im Winterpalais ist das Wachpersonal dieser Tage entspannt. Ihnen bleibt nur, höflich eiligen Schrittes aus dem Bild zu gehen. Die Spiegelwand freilich lässt kaum zu, dass eine Person im gleichen Raum nicht mit im Bild ist. Deshalb bleiben die Museumsbesucher rücksichtsvoll stehen, wenn etwa jemand im schmalen Goldkabinett mit der Arbeit "Eye see you" im Rücken ein Art Selfie machen möchte. Sie betreten den Raum nicht, lächeln verständnisvoll, warten geduldig, bis sie selbst an der Reihe sind. Vor der hinteren Wand des Goldkabinetts steht ein Solarkocher auf einem Stativ, eine mittig angebrachte Natriumlampe strahlt ein leuchtend-gelbes Monofrequenzlicht aus und taucht den Raum in gelbes Licht.
Solche Szenen kennt man sonst vom Olympus Photography Playground. Für den Kamerahersteller schufen Künstler fotogene Werke, die zu einem Spielplatz arrangiert werden können. Während der Triennale der Photographie machte der Playground Halt in Hamburg. Die Schlangen waren täglich lang. Kameras konnten kostenlos getestet werden, für den Großteil war der Besuch des Playgrounds aber wohl eher eine Gelegenheit, mit dem Licht vor der Linse zu spielen.
Aus Licht wird auch in Eliassons Arbeit "Your uncertain shadow" in Wien Spielerei. Auf dem Boden sind fünf auf eine weiße Leinwand gerichtete HMI-Leuchten aneinandergereiht. Die Strahler: orange, blau, magentarot, zwei Mal grün. Passieren die Besucher die Lichtkegel, werden ihre Schatten in den verschiedenen Farben an die Wand geworfen. Unter dem Hashtag #OlafurBaroque sind am häufigsten die farbigen Schatten auf der weißen Leinwand zu sehen und Museumsbesucher, die springen, turnen – die Position "Kerze" begegnet einem sonst eher auf bequemen Matten in der Turnhalle – oder einfach nur posieren.
Olafur Eliasson tut man natürlich Unrecht, wenn man seine Werke nur mit Spielereien in Verbindung bringt. Eliasson ist auf Partizipation aus oder wie Daniel Birnbaum es formuliert: "Olafur Eliassons Kunst ist nicht vollständig ohne dich, tatsächlich bist du ein Teil davon. Seine Arbeiten sind keine selbstgenügsamen Objekte im üblichen Sinn; vielmehr sind sie Environments – produktive Arrangements, heterogene Apparate –, die auf dein Erscheinen warten." Den Autoren des Katalogs ist außerdem viel daran gelegen, eine Verbindung zwischen dem Künstler und den barocken Räumlichkeiten des Winterpalais herzustellen. Im Barock wie auch in Eliassons Werk seien spezifische Merkmale zu finden: Bewegung, der Versuch, die Unendlichkeit wiederzugeben, der Einsatz von Spiegeln, die Verschiebung von Perspektiven, die Bedeutung des Lichts und das Vermischen der Grenzen der verschiedenen Kunstformen – Architektur, Malerei, Skulptur, wie der Kurator Mario Codognato schreibt.
Spiegel sind eines der Hauptmerkmale der Barockarchitektur. Im Schloss Versailles, dem wohl bekanntesten Beispiel, reflektieren auf 73 Meter 17 Spiegel die 17 Bogenfenster und den Blick auf den Garten. Eliasson verstellt mit seiner Spiegelwand den Blick nach draußen, verdeckt die Fenster. Im Innern spiegelt sich kein Außen. Dafür haben die Besucher 67 Meter Spiegel, die die barocken Innenräume und sie selbst reflektieren. Bitte fotografieren Sie, kann man da nur sagen.