Me Collectors Room, Berlin

Menschenfressermenschen

Wir seien alle Kannibalen, schrieb der Anthropologe Claude Lévi-Strauss. „Das einfachste Mittel, sich mit dem anderen zu identifizieren, ist noch, ihn zu essen.“ Das klingt zunächst nur wie eine harmlose Metapher. Doch welche Macht die Bilder vom Auffressen des anderen auch in der sterilen Gesellschaft von heute haben, zeigt die Schau „Alles Kannibalen?“ im Me Collectors Room Berlin: Blut spritzt, Knochen fliegen, vornehme Herren werden zu Salat und Manga-Mädchen zu Sushi verarbeitet.

Doch Kuratorin Jeanette Zwingenberger ging es bei der Ausstellung, die aus dem Pariser Maison Rouge in den Berliner Showroom des Sammlers Thomas Olbricht gewandert ist, nicht nur um den – beachtlichen – Schauwert des Themas, sondern um eine kulturhistorische Aufarbeitung. Die gelingt durch die Konfrontation alter Werke und Dokumente oder Kultobjekte indigener Völker mit zeitgenössischer Kunst.

Beim unschuldigsten Kannibalismus, dem des die Mutterbrust verschlingenden Säuglings, trifft eine das Jesuskind stillende Maria aus dem Mittelalter auf Bettina Rheims’ provokant die Brust darbietende Frauen. Das Zusammentreffen von „Kannibalen“ und Kolonisatoren dokumentieren historische Fotografien von Bewohnern der Fidschi-Inseln. Wer frisst hier eigentlich wen, die Einheimischen die Missionare oder umgekehrt?

Besonders beeindruckt der Raum, der sich Francisco de Goyas Horrorbildern und seinen aktuellen Anverwandlungen widmet. Die Stiche und ihre Überarbeitungen durch die Brüder Jake und Dinos Chapman liefern den richtigen Kontext zu Sandra Vásquez de la Horras erschütternden Zeichnungen von Gewalt und Folter oder Marcel Dzamas bösen Comicszenen.

Und in der Mitte glotzt eines der modernen Schreckbilder schlechthin: ein tätowiertes Bandenmitglied mit gefletschten Zähnen, ausgeweidet und flach auf dem Boden liegend wie früher Bärenfelle vor dem Kamin – eine Skulptur des Mexikaners Renato Garza Cervera. Oder liegt das eigentliche Grauen doch eher in den Neon-sachlichen Schlagwörtern der Künstlergruppe Claire Fontaine am Eingang? „Consume, Produce, Die“: Der Kapitalismus verschlingt am Ende alles, auch die Kannibalen. 

Me Collectors Room, Berlin, bis 21. August