Noch nie zuvor wurde ein Kuratorenwechsel an den KunstWerke (KW) so interessiert beobachtet wie dieser hier: Krist Gruijthuijsen, 1980 geboren, war zuvor Leiter des Grazer Kunstvereins und Gründer des Kunstvereins Amsterdam. Die KW, fast Synonym mit der Berliner Kunstszene seit den 90er-Jahren, positionieren sich damit neu - auch formal.
Der Eingangsbereich wurde in den Seitenflügel verlegt, Wände durchbrochen, Fenster gelichtet, Platz geschaffen. Die Architekten Kühn Malvezzi haben einerseits das Improvisierte perfekter gemacht und mit Schließfächern und kuratiertem Buchstand auf Museumsniveau gebracht, gleichzeitig den Fabrik-Charakter des Gebäudes wieder hervorgehoben. Das Haus werde sich nach und nach öffnen, sagt der niederländische Kurator, jeden Monat wird ein weiteres Stockwerk der vier Geschosse mit einer neuen Ausstellung geöffnet. Den Anfang macht er mit einer Schau von Ian Wilson.
Und das ist keine Umarmungsoffensive. Wilson, 1940 geboren und zunächst Maler, hat Ende der 60er-Jahre seine letzten visuellen Kunstwerke gemacht. Beide kommen so nah wie möglich an die materielle Auflösung, weg vom Stofflichen, weg vom Autor. Beide sind in den KW zu sehen: Kreise auf Wand und Fußboden, nach genauen Angaben des Künstlers angefertigt. Anschließend verlegte sich Wilson, ein artist's artist, auf das Sprechen als künstlerischen Akt. Wenn er heute, im Alter von 75 Jahren, auftritt, so sind seine Gruppendiskussionen die Werke. Auch die können ausgestellt werden, etwa in Form eines maschinengeschriebenen Satzes auf einem Papier: "There is a discussion".
Wer mit der Arbeit von Tino Sehgal vertraut ist, sieht die Verwandtschaft: bitte keine Aufzeichnungen. Beide werden von der Galerie Jan Mot in Brüssel vertreten. Auch Wilson regelt Kunst ohne physisches Werk, meist in Abwesenheit. Für Gruijthuijsen ist Wilsons Radikalität und Genauigkeit die Essenz dessen, was Kunst ist. Der Anfang von allem, sei es Politik oder Kunst, sei das Sprechen. So sind die Kreise wie Heiligenscheine einer rigorosen Reduktion, die geschriebenen Sätze wie Gebote. Wilson geht es um das Andere, er adressiert etwas außerhalb Liegendes. Am letzten Tag der Ausstellung, am 14. Mai, kommt er zu einer seiner seltenen "Discussions" in die KW. Das ist nicht bunt, lustig oder einladend. Und vielleicht ist genau das richtig zu einem Zeitpunkt, an dem in Berlin so lange Kunst gratis und für alle war.
Die zweite Ausstellung korrespondiert bewusst mit Ian Wilson: Die junge Norwegerin Hanne Lippard hat – ausgehend von den Kreisen – eine wunderschöne breite Wendeltreppe aus beige lackiertem Metall in die Mitte der zentralen Halle bauen lassen. Wie durch ein Wunder werden die ausladenden Stufen nur von der Mittelsäule getragen, die breiten äußeren Enden wippen leicht. So muss man sich entscheiden zwischen gefährlich kleiner Trittfläche im Innern und schwankendem Boden.
Tritt man aus der Luke, findet man sich in einem rundum verglasten, viel zu niedrigen Raum wieder. Der Teppichboden hat eine seltsame Farbe, und dieses Rosabeige mach deshalb so nervös, weil man es sonst nur an sich selbst sieht – die Farbe von Haut und Fleisch. Mit Ian Wilson verbindet Hanne Lippard auch Sprechen als Kunst: Sie arbeitet mit ihrer Stimme. Die Lautsprecher geben Sprache als Rhythmus, Form und Inhalt wieder, ohne dass genau zu sagen wäre, worum es geht. Ein bisschen Lyrik, ein bisschen Hip-Hop, Redewendungen, Zahlen. Vor allem schafft die Künstlerin einen Raum, den man so in den Kunstwerken noch nie hatte und in dem man bis zum Abstieg über die metallene Doppelhelix gerne länger bleibt als sonst in Soundinstallationen. Diese präzise konstruierte beige Treppe und wo sie hinführt ist die DNA der neuen KunstWerke.