Medienschau

"Wenn die Künstler weggehen, wäre ein letzter Bonus von Berlin weg"

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Joaquin Phoenix und andere unterstützen Glazer nach Gaza-Äußerung, Berlin nach dem 7. Oktober und das Ende der Marlborough Gallery: Das ist unsere Presseschau am Montag

Debatte

"Berlin war ein Leuchtturm der künstlerischen Freiheit. Gaza hat alles verändert." In der "New York Times" schaut sich Kunstkritiker Jason Farago in der deutschen Hauptstadt nach dem 7. Oktober 2023 um und hat dafür unter anderem mit Peaches, Klaus Biesenbach, Ai Weiwei, Maxim Biller, Johannes von Moltke und Tobias Haberkorn gesprochen. "Berlin war pleite, aber es gab eine Gemeinschaft", sagt Peaches. "Was sich hier abspielte, war die Offenheit für all diese Überschneidungen. Und seit den letzten Monaten ist viel davon weggenommen worden." Dieses Gefühl neuer Beschränkungen, neuer Kontrollen und neuer Ängste "fordert bereits einen Preis für die Kultur in einer Stadt, die den Empfang von Künstlern zu ihrer Visitenkarte nach dem Mauerfall gemacht hatte. 'Diese Angst macht es uns schwerer, international zu arbeiten, die besten Talente auf höchstem Niveau anzuziehen und ein vielfältiges Publikum zusammenzubringen', sagte Klaus Biesenbach, der Direktor der Neuen Nationalgalerie, der zuvor Museen in New York und Los Angeles leitete. 'Wenn die Künstler weggehen, wäre einer der letzten echten Boni, die Berlin hat, weg.'"

Mehr als 150 jüdische Filmschaffende haben ihre Unterstützung für Oscar-Preisträger Jonathan Glazer zum Ausdruck gebracht. Der jüdische Regisseur ("The Zone of Interest") musste nach seiner Dankesrede bei der Oscar-Verleihung, in der er den Gaza-Krieg ansprach, Kritik einstecken. Zu den Unterzeichnern gehören Schauspieler Joaquin Phoenix und die Regisseure Joel Coen und Todd Haynes, wie "Variety" berichtet. "Wir sind jüdische Künstler, Filmemacher, Autoren und Kreativschaffende, die Jonathan Glazers Erklärung von der Oscarverleihung 2024 unterstützen. Wir waren alarmiert, als wir sahen, wie einige unserer Kollegen in der Branche seine Äußerungen falsch darstellten und anprangerten", heißt es demnach in dem offenen Brief. Glazer hatte im März den Oscar für den besten internationalen Film mit "The Zone of Interest" erhalten. Das Drama handelt von der Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. "Unser Film zeigt, wohin Entmenschlichung im schlimmsten Fall führen kann", sagte der 59-jährige Brite. "Sie hat unsere gesamte Vergangenheit und die Gegenwart geprägt. Genau jetzt stehen wir hier als Menschen, die sich dagegen wehren, dass ihr Jüdischsein und der Holocaust von einer Besatzung ausgenutzt werden, die so viele unschuldige Menschen in einen Konflikt geführt hat. Ob es die Opfer des 7. Oktober in Israel sind, der fortdauernde Angriff auf Gaza, all die Opfer dieser Entmenschlichung. Wie leisten wir Widerstand?" Anschließend gab es Zustimmung, aber auch Kritik. Prominente jüdische Branchenvertreter wie Amy Sherman-Palladino (Macherin von "Gilmore Girls") prangerten seine Rede in einem offenen Brief an und kritisierten unter anderem eine Verallgemeinerung der Schoah.

Dirk Peitz ist in der "Zeit" leicht genervt von der Politisierung der Kunst: "Wenn nun aber alles entweder politisch ist, politisch sein will oder politisch gelesen wird, es gleichzeitig stets um angeblich alles geht gerade in den Debatten, um Frieden, Menschenrechte, die Emanzipation aller Minorisierten, um Entkolonisierung, den sogenannten Westen, die Demokratie an sich, übrigens auch noch die Rettung vor der Klimaapokalypse – was sollen die Künste und die Künstler denn dann überhaupt noch tun, was bleibt noch übrig, wenn sie doch nicht belehren, aber auch nicht nur falsch schön sein sollen und sich schon gar nicht aufs Private zurückziehen, aufs Kleine, Abseitige, Nichtrevolutionäre?"

Kunstmarkt

Hintergründe zum unrühmlichen Ende der Marlborough Gallery gibt Gina Thomas in der "FAZ": "Dass nicht alles zum Besten stand, war seit Längerem bekannt. Die New Yorker Galerie – die größte der Welt, als sie 1963 mit Aplomb eröffnet wurde – geriet bereits vor vier Jahren ins Stocken. Interne Querelen zwischen den Teilhabern, Lloyds Sohn Gilbert, der früher das Londoner Geschäft führte, seinem in New York tätigen Vetter Pierre Levai und dessen Sohn Max, machten mit letztlich außergerichtlich geschlichteten Klagen gegeneinander Schlagzeilen. Paula Rego und Frank Auerbach wechselten zu anderen Galerien. Zuletzt wurde bekannt, dass auch Maggi Hambling sich nicht mehr von Marlborough vertreten lässt. Es ist ein Ende, das in Etappen kam."

Nachdem Inigo Philbrick aus dem Gefängnis entlassen wurde, könnte der wegen Betrugs verurteilte Kunsthändler auf den Kunstmarkt zurückkehren, befürchtet Georgina Adam in der "Art Newspaper": "Schließlich ist es das, was er zu tun versteht. Und solange er für seine Kunden Geld verdienen kann, sind sie vielleicht versucht, seine Vergangenheit zu ignorieren - caveat emptor oder nicht."

Interview

Nicht weniger als ein "Gespräch über ein Leben" soll das große "NZZ"-Interview von Benedict Neff mit dem Künstler Ugo Rondinone sein. Tatsächlich geht es dann aber auch viel um den Tod, mit dem der Künstler früh konfrontiert war durch den Aids-Tod seines Freundes 1989. Die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit interessiere ihn auch in seinem Werk: "Der sterbliche Mensch ist der Gegenpol zur Unendlichkeit der Natur. Gleichzeitig ist der Baum ein Sinnbild der menschlichen Existenz. Bäume sind Lebensuhren, die über Jahrtausende ticken können. Ich sehe darin Friedrich Nietzsches Gedanke von der ewigen Wiederkunft des Gleichen, ebenso die Idee der Leere, die der Buddhismus zelebriert. Zeit – in ihrer vertrauten Einteilung in Stunden, Tage, Monate, Jahre und Jahrhunderte – hat meine Arbeit von Anfang an begleitet. Wenn meine Arbeit eine irrationale Annäherung zur Welt ist, dann geben mir das System und das Konzept von Zeit doch ein Gefühl von Erdung und Orientierung. Ein Bild mit Datum und Titel ist wie ein persönlicher Tagebucheintrag."

Apropos vergängliches Leben: Für Rondinones Landsmann Martin Suter ist vor allem eine Sache wichtig: "Je länger ich lebe, desto mehr habe ich gemerkt: 'All You Need Is Love' ist eine ziemlich kluge Zusammenfassung des Lebens", sagte der Bestsellerautor der "Augsburger Allgemeinen". Im Interview wird er gefragt, ob er der Ansicht sei, ein erfülltes Leben zu haben, weil er wahre Liebe erfahren habe. Darauf antwortete Suter: "Das kann ich schon so behaupten. Ich habe schon lange nicht mehr das Gefühl, etwas im Leben verpasst zu haben." Der Schweizer hat kürzlich seinen jüngsten Roman "Allmen und Herr Weynfeldt" veröffentlicht. Vergangene Woche wurde bekannt, dass er gemeinsam mit dem Autor Benjamin von Stuckrad-Barre an einem zweiten Gesprächsband sitzt, der Ende Oktober erscheinen soll. Außerdem arbeite er aktuell an einer Komödie, sagt er im Interview.  Vergangenes Jahr starb Suters langjährige Ehefrau, Margrith Nay Suter. Fällt es ihm schwer, nun eine Komödie zu schreiben? Er könne das trennen, sagte er. "Vielleicht hat es damit auch zu tun, dass ich das Schreiben als meinen Beruf betrachte, auf den meine Gemütslage keinen Einfluss haben sollte."