Ausstellung im Museum MARTa Herford

Mit Bucky in die Zukunft

Der Planet ist klein geworden. Doch groß muss unser Denken werden, um trotz Atomkatastrophe und Umweltverschmutzung darauf leben zu können. Auf der Suche nach Weltentwürfen jenseits von Mülltrennung und Atomausstieg entdecken zeitgenössische Künstler einen Visionär der 60er-Jahre wieder: Der amerikanische Architekt und Designer Buckminster Fuller war einer der Ersten, die konsequent in kosmischen Dimensionen dachten; in seinem Essay „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“ predigte er das Mantra der „Nachhaltigkeit“ – 50 Jahre bevor es zur Wahlkampf-Worthülse wurde.

Fullers berühmteste Erfindung sind seine geodätischen Kuppeln, in Leichtbauweise zusammengefügte Strukturen, die trotz scheinbar zerbrechlicher Eleganz kein Tornado in die Knie zwingen konnte. Auf der Weltausstellung 1967 in Montreal wurden sie als architektonisches Äquivalent zu Apollo 11 präsentiert – bis heute sind sie Inbegriff des Weltraumzeitalters.

Doch Fullers Denken war allumfassend: Vom „Dymaxion Car“ in spritsparender Stromlinienform über ein Einbaubadezimmer bis zum transportablen Fertighaus, das zylinderförmig von einem Versorgungsmast herabhängen sollte, entwarf er Lösungen für alle Probleme der Menschheit. Ganze Metropolen wollte er mit seinen Kuppeln vor der fortschreitenden Umweltzerstörung schützen oder, wie in seinem Projekt „Cloud Nine“, in geodätischen Wolken über der Wüste schweben lassen.

Norman Foster, der selbst mit Fuller zusammengearbeitet hat, widmet seinem Meister eine Ausstellung, die nun im Museum MARTa in Herford zu sehen ist. Reich bestückt mit Originalzeichnungen, Modellen, Filmen und einem „Dymaxion Car“, öffnet die Schau den Zugang in das vielschichtige Universum Buckminster Fuller.

Fosters lehrreiche Einführung bereitet den Boden für die zweite, weitaus größere Ausstellung, die von Fuller inspirierte Arbeiten aus den vergangenen zehn Jahren zeigt. Mit diesem Doppelarrangement handelt das MARTa konsequent nach Fullers Methode: Fuller glaubte an die Kraft des Trial and Error. Und er glaubte an die Kraft der Kunst. Für ihn waren Künstler die Einzigen, die überhaupt noch zu visionärem Denken fähig seien, weil sie sich die Integrität der Kindheit, den offenen Zugang zur Utopie bewahrt hätten. Fuller, der sich selbst als „comprehensive designer“, als eine Synthese aus Künstler, Erfinder, Mechaniker, praktischem Ökonomen und evolutionärem Strategen sah, suchte stets die Interaktion mit Künstlern, wie er sie am Black Mountain College mit Josef Albers, John Cage, Merce Cunningham und anderen erlebt hatte.

In Herford ergibt sich zwischen den beiden Ausstellungen ein Wechselspiel der Visionen. Fullers „Cloud Nine“ inspiriert Norman Foster zu einem luftblasenartigen Theater unter der Erde, Tomás Saraceno entwickelt daraus fliegende Gärten und „Airport Cities“, die wie prall aufgepumpte Buckyballs über der Erdkruste schweben. Albrecht Schäfer legt eine transparente Folie über zwei Baustellenleuchten, sodass sein „Ocellus“ wie eine fullersche Riesenqualle organisch ein- und auszuatmen beginnt. Mit einem einzigen Luftholen will Michel François die 200 Ballons für seine Arbeit „Souffles dans le verre (noir)“ gefüllt haben. Überzogen mit schwarzem Glas, hängen sie nun in einer leblosen Traube und reflektieren das Atmen von „Ocellus“.

Ähnlich wie Fuller bringt Olafur Eliasson in seiner Werkstatt Spezialisten aller möglichen Disziplinen zusammen. Dennoch tauchen Fullers Formen in Eliassons konzentrischem Sonnenauge „Eye see you“ ebenso wie in Björn Dahlems Neonröhrengalaxie nur als Formzitat auf. Auch Pedro Reyes und die Architektengruppe N55, die das „Dymaxion Car“ weiterentwickelt haben, nutzen Fullers Kosmos lediglich als alternativen Ideensteinbruch.

Bei Simon Dybbroe Møller fungieren Buckminster Fullers transformierbare Körper immerhin als Medien der Modernekritik: Sein Video „20th Century Architecture (Rhythm, Proportion and Scale)“ macht die Variation von Stahl, Glas und Beton zum Origami-Faltspiel.

Bemerkenswert sind vor allem die Arbeiten, die über das bloße Zitat hinausgehen, die Fullers Verbindung zum Militär kritisieren (Lucas Lenglets „Panzersperren“), seinen Werkstattgedanken fortführen (Silke Riechert mit ihrem „Club der internationalen Raumforscher“) oder seine Visionen sabotieren wie Ai Weiweis aneinandergeschweißte Kupferflächen „Scale“, die beim Zusammenfalten eben nicht perfekte Buckyballs ergeben.

Trotz all dieser Anknüpfungspunkte erscheint Fuller heute unendlich weit weg. Das Denken in Utopien ist uns fremd geworden. Aber wo könnten wir diese vergessene Art zu denken besser zurückerobern als in der von Frank Gehry entworfenen Museumsarchitektur des MARTa, in der die Wände sich biegen und die Sonne wandernde Kuben über „Buckys“ Weltkarte schickt?

MARTa Herford, bis 18. September