Die Kunstwelt ist der reinste Horror: Unglückliche, hyperneurotische Menschen jetten durch die Zeitzonen und machen sich das Leben gegenseitig zur Hölle, mit komplett verklausulierter Kunst, sinnlosen Machtgebarden, Betrug, Schleimerei und Gier. Immer müssen diese armen Gestalten so tun, als ob sie noch orientiert wären, dabei haben sie schon zwischen Studium und erstem Galeriejob den Durchblick verloren, was das alles soll.
So oder ähnlich freudlos zeichneten Filmemacher in den letzten Jahren die Kunstwelt, oft mit großer Geste: Ich halte euch hier den Spiegel vor, jetzt wird die ganze Scharlatanerie offenbar! Auch in gelungeneren Satiren wie "Boogie Woogie" (2010) oder "The Square" (2017) zerfällt die Kunstweltfassade, und die in White Cubes verblödeten und verhärteten Figuren erwachen endlich aus dem Verblendungszusammenhang.
Jetzt versucht sich auch Regisseur Dan Gilroy ("Nightcrawler") mit der Netflix-Produktion "Velvet Buzzsaw" an diesem Mikrogenre, in Deutschland ist der Film unter dem Titel "Die Kunst des toten Mannes" bei dem Streamingdienst gestartet. "Velvet Buzzsaw" spielt in der Kunstszene Los Angeles, die ja eigentlich als sonnigere und entspanntere Variante des Marktmachtzentrums New York gehandelt wird, hier aber dem Haifischbecken Chelsea in nichts nachsteht. Da ist zum Beispiel der Aufbauhelfer, ein gescheiterter Künstler, der jetzt überall seinen Senf dazugeben muss. Da ist der einst erfolgreiche Künstler Piers (John Malkovich) in der Schaffenskrise. Das ist der hohle Junggalerist, der den einst erfolgreichen Künstler umwirbt. Da ist die Museumsmitarbeiterin, die gefrustet ist von der Macht privater Sammler und nun selbst Kunstberaterin wird. Und da ist die ehrgeizige Josephina (Zawe Ashton), die ihren Platz in der Hackordnung sucht. Sie sieht ihren Moment gekommen, als sie in der Wohnung ihres verstorbenen Nachbarn ein unbekanntes Lebenswerk findet: düstere Gemälde, mit denen der alte Mann offenbar einige Traumata verarbeitete.
Josephina rettet den Nachlass vor der Vernichtung durch die Müllabfuhr und ihre Chefin, die mächtige Galeristin Rhodora Haze (Rene Russo), wittert sofort das große Geschäft. Gemeinsam bringen sie die Bilder dieses "Outsider Artists" auf den Markt – wo der Fund als Sensation gefeiert wird.
Dan Gilroy, der auch das Drehbuch geschrieben hat, beweist ein großes Wissen über die Branche, die hier nicht einfach als monolithischer Block erscheint, sondern von verschiedenen Akteuren umkämpft wird: Sie alle kommunizieren, handeln, tasten ideenreich entlang dieser so fremden Dinge, die die Kunstwerke sind. Auch der einflussreiche Kunstkritiker Morf Vandewalt (Jake Gyllenhaal), bisexuell und integerer Anwalt des guten Geschmacks, lässt sich entflammen von den neu aufgetauchten Bildern. Er beginnt sofort das Leben des Toten zu recherchieren – und stößt auf seltsame Details. Auch mit den Gemälden stimmt etwas nicht. Plötzlich ereignen sich grausame Unfälle.
Es ist natürlich ein Spaß, die cleanen Ausstellungsräume und Erlebniswelten der Galerien aufzubrechen und zu besudeln, und Gilroy ist nicht der erste Filmemacher, der von der Kunstwelt in einem Horrorthriller erzählt. In "Driller Killer" (1979) bohrt ein Künstler, von Regisseur Abel Ferrara selbst gespielt, seinem Galeristen, der ihm keinen Vorschuss mehr gewährt, mit einer Bohrmaschine das Herz auf – als wollte er nachschauen, ob da überhaupt noch irgendwas schlägt. Auch in "Tatorten" ist die angeblich so windige Kunstwelt ein beliebter Schauplatz.
Bei "Velvet Buzzsaw" besteht die ursprüngliche Gewalt in der Aneignung des nicht für den Markt gedachten Werks durch den Markt. Mit Marx gesprochen: durch die Verwandlung "lebendiger Arbeit" in Ware. Wenn wie im Film die Bilder zurückschlagen, erinnern sie daran, wie schmerzvoll dieser Prozess sein kann. Dass Gilroy diesen Schwenk in die Phantastik macht und eben nicht nur vom Kunstmarkt erzählt, sondern vom globalisierten Markt allgemein, macht den Film neben den vielen guten Dialogen und Pointen so sehenswert. Auf eine verdrehte Weise wird hier sogar eine Utopie formuliert, wenn auf diesem neoliberalen Tummelplatz die ewig gedemütigte, schon morgens verheulte Galerie-Assistentin alle Hierachien überlebt. Da lässt man dem Regisseur auch etwas zu häufig durchgekaute Gags durchgehen, wenn mal wieder ein Alltagsgegenstand mit Kunst verwechselt wird.
Das generelle Problem von Kunstmarktsatiren besteht darin, dass die echten Vorbilder sich selbst schon so überspitzt inszenieren, ironisieren und alle Widersprüche mitdenken - da bleibt für Satire kaum noch Platz. Die hohen Preise für Kunst, die Bedeutung von Personen und Einrichtungen, der Kanon, die Fragen von Einschluss und Ausschluss, das muss alles immer wieder neu und theatralisch aufgeführt werden, durch VIP-Events, Eröffnungen, Habitus, Mode, Jargon. Gilroy hat ein Händchen dafür, das filmisch abzubilden, etwa wenn in den Anfangssequenzen auf der Art Basel / Miami Beach der Stress am First-Choice-Counter gezeigt wird. Genauso ist es. Genauso lustig und genauso traurig.
Im Gegensatz zu anderen Kunstmarktsatiren lässt "Velvet Buzzsaw" aber durchblicken, was überhaupt die Schönheit von Kunst ausmacht: Hier schauen andere Künstler mit Bewunderung auf den Nachlass des toten Mannes, und auch Kunstkritiker Vandewalt ist von echter Hingabe getrieben. Fast kann man darin so etwas wie Neid des Regisseurs auf eine andere Gattung erkennen: Der Film kann zwar die Malerei inkorporieren - aber ihre Intensität und Gewalt vielleicht nie erreichen.