Medienschau

Die elefantösen Fußstapfen der Roberta Smith

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Eine der weltweit bekanntesten Kunstkritikerinnen geht in den Ruhestand, Hans Eichel gibt den Documenta-Ritter und der Kunst-Markt unterbricht die Rekordjagd: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch
 

Debatte

Der ehemalige Oberbürgermeister von Kassel und Ministerpräsident von Hessen, Hans Eichel, sieht sich offenbar gerade hauptberuflich als Verteidiger der gescholtenen Documenta. In der "Frankfurter Rundschau" hat er noch einige Anmerkungen zur Documenta Fifteen und dem Abschlussbericht des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung, das die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die globale Kunstausstellung von 2022 überprüfte. So zitiert er aus dem Gutachten: "Auf der Ebene der Werke besteht ein Konsens im Gremium, dass vier Werke der Documenta Fifteen auf antisemitische visuelle Codes verweisen oder Aussagen transportieren, die als antisemitisch interpretiert werden können beziehungsweise interpretiert werden müssen." Eindeutige visuelle antisemitische Codes fanden sich im Banner "People’s Justice" von Taring Padi und einer Zeichnung von Naji al-Ali, weitere andere Werke "können zudem plausiblerweise als antisemitisch im Sinne eines israelbezogenen Antisemitismus interpretiert werden." Dazu fragt Eichel: "Das war’s?!", und ordnet angesichts der insgesamt rund 1500 teilnehmenden Documenta-Künstlerinnen und -Künstler ein: "Wir könnten uns glücklich schätzen, wenn es in Deutschland so wenig Antisemitismus gäbe wie auf der Documenta Fifteen." Er räumt aber auch ein, dass jedes antisemitische Kunstwerk eines zu viel sei. Dennoch fragt er, ob das Gremium nicht aus Fairness gegenüber der Documenta darauf hätte hinweisen müssen, dass die öffentliche Erregung in Politik und einem Großteil der Medien in "keinem Verhältnis zu den Tatsachen" stand.
 

Nach Berlin will nun auch die Stadt Dortmund ein Denkmal für die Geschichte der sogenannten Gastarbeiter errichten. In der "Süddeutschen Zeitung" berichtet Max Florian Kühlem von einer Diskussionsveranstaltung zu dem geplanten Projekt, bei der von den Teilnehmenden vieles in Frage gestellt wurd. Auch der Begriff Gastarbeiter selbst, wie ein türkischer Zuwanderer der ersten Generation anmerkte. Warum müsse man sich heute noch mit diesen Kategorien befassen? "Aus diesem Wortbeitrag spricht der Wunsch nach Normalität, nach selbstverständlichem Miteinander. Und die Sorge, dass ein Gastarbeiter-Denkmal nicht in erster Linie Würdigung und Anerkennung vieler Lebensleistungen bringen, sondern auch alte Wunden aufreißen könnte. Immerhin benennt das Wort Gastarbeiter klar, was viele Deutsche sich seit den 1960er-Jahren bis zum Anwerbestopp 1973 gewünscht haben: Gäste aus dem Ausland, die mit ihrer Arbeitskraft die Wirtschaft in Schwung bringen - und dann gerne auch wieder gehen. Deshalb wird in der Dortmunder Diskussion natürlich auch Max Frisch zitiert, der 1965 schrieb: 'Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.'"


Kunstkritik

Eine wichtige Stimme der Kunstkritik wird zwar nicht verstummen, aber zumindest etwas leiser werden. Wie die "New York Times" in einem Statement schreibt, will Roberta Smith, Chefkritikerin und Autorin von über 4500 "Times"-Artikeln, in den Ruhestand gehen. Zumindest ein bisschen. Denn auf Instagram schrieb sie prompt, dass sie ab und zu weiterhin Texte publizieren will. Wie aus der "NYT"-Würdigung hervorgeht, gab es zum Thema Kunst in den Redaktionen immer nur eine einzige Frage: "Was sagt Roberta dazu?". Die Zeitung schreibt weiter: "Das verdanken wir ihrem leuchtenden Auge und ihrer genauen Beobachtung, ihrem fundierten Wissen und ihrer unermüdlichen Recherche sowie ihrer erfreulich klaren und verständlichen Schreibe. In mehr als 50 Jahren hat Ro das Neue geadelt, das Übersehene gefeiert und die Institutionen an vielen Fronten zur Rechenschaft gezogen, einschließlich der Repräsentation und der Ankäufe, während sie den marginalisierten Bereichen des Kunstschaffens, insbesondere der Außenseiterkunst und des Kunsthandwerks, einen neuen Kontext gab." Auch andere Medien zollen der berühmten Kritikerin Tribut, die mit dem ebenfalls nicht gerade unbekannten "New York"-Kunstautor Jerry Saltz verheiratet ist. So schreibt beispielsweise "Artforum": "Es ist noch nicht klar, ob die 'Times' versuchen wird, jemanden zu finden, der in Robertas elefantöse Fußstapfen treten kann."


Kunstmarkt

Für die Art Basel und die Bank UBS erstellt die Kunstmarkt-Expertin Claire Andres ihre vielbeachteten Kunstmarktberichte, die als Barometer für die Branche gelten. Den aktuellen Art Market Report für 2023 analysiert Ursula Scheer in der "FAZ". In dem Dokument zeige sich ein Bild eines Marktes, "der trotz Abschwächung robust bleibt, dessen Kräfte sich aber von oben leicht in Richtung Mitte verschoben haben – und gen Asien". Damit kehre sich ein Trend der vergangenen Jahre um. "Die Post-Covid-Erholung des Markts hatte sich 2021 vor allem in dessen oberer Region abgespielt. Das Segment mit Kunstwerken, die mehr als zehn Millionen Dollar kosten, legte damals am stärksten zu. 2022, als sich der Aufschwung verlangsamte, blieb das Zehn-Millionen-Plus-Segment der einzige Wachstumsbereich. 2023 war die Zahl der verkauften Lose im oberen Preissegment kleiner, weil Käufer wie Einlieferer sich zurückhielten, die Aktivitäten im unteren Preissegment steigerten sich hingegen. An der schieren Anzahl extrem kaufkräftiger Kunden kann das nicht gelegen haben: Das Vermögen in der Hand von Milliardären hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, wenn der Zuwachs sich zuletzt auch etwas verlangsamte."


Restitution

Zu den Unzulänglichkeiten der Washingtoner Erklärung und die Langsamkeit Deutschlands bei der Restitution von NS-Raubkunst befragt der "Tagesspiegel" den Juristen Benjamin Lahusen. Dieser war auch Geschäftsführer der Beratenden Kommission, die für die "Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts" zuständig ist. Im Gespräch mit Eva Murašov und Adrian Schulz fordert er eine juristisch belastbare Grundlage für Rückgaben und spricht über die Probleme mit der bisher geltenden Selbstverpflichtung der sogenannten Washingtoner Erklärung: "Das Vorgehen sollte den Trägern der Kultureinrichtungen einen möglichst großen Handlungsspielraum bei der Suche nach gerechten und fairen Lösungen ermöglichen. Zudem sollten keine Präzedenzfälle entstehen. Die Bundesregierung ist 1998 nämlich auch mit der Vorstellung nach Washington geflogen, dass die deutschen Einrichtungen davon profitieren werden. Es ging nicht nur darum, Verfolgten des Nationalsozialismus etwas zurückzugeben. Im Gegenteil: Man ist vielmehr davon ausgegangen, dass Deutschland von der wieder aufgenommenen Restitutionspolitik profitiert und zurückerhält, was die Alliierten weggenommen haben."


Ausstellung

Katharina Cichosch hat sich für die "Taz" die Ausstellung "Kryptomania. Die Verheißungen der Blockchain" im Zeppelin Museum Friedrichshafen angeschaut, die sich ihrem Thema künstlerisch, technisch und gesellschaftlich annähert. "Wer an Elon Musk denkt oder an autokratische Staaten weltweit, möchte derzeit eher nicht auf die demokratisierenden Potenziale einer virtuellen Technologie allein hoffen. Aber die Verheißungen, das zeigt diese Ausstellung, rufen laut."