Schaulager Basel

Madonna für Arme

Auch der Heiligenhimmel hat seine ständische Ordnung. Fabiola gehört zum niederen Adel. Wunderheilungen sind keine überliefert, zur Märtyrerin hat es die Römerin aus dem vierten Jahrhundert nicht gebracht. Sie hatte viel Geld, einen Lumpen als Mann, ließ sich scheiden, verteilte ihr Vermögen an die Armen und hilft noch heute bei Bedürftigkeit und ehelichen Desastern. Eine Kleine-Leute-Madonna, der nie ein Tempel gebaut wurde. Wenn sie zu Hause nicht mehr gebraucht wird, kommt sie auf den Flohmarkt. Und dort, auf den Kleine-Leute-Handelsplätzen in Europa und Lateinamerika, sammelt sie der belgische Künstler Francis Alÿs wieder ein.

Fast 400 Fabiola-Bilder hat er entdeckt, gekauft, mit archivarischer Sorgfalt beschrieben. Sie sehen alle ähnlich aus: eine junge Frau mit rotem Kopftuch im scherenschnittstrengen Profil. Den Prototyp hat der elsässische Salonmaler Jean-Jacques Henner im 19. Jahrhundert geschaffen, der sich seinerseits beim Ideal der römischen Kaiserin Livia bediente. Mit ganz geringen Abweichungen halten sich alle Fabiola-Kopisten an das verlorene Vorbild. Der Zauber wirkte nicht, wenn man die Ikone der Kunst überließe, die an ihr gleich all ihre Freiheiten demonstrieren würde.

Francis Alÿs, der seit den 80er-Jahren in Mexiko-Stadt lebt, streift gern umher, fühlt sich wohl auf Flohmärkten. Nie entstehen seine eindrücklichen Projekte in der Abgeschiedenheit des Ateliers. Er arbeitet mit den Menschen aus seinem Viertel, auf Straßen, Plätzen, an den Rändern der wuchernden Stadt, interessiert sich für die Selbstentwürfe des Lebens, das sich den Luxus utopischen Bewusstseins nicht leisten kann, für die unscheinbaren Alltagsregeln, die aus den Ritualen der Wiederholung stammen.

Dabei ist der Künstler weder Sozialarbeiter noch Dokumentarist, der mit seinen kunstfernen Reportagen im Kunstbetrieb Schlagzeilen machen wollte. Fabiola wird auch in der Fabiola-Kollektion nicht zum ästhetischen Ereignis. Es sind die Bilder, die sich Menschen machen, nicht die, die sie sich machen lassen. Leise, listig resozialisiert Alÿs die Frau mit dem scherenschnittstrengen Profil dort, wo sie nie zu Hause war, nie gebraucht wurde. In Basel hat er sich auf Einladung des Schaulagers das Haus zum Kirschgarten ausgesucht, die gediegene Stadtresidenz eines Seidenbandfabrikanten aus dem 18. Jahrhundert, wo heute vor kleinem Museums­publikum großbürgerliche Wohnkultur aufgeführt wird.

Hunderte Fabiolas hat Alÿs hineingeschmuggelt, sie zu großen Prospekten gereiht und sie in Vitrinen und auf Schreibtischen versteckt. Und wenn sich die frommen Silhouetten inmitten souveräner Kunstfertigkeit auch ein wenig verwackelt ausnehmen und das Volksstück ein bisschen scheppert auf der noblen Bühne, dann ist es doch zum Staunen, wie stolz die Ahnin des Wünschens am Ort der erfüllten Wünsche tut.  

Schaulager im Haus zum Kirschgarten, Basel, bis 28. August. Aktuell zeigt das MoMA in New York die Francis Alÿs Ausstellung "A Story of Deception", bis 1. August