Gesichter als Spiegel der Seele? Ach was! Zeitgenössische Gesichter wetteifern in cooler Ausdruckslosigkeit, werden hinter Hipsterbärten versteckt oder demonstrieren, was Botox kann. Trotzdem heißt es heute überall: Gesicht zeigen, pardon, Gesicht posten – und für unterwegs den Selfiestick nicht vergessen. An der Frankfurter Schirn untersucht die Ausstellung "Ich", wie Künstler auf die zunehmende Inflation des Selbstporträts im Alltag reagieren. Natürlich nicht mit maximaler Selbstdarstellung, wie Martina Weinhart erklärt: "Künstler vermeiden Aussagen über die eigene Person", sagt die Schirn-Kuratorin, "sie treffen eher Aussagen über das Genre selbst. Kernfrage: Wie abbildbar bin ich eigentlich?"
Etwa 40 Selbstporträtskeptische Positionen werden gezeigt, darunter eine Serie farbverschmierter Paletten, die Ryan Gander anstelle der zwar fertig gemalten, aber nicht zur Veröffentlichung bestimmten Selbstbildnisse ausstellt. Imi Knoebel schuf in den 80ern ein recht grobes "Selbstporträt mit Pappkarton", Erwin Wurm ein "Selbstporträt als Essiggurkerl" (2010) aus 36 Gurkenimitaten auf Sockeln. Diverse Werke verdanken ihre Existenz wissenschaftlichen Methoden. Das Versprechen von Authentizität – speziell in der Fotografie – oder Erkenntnissen über das Wesen des Menschen werden künstlerisch konterkariert: Robert Morris’ "Portrait" (1963) besteht aus mit Körperflüssigkeiten des Künstlers befüllten Flaschen, Alicja Kwade stellt ihr "Selbstporträt" (2015) aus 22 Phiolen mit den chemischen Elementen zusammen, aus denen der menschliche Körper besteht. Jürgen Klauke betitelte eins seiner Röntgenbildnisse ironisch mit "Selbstfindung" (1988/89).
Quo vadis, Selfie-Kultur? Lassen wir uns das Gesicht nicht zu sehr von Sorgenfalten verknittern. Künstler proben schließlich längst den Aufstand gegen die allgemeine Selbstverliebtheit.