LOOP Barcelona

Im Rausch der bewegten Bilder

Ausnahmezustand in Barcelona: Auf der Plaça de Catalunya, dem zentralen Platz der Stadt, harren seit Mittwoch Tausende von jungen Demonstranten aus, um gegen Perspektivlosigkeit, niedrige Löhne und ungerechte Finanzpolitik zu demonstrieren. Übernachtet wird in Zelten, auf Isomatten und auf Pappunterlagen. „Yes, we camp“, lautet das Motto der Protestbewegung. Wenige hundert Meter entfernt von diesem Zentrum des friedlichen Protests haben sich andere provisorisch eingerichtet. Die Videomesse LOOP, deren 9. Ausgabe am Donnerstagabend eröffnet wurde, ist eine typische  Hotelkunstmesse. 43 unterschiedlich große Hotelzimmer im Viersternehaus Catalunya Ramblas sind für drei Tage in Messekojen umfunktioniert worden. In den meisten herrscht absolute Dunkelheit.

Vor den Fenstern stehen große Videoscreens, unter den Decken befinden sich Beamer. Betten, Stühle und Sofas dienen als Sitzgelegenheiten. Am Ende des Tages müssen die Teilnehmer die Zimmer wieder für ihre ursprüngliche Funktion herrichten, denn geschlafen wird im selben Raum. Dennoch: Für das Medium Video scheinen die Räumlichkeiten eines Hotels gut geeignet zu sein. Der Sound der verschiedenen Arbeiten überlagert sich nicht. Sitzend oder sogar liegend können sich die Betrachter ganz auf die bewegten Bilder konzentrieren. Für aufwändigere Installationen jedoch ist kein Platz.

„Das Hotel bietet eine eher häusliche Umgebung verglichen mit anderen Messen, die in einer eher feindlichen Umgebung stattfinden, wo die Galeristen nicht gern mit den Besuchern sprechen“, erläutert Emilio Alvares, einer der drei Messeorganisatoren, die Vorteile des Veranstaltungsortes. „Hier im Hotel ist es leichter für die Besucher, einfach Videos anzuschauen.“ Zusammen mit Carlos Duran und Llucià Homs veranstaltet Alvares seit fast zehn Jahren die auf Videokunst spezialisierte Messe, die mittlerweile in ein Festival mit vielen Panels, Screenings und über 100 Projektionen in kleinen Läden, Bars und sogar Friseurgeschäften gemündet ist. „Wir haben als Messe angefangen, aber wir mussten einen Kontext entwickeln und dafür mehr über die Bedürfnisse der Teilnehmer herausfinden“, sagt Emilio Alvares. „Heute ist die LOOP fast so etwas wie ein Familientreffen der internationalen Videokunstszene.“

Angereist sind in diesem Jahr 43 Galerien aus 13 Ländern. Gerechnet wird mit über 4000 Besuchern. Silvie Jo Buschmann von Circus aus Berlin nimmt zum ersten Mal an der LOOP teil und zeigt sich sehr angetan: „Wenn man Videokunst im Programm hat, ist es sehr gut, bei der LOOP mitzumachen. Auf normalen Messen geht Videokunst oft unter, aber hier gibt es ein sehr spezielles Publikum, das intensiv schaut.“ Circus zeigt ein eher konzeptuelles Video der Serbin Katarina Zdjelar, das sich mit der staatlich erzwungenen Selbstzensur der Schriftsteller im Iran beschäftigt und gleichzeitig zeigt, wie die Betroffenen diese kreativ und spielerisch umgehen (9.000 Euro, Auflage: 5). Pierre-François Ouellette aus Montreal zeigt „Dance to Miss Chief“ von Kent Monkman.  Monkman, Jahrgang 1965, ist einer der bekanntesten kanadischen Künstler indianischen Ursprungs. Er hat Found Footage-Material aus deutschen Winnetou-Filmen mit eigenen Tanzszenen als androgyn-verführerische „Miss Chief“ zu einem tanzbaren Videoclip zusammenmontiert. Humorvolle Kritik an den stark klischeebehafteten und postkolonial geprägten Karl May-Heroen mischt er mit selbstbewusster Queer-Ästhetik und Elementen des klassischen Revue-Theaters (9.500 Euro, Auflage: 3).

Hintergründiger Humor auch in dem Video „Un Film Abécédaire der Französin Eléonore Saintagnan bei Elaine Levy Projects aus Brüssel. Gedreht im Parc Régional des Ballons des Vosges in den Vogesen, dekliniert Saintagnan anhand des Alphabeths die ländlichen und historischen Klischees der Bergregion durch: von religiösen Verehrungen bis zum Selbstversuch mit der E-Gitarre à la Keith Richards.

Anita Beckers, langjährige Expertin für Videokunst aus Frankfurt, präsentiert ein gezeichnetes Video des Belgiers Philippe Grammaticopoulos, in dem es in drastisch-surrealen Bildern um gesellschaftliche Gleichschaltung, Vermarktungsstrategien der Nahrungsmittelindustrie und Gentleman-Kannibalen geht. Zentrale Motive sind Schnecken und   dickbäuchige Kapitalisten mit Melone auf dem Dickschädel (4.600 Euro, Auflage: 10). Kafkaeskes Büroleben dann in dem Video „Clerk“ des Istanbulers Ali Kazma bei Analix Forever aus Genf. Ein Büroangestellter stempelt in atemberaubender Geschwindigkeit stakkatohaft Papiere. Es geht um Rhythmus und Repetition, aber auch um die Monotonie und Sinnentleertheit eines fremdbestimmten Verhaltens im Arbeitsalltag (12.000 Euro, Auflage: 5).

Die Schönheit des Eismeeres und des Operngesangs werden in der Arbeit „Fade to White“ von Janet Biggs bei Conner Contemporary Art aus Washington D.C. vereint. Ein bärtiger Abenteurertyp erkundet im Kajak die Arktis. Dagegengeschnitten wird der betörende Gesang eines ganz in Weiß gekleideten androgynen Sängers, der die Purheit und Zerbrechlichkeit der elegisch-schönen Landschaftsbilder unter-streicht (9.000 Euro, Auflage 5). Eine ganz andere Landschaft bietet das Schweizer Duo COM&COM dann bei Bernhard Bischoff & Partner aus Bern: Ein Computerrendering à la Google Earth vom Berner Oberland. „Dies ist das erste Kunstprojekt zusammen mit Google Earth“, erläutert Berhard Bischoff. Wer das nicht glaubt, kann es nachprüfen. Der von COM&COM generierte Schriftzug „It‘s so superficial, but it‘s true“ taucht tatsächlich auf den ansonsten komplett ironiefreien Seiten des umstrittenen Datenkraken auf (7.500 Euro, Auflage: 5).
 
Die Bandbreite des Mediums Video wird auf der LOOP voll ausgeschöpft. Neben gezeichneten, animierten, subjektiv-erzählerischen und dokumentarischen Videos gibt es Multiscreen-Arbeiten oder kurze clipartige Videos, solche mit Musik- und Tanzszenen, an mehrstündige Theateraufführungen erinnernde Produktionen, konzeptuelle Entwürfe und abstrakte Bilderzählungen. Eine Stärke der Messe sind ihre Premieren. In diesem Jahr werden insgesamt 13 Videos auf der LOOP zum ersten Mal gezeigt. Das Bedürfnis seitens der Sammler, Kuratoren und Besucher, mehr über das Medium zu erfahren, ist groß. Das zeigt das große Interesse an den Panels und Roundtables.

Hier werden Fragen zur Konservierung, zu Aufführungsrechten nach Verkäufen oder zur Problematik der  Verbreitung von Künstlervideos auf bekannten und neuen Internetplattformen lebhaft diskutiert. Künstler wie Isaac Julien oder Mark Wallinger sind dabei ebenso von der Partie wie die Film- und Videokuratoren aus dem Amsterdamer Stedelijk Museum, der Tate Modern oder dem Musée d‘art   moderne de la Ville de Paris. Von institutioneller deutscher Seite herrscht, was die breitere Berücksichtigung und Reflexion zeitbasierter Medien im Sammlungskontext angeht, offenbar noch kräftiger Nachholbedarf. Das scheinen die deutschen Museen getrost Privatsammlern wie Ingvild Goetz oder Julia Stoschek zu überlassen. Während im Hotel Catalunya Ramblas also die Beamer und die Diskussionen heiß laufen, zücken die Leute auf der Plaça de Catalunya ihre Smart Phones, filmen den selbstorganisierten Protest und verbreiten die Bilder in alle Welt. Fiktion und Kunst versus neu erwachte Empörungskultur, Social Media und Realpolitik. In diesen Tagen haben die beiden Welten herzlich wenig miteinander zu tun.

9. LOOP/Screen from Barcelona, bis 21.5., zu der Messe ist ein Katalog erschienen: S.126, 10 Euro