Projektraum Schering Stiftung

Ich glaube, es wirkt schon

Als wäre man unter Hippies geraten: In der Umgebung dieser Maschine fallen Sätze wie bei einem Sit-In von Drop-Outs. Nicht ankämpfen gegen den Effekt, rät Christina Weiss, Staatsministerin a.D. und Mitglied im Stiftungsrat der Schering Stiftung, bei einem Pressegespräch. Heike Catherina Mertens aus dem Vorstand braucht nur fünf Minuten, und die Wirkung der Maschine setzt ein. Der Erbauer selbst fühlt sich, nachdem der sich seinem Werk ausgesetzt hat, als würde er schweben.

Der Erbauer, das ist der Künstler, DJ, Licht- und Soundarbeiter Carsten Nicolai. Er hat in dem neuen Projektraum für Kunst und Wissenschaft der Schering Stifung, prominent am Berliner Prachtboulevard Unter den Linden gelegen, eine große High-End-Version einer „Traummaschine“ gebaut. Die Beatniks Brion Gysin und Ian Sommerville hatten diese Art von Lichtorgel erfunden und 1961 als „Dreamachine“ zum Patent angemeldet. Ein um eine Lichtquelle rotierender Zylinder sandte durch Schlitze Stroboskopeffekte in den Raum, man schaute ihm beim Drehen zu – und schon landete man in schönster Trance. Theoretisch.

Carsten Nicolais Hohlzylinder ist zweieinhalb Meter hoch, Löcher darin zerhacken das Licht, schaut der Betrachter direkt auf die Lampe. Blickt er an die Wand, huscht das Licht in Form von Sternen durch den Raum; es entsteht ein harmonischerer Eindruck. Doch man muss schon direkt in die Lichtquelle schauen, in das psychedelische Herz. Kommt besser. Theoretisch.
 
Natürlich ist die Wissenschaft dem Phänomen längst auf der Spur. Dort heißt die Wahrnehmung von nervösem Blitzlicht Flicker-Effekt, und man weiß, dass das Gehirn darauf sensibel reagieren kann. Und das ist es, was Nicolai interessiert, das ist es, was die Schering Stiftung auf der Suche nach „Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst“ beschäftigt: Hier soll mit Wahrnehmung experimentiert werden.
 
Einst wurde der Veränderung von Wahrnehmung eine gesellschaftszersetzende Kraft zugetraut: In der Vorstellung der Beatniks und Hippies sollte sich das Bewusstsein – war es erst durch Stimulierungen erfrischt, erweitert und erneuert – das gesellschaftliche Sein vorknöpfen. Nur sind die meisten Bewusstseine dann doch bei Phase eins hängen geblieben. Deshalb hat Psychedelik heute einen eher muffigen Beigeschmack und ist nur noch für den Hausgebrauch gut. Drauf kommen, okay, Welt verändern später.
 
Auch Carsten Nicolai verzichtet auf Gegenkulturflair und großartige gesellschaftliche Entwürfe zu „soziodelischen Revolutionen“, wie es früher manchmal hieß. „Rota“ ist in der nüchternen Umgebung kaum erkennbar als Schwester tripunterstützender Ölfilme, Lavalampen, Stroboskope. Hier informiert eine Tabelle an der Wand nüchtern darüber, welche Frequenzbereiche welche Reaktionen beim Menschen auslöst (der Künstler hat die Maschine auf freundliche acht Hertz eingestellt, was zu erhöhter Lernfähigkeit und Kreativität führt).
 
In diesem Kontext, in dieser Umgebung bekommt man also eher den Eindruck, Teil einer Versuchsanordnung zu werden. Zwar produziert „Rota“ auch Musik: Photozellen nehmen den Lichtrhythmus ab, und der wird in leise Töne umgewandelt. Doch dieses Knacken klingt eher nach Geigerzähler, als nach angenehmer Ambient. Das macht die Ambivalenz dieser Arbeit aus: dass sie gleichzeitig Erinnerungen abruft an utopische Entwürfe und menschenfeindliche Manipulation.
 
Doch am besten an der „Rota“-Maschine ist: Sie wirkt. Vielleicht.
 
 
Bis 26. September, Projektraum der Schering Stiftung, Unter den Linden 32-34, Berlin