Medienschau

"Beispiellose Selbstgerechtigkeit in der Kunstszene"

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Ai Weiwei, Museum Folkwang, Documenta, Fotoschau zu muslimischem Leben in Berlin: Der Nahost-Krieg wird zur Zerreißprobe für den Ausstellungsbetrieb, ein Überblick in unserer Presseschau

Niklas Maak besichtigt in der "FAZ" anlässlich des jüngsten Documenta-Eklats die Frontlinie, die deutsche Kulturinstitutionen seit der Debatte um die BDS-Bewegung durchzieht: "hier die deutsche Kulturpolitik, die eine klare Distanzierung vom Hamas-Terror und ein Bekenntnis zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels einfordert, dort eine Kunstszene, die einen deutschen, wie es in der Ankündigung einer Berliner Demo von Kulturschaffenden heißt, 'kaum verhohlenen Rassismus' und eine Arroganz gegenüber den Sichtweisen 'des globalen Südens' erkennen will und die Israel als 'Apartheid-Staat' verurteilt." Das Unangenehmste an Teilen des Kunstbetriebs sei, so Maak weiter, "ihre beispiellose Selbstgerechtigkeit: Israelis und Palästinenser sterben auf grauenhafte Weise – das größte und wichtigste Opfer aber ist man selbst; man wähnt sich so sehr auf der richtigen Seite, dass die blinden Flecken irgendwann das gesamte Sichtfeld einnehmen. Was nicht gut ist für eine Berufsgruppe, die sich dem schärferen und besseren Sehen widmen wollte."

"Die kommende Documenta ist jetzt schon am Ende", schreibt Thomas E. Schmidt in der "Zeit": "Will man die Kunst der Welt nach Kassel holen, bleibt man auf Kuratoren angewiesen, die differenziert in anderen Zusammenhängen kommunizieren. Man kann dann deren Auffassungen nicht tagesaktuellen eigenen Bedürfnissen gemäß vereinfachen und abfragen. Verständnis für Israel heute drückt sich nicht durch Gesinnungsprüfung aus. Keiner möchte auf der Documenta judenfeindliche Abbildungen oder Hamas-Botschaften sehen, aber ein strikt an der deutschen "Staatsräson" ausgerichtetes Kulturereignis wäre kein kulturelles mehr. Die Documenta-Kommission ist am Ende, man muss nun neu beginnen, schon wieder."

Die Absage einer Ausstellung mit Fotos Raphael Maliks von muslimischen Leben in Berlin ist nur ein Fall von vielen Rückziehern im Kulturbetrieb im Zuge des Nahost-Kriegs, schreibt Susanne Memarnia in der "taz". "Wenn Kunst, die niemanden verletzt, aus Angst nicht mehr gezeigt wird, haben wir ein Problem“ , sagt Fotograf Malik, dessen Bilder nun erstmal nicht gezeigt werden. Zum gleichen Thema schreibt Sonja Zekri in der "SZ": "Es wird immer Menschen geben, die sich einen engeren Meinungskorridor wünschen, manche hätten ihn gern so eng, dass andere Ansichten nicht mehr hindurchpassen. Es wäre weltfremd zu glauben, dass diese Gefahr derzeit nicht besteht. Und die Folgen liegen auf der Hand. Wenn bereits Ausstellungen wie die seine aus diffuser Sorge abgesagt werden, so Malik, 'verlieren wir womöglich sehr viel Kunst'."

Nachdem das Museum Folkwang die Zusammenarbeit mit Anaïs Duplan beendet hat, wirft der in den USA lebende Kurator und Autor in einem Interview mit "Hyperallergic" dem Museum vor, es lasse jeden Versuch vermissen, einen wirklichen Dialog über Antisemitismus zu führen. Auch der Zeitpunkt der Kündigung so kurz vor Beginn der Ausstellung sei irritierend. Er habe schon vorher wochenlang zu dem Thema gepostet.

Tobias Timm und Annabel Wahba haben für die "Zeit" mit der Kulturstaatsministerin Claudia Roth darüber gesprochen, wie mit solchen Verwerfungen in der Kulturszene umzugehen ist: "Die Freiheit der Kunst und Meinungsfreiheit müssen geschützt sein, das ist eine meiner wichtigsten Aufgaben als Kulturstaatsministerin. Klar muss aber auch sein, dass es dafür Grenzen gibt. Und die sind da, wenn es um den für die Architektur unseres Grundgesetzes so entscheidenden Artikel 1 geht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Eine Grenze für die Kunst- wie auch die Meinungsfreiheit ist damit ganz klar Antisemitismus, wie auch Rassismus, Islamophobie und jede Form von Menschenfeindlichkeit."

Nicht nur die Lisson Gallery in London hat eine Ausstellung von Ai Weiwei auf Eis gelegt, sondern auch drei weitere Ausstellungen sind erstmal on hold, wie die BBC berichtet: in der Lisson Gallery in New York und in der Galerie Max Hetzler in Paris und Berlin. In einem Statement für "Hyperallergic" hat sich der chinesische Künstler nun zu dem Fall geäußert: "Die Plötzlichkeit ist zwar erschreckend, überrascht mich aber nicht. Was mich überrascht, ist die Anwendung gewaltsamer Mittel in der heutigen angeblich demokratischen und freien Gesellschaft zur Unterdrückung des kulturellen Ausdrucks. Wenn Kultur eine Form der sanften Macht ist, dann ist dies eine Methode der sanften Gewalt, die darauf abzielt, Stimmen zu unterdrücken. Sie richtet sich nicht nur gegen mich, sondern gegen die gesamte Kultur einer Gesellschaft, der es an einem geistigen Immunsystem mangelt."