Herr Richter, jetzt, da wir sprechen, haben Ihre neuen Bilder gerade das Atelier verlassen und sind auf dem Weg zu Ihrer Ausstellung in Salzburg. Coronabedingt wird es wohl keine große Vernissage geben. Werden Sie den sozialen Aspekt einer Eröffnung vermissen?
Ich finde es immer interessant, zu beobachten, wie die Leute vor Bildern reagieren. Ob sie sich zum Beispiel nach vier Sekunden bereits wegdrehen, zum Weinglas greifen und wieder rausgehen. Wie floskelhaft die Sätze sind. Man kann ein Feinsensorium dafür entwickeln, wie die eigenen Werke ankommen, am wichtigsten ist jedoch, dass man selbst von seiner Arbeit überzeugt ist, sonst steht einem ein quälendes Prozedere bevor. Die eigene Überzeugung ist natürlich auch Ausdruck der eigenen Dummheit oder Verblendung.
Da Vernissagegäste notorisch Künstlerinnen und Künstler anlügen, können Sie Ihre Verblendung nicht korrigieren.
Vernissagegäste sagen im schlimmsten Fall: "Interessant!" Im besten Fall aber eben auch "Interessant!". Man hat tatsächlich oft das Gefühl, dass sie einen anflunkern, aus welchen Interessen auch immer. Aber wie sagte Albert Oehlen so schön: "Ich nehme auch Lob von der falschen Seite." Es bleibt nichts anderes übrig, als zum Werk zu stehen. Außer man ist ein ganz besonders um die Ecke gedrehter, narzisstisch gekränkter Mensch und distanziert sich in der Hoffnung, umso mehr Lob für seine Ehrlichkeit zu bekommen. So eine Art negativer Geniekult. Eine besonders infame Methode.
Wie macht man sein Werk am besten runter?
"Die Arbeit ist nicht gut, und alle, die sie loben, haben weder mich, noch meine Kunst, noch meinen Anspruch verstanden." Oder: "Ich bin gescheitert an meinen Ansprüchen. Was wisst ihr denn? Ihr seid nur Krabbeltiere, die ich als Gott der Kunst von oben herab verachtend betrachte." So vielleicht. Habe ich aber selten erlebt.
Waren die Lockdown-Wochen eigentlich eine gute Zeit fürs Malen?
In meinem Block hier in Berlin befindet sich auch ein Sportstudio, da höre ich in meinem Atelier oft durch die Wände nervtötende aufmunternde militärische Schreie von Kampfsportlern. Die sind jetzt weggefallen, das war angenehm. Aber ansonsten machte der Lockdown keinen großen Unterschied, wie für die meisten Menschen wahrscheinlich, die schreiben, malen oder komponieren.
In Ihren neuen Bilder ist jedenfalls kein großer Bruch zu erkennen.
Es ist heikel, mit Künstlern so zu reden! Stimmt aber, wozu auch ... change ist ja nicht zwangsläufig ein Bruch.
Seit Ihrer Ausstellung 2015 in der Schirn malen Sie ohne Pinsel formal reduzierte Bilder von fragmentierten Körpern, in denen eher die Linie als die Fläche das Bild bestimmt. Zeichenhafte Bilder also.
Diese Art des Malens ist mir interessant geblieben. In der frühen Phase dieser Machart kann man in den ersten Bildern eine Unsicherheit erkennen, die Elemente schwebten eher. Jetzt scheint alles hysterischer, dramatischer, es geht eher um das Einfangen driftender Dynamiken. Damals hatte sich der Versuch angedeutet, konträre Positionen im Bild zu arrangieren. Das ist jetzt stärker geworden, glaube ich. Es schwankt zwischen hysterischer Zerfransung und dem Drang, Elemente festzunageln. Aber mir fehlt da die Distanz, um das genau sagen zu können.
Ich sehe Sex und Gewalt in Ihren Bildern. Offenbar ist es das, was man erkennt, wenn man fragmentiert gemalte menschliche Figuren in Interaktion miteinander sieht. Dabei könnte es ja auch um Sport gehen oder um Tanz.
Das ist tatsächlich so, und als mir diese Klischee-Wahrnehmung aufgefallen ist, habe ich versucht, das Ruder rumzureißen und mich an anderen Sachen zu orientieren. Man könnte als formale Spielerei auch ein Huhn auf einem Pferd und ein Teeservice malen, nur weiß ich nicht, ob nicht auch die in einem unbewussten Moment der Praxis an die Oberfläche kommen. Malen ist ja, egal wie distanziert man es angeht, immer auch eine körperliche Beschäftigung und hat zu tun mit dem Zusammenspiel von Hand, Geist, Auge, Relation, Nervosität, Stringenz, Ordnung, Unordnung, Wissen, Dummheit, solchen Sachen. Da spielt sicher – unbewusst oder bewusst – auch die Wahl des Motivs eine Rolle. Die totale Beherrschbarkeit des Prozesses ist vielleicht beabsichtigt, gelingt aber nicht.
Auch in jüngerer Malerei fällt gerade das Interesse an der menschlichen Figur auf. Wie in Ihren Bildern sind die Körper dann oft fluid, schlacksig, leuchtend.
Die Malerei ist heute wieder ein größeres Feld als vor 20 oder 30 Jahren. Dadurch, dass es so viel gibt, macht es sich auch nicht an heroischen Einzelfiguren fest, sondern eher an Tendenzen. Es bilden sich internationale Schulen heraus, die sich über jeweilige ideologische, politische oder nostalgische Interessen definieren. Da gibt es dann tatsächlich so etwas wie den fluiden Körper auf der einen Seite des Spektrums, aber auch das Gegenteil, nämlich den solide gemalten, fest umrissenen Körper. Ein interessantes Thema: Wie stellt ein Künstler oder eine Künstlerin Körper da und was offenbart das über seine oder ihre Haltung zum Menschen?
Die Art der Körperdarstellungen bei Jüngeren werden häufig auf die angeblich fragmentierte Weltwahrnehmung durch Social Media zurückgeführt. Interessieren Sie solche Mutmaßungen?
Das müsste man bei den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern im Detail überprüfen, aber das halte ich für eine zu seichte These. Junge Künstlerinnen und Künstler beziehen sich wahrscheinlich bewusst oder unbewusst auf die Fluidität von Social Media, aber auch auf die Malereigeschichte, bis zurück zur vorletzten Jahrhunderwende und die unterschiedliche Präzision im Entwurf des Körpers, der immer auch als gesellschaftlicher Körper verstanden wurde. Ich glaube, dass Marlene Dumas und Peter Doig mehr Einfluss auf jüngere Künstlerinnen und Künstler haben als Instagram. Man kann natürlich auch digital ausdrucken und die beliebte Leier von der Befragung des Bildträgers anstimmen, das tu ich auch immer gern.
Ergeben Bestandsaufnahmen zur Malerei so wie aktuell durch die Ausstellung "Jetzt! Junge Malerei in Deutschland" überhaupt Sinn?
Wenn jede These, jeder argumentative Kern fehlt und diese Leere ersetzt wird mit der Beobachtung "Es wird gemalt", ist das ein Zeichen mangelnder intellektueller Präzision. Ich glaube nicht, dass man der Malerei damit einen Gefallen tut.
Könnte man sich eine Ausstellung vorstellen, die "alte Malerei" zeigt?
Das ist genauso heikel wie eine Ausstellung mit dem Titel "Schwule Malerei" mit David Hockney, Rainer Fetting und Keith Haring.
Sie sind jetzt 57 Jahre alt. Wie fühlt sich das Älterwerden als Maler eigentlich an?
Ich habe mittlerweile Allergien gegen Farben entwickelt. Das ist relativ weit verbreitet, für mich aber neu.
Hoffentlich haben Sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung!
Nein, ich würde auch nicht aufhören mit dem Malen. Es ist ein leicht zu beherrschendes Problem.
In seiner rührenden Rede zum Büchner-Preis sagt der Schriftsteller Rainald Goetz, dass das Schreiben nicht gut altert, denn das "Leben zerstört die innere Stimme". Kennen Sie das auch in der Malerei?
Ach, die Form von Wissen, die du in der Malerei anhäufst, schlägt sich nieder in immer wieder interessanten Problemen und Lösungen. Beim Schreiben macht die Anhäufung von Wissen das Plateau, auf dem du arbeitest, vielleicht eher enger, glaub ich aber nicht. Ich glaube, dass du auch als Schreibender, als Komponist, als Fotografin gut weiterarbeiten kannst. Oder du scheiterst irgendwann, weil du doof warst und gedacht hast, dass Jugend dafür eine Entschuldigung ist. Wenn du glaubst, dass Jugend, Elan, Chuzpe, große Klappe und Ignoranz deine Stärke sind, wird es natürlich schwierig. Gewissermassen ein Rock-Problem, aber kein Jazz-Problem. Aber das würde ja auch bedeuten, dass man sich selbst für dumm hält. Aber man kann sich nicht für dumm halten. Indem man sich selbst für dumm hält, ist man schon schlau.
Unsere bislang unmarkierte Position als mittelalte weiße Männer ist plötzlich Thema geworden. Spüren Sie das in der Rezeption Ihrer Bilder oder daran, wie Sie selbst über Malerei denken?
Klar, Alter und Penis sind Kategorien, man wird gebrechlich, senil und bösartig, fängt an, nach rechts zu tendieren, weil man überall seine vermeintlichen Privilegien beschnitten sieht. Ich schlage auf alles ein, was nicht weiß, heterosexuell und männlich ist. Wobei der weiße, heterosexuelle Maler auch qua Ideologie dazu verpflichtet ist, ununterbrochen seine vermeintlichen Verbündeten als Konkurrenten zu bekämpfen. Es ist ein wahnsinniger Stress, rechthaberisch und unsensibel zu sein. Der autoritäre Charakter endet so in einem unendlichen widersprüchlichen Heckmeck, was man übrigens anhand der unerfreulichen politischen und literarischen Gestalten der Gegenwart besser nachweisen kann, als ausgerechnet an Malern, denke ich.
In der Malerei gab es immer Männerbünde, in denen sich Konkurrenten zusammenschlossen.
Das stimmt, aber die zerfallen immer relativ jung und dann wird individualisiert. Es liegt vielleicht am Markt, aber auch daran, dass Malerei tendenziell eremitisch ist. Wenn die Malerei sich niederschlägt in der Gestaltung der Welt, wenn sozialistische Kunstkollektive Drillichhosen, Poster und Möbel entwerfen, dann kann die Idee von Kollektivität länger aufrecht erhalten werden. Aber dazu braucht es auch veränderte Bedingungen in der Gesellschaft und bei Produzierenden. Gemeinsames Arbeiten ist ja grundsätzlich erstmal toll.
Kollaboration bietet ein Ausweg aus der Einzelkämpfer-Position des alten weißen Mannes. Es ist doch auch ein schmerzvolles Alleinsein.
Es ist ein Überbleibsel aus der Romantik, das Heldenbild in Kombination mit dem Happen, der auf dem Tisch liegt. Die Frage ist, aus welcher Position man in der Gesellschaft spricht. Für Malerinnen war die Situation immer eine andere als für Männer. Das ist einfach Fakt. Und sie haben sich als Marginalisierte auch notwendigerweise solidarisiert miteinander. Wenn du der Typ bist mit den dicksten Eiern im Raum und um dich herum stehen nur Männer mit dicken Eiern und dicken Portmonees, die dir die ganze Zeit zu verstehen geben, wie wichtig es ist, ein starker Ochse zu sein, ein furchteinflößendes Vieh, dann ist in solch einem Raum kein Platz für die Solidarität der Schwalben. Die bauen ihre Nester zwangsläufig woanders.
Sie lehren an der Akademie der bildenden Künste Wien. Sehen Sie solche Maler-Ochsen auch unter Ihren Studenten?
Sehr selten. Vor Jahren gab es eine Gruppe von Studierenden, die einen autodestruktiven Drive hatten, bei dem sich das Bedürfnis, sich zu beweisen in der Kombination mit Alkohol, Drogen und Halligalli als Machismo niederschlug. Aber eigentlich habe ich den Eindruck, dass das zumindest in der Kunst ein Anachronismus ist. Heute haben wir andere gesellschaftliche Bedingungen. Selbst zu seinen Hochzeiten, als Klischee etwa während des Abstrakten Expressionismus in den USA, war Machismo ein tradiertes soziales Verhalten, immer in Kombination mit Gewalt und Armut. Strukturelle systemische Gewalt à la Krieg, Armut, Rassismus und Fabrikarbeit reproduziert sich ja in den Individuen. Was keine Rechtfertigung sein soll. Viel erstaunlicher ist, dass Künstlerinnen wie Helen Frankenthaler, Joan Mitchell, Lynda Benglis oder Alice Neel in ihrer Zeit rezipiert worden sind, dann aber aus der Kunstgeschichte herausgeschrieben worden sind.
Im Moment sehen wir in den Museen, auf dem Kunstmarkt, in der Berichterstattung den Versuch, auszugleichen, was bislang falsch gelaufen ist. Es wird mehr und mehr Kunst von Frauen oder von People of Color präsentiert, ausgezeichnet und gesammelt. Auf manche wirkt dies Bemühen wiederum einseitig. Auf Sie auch?
Nein, ich finde das unterstützenswert. Auch die Kunstwelt folgt dem sogenannten Zeitgeist und die sogenannte Geschichte sortiert dann aus. Das Gleiche passiert jetzt auch, und es logisch, dass auf zehn gute Positionen auch zehn nicht so gute kommen. Das lässt sich nur feststellen, wenn diese Positionen auch ausgestellt werden. Das ist jetzt vielleicht ein bisschen doof für alle anderen Künstler …
… die dann aggressiv oder wütend werden.
Meinen Sie?
Man hat das Gefühl, dass so mancher weiße Cis-Boomer sich bedrängt fühlt.
Sicherlich wähnt sich der eine oder andere verfolgt von Feministinnen, Homosexuellen und Leuten, die den fairen Faustkampf nicht mehr als legitimste Form der Auseinandersetzung zu schätzen wissen. Das sind tatsächlich Phantasmen weißer Männer. Auf der Gegenseite gibt es natürlich auch spezifische Dummheiten und ich finde es auch erheiternd, wenn Leute, die es "gut" meinen, über die Stränge schlagen und sich gegnerischen Positionen identitärer Politik als Spiegelungen gegenüber stehen. Das Niveau muss beständig sinken, das ist eine kulturpessimistische Maxime. Extra trist wird es nur, wenn es einhergeht mit Formen der moralischen Erpressung wie bei der Auseinandersetzung um Dana Schutz.
Sie meinen den Fall, als 2017 ein Bild der weißen US-Malerin von dem ermordeten Afroamerikaner Emmett Till auf der Whitney-Biennale in New York für Proteste gesorgt hatte.
Aber ich finde es tatsächlich heikel, dass jemand aus der Gemeinde der Künstlerinnen die Zerstörung des Bildes gefordert hat und dann weiterhin als wichtige kontroverse Position der Gegenwartskunst auftaucht. Das ist man eigentlich nicht gewohnt im eigenen Umfeld. Vor allem aber hat mich gestört, dass ich einen Großteil meiner Plattensammlung dieser Logik zufolge vernichten müsste, angefangen bei Bob Dylans "Ballad of Emmett Till".
Blicken wir nach vorn: Was steht bei Ihnen als nächstes an?
Ich habe mit vorgenommen, künftig so zu malen, wie Jeff Wall fotografiert. Mal sehen ob das klappt, die Chancen stehen eher schlecht.