Gallery-Weekend-Rundgang (1)

Licht für Berlin

Am heutigen Freitag eröffnet das 11. Gallery Weekend in Berlin. Die Monopol-Redaktion hat sich vorab Ausstellungen offizieller Teilnehmer angesehen

Katharina Grosse bei Johann König
Die Kirche St. Agnes, das neue Galerie-Domizil von Johann König, wird von Katharina Grosse mit fünf riesigen Malereiformaten eingeweiht. Auf der kommenden Venedig-Biennale wird die Künstlerin ihre Farbnebel wieder über Objektgrenzen hinaus in den Raum sprühen. Aus Denkmalschutzgründen blieben die Kirchenwände unangetastet. Mit übermalten Schablonen und irritierend-faszinierenden Figur-Grund-Effekten konterkariert Grosse die Stille des Andachtsraums. Wie ein gelangweiltes Kind, das sich eine wildere Welt erfindet. Auf den Titel "The Smoking Kid" kam Grosse, als sie sich auf einem Kinderfoto betrachtete. "Da spiele ich Raucherin, mit einem zusammgerollten Blatt Papier", erklärt die Künstlerin. Kinderspiel ist immer wahr. Gute Kunst auch. jh

Renata Lucas bei Neugerriemschneider
Drei Berliner Brunnen zitiert und kombiniert Renata Lucas in ihrer Installation "Fontes e sequestros": Den 1888 erbauten Tritonbrunnen im Tiergarten, den Eva-Brunnen (1927) aus Alt-Tempelhof und den 1984 auf DDR-Territorium in Marzahn errichteten Brunnen "Tanz der Jugend". Ein Brunnen-Puzzle im Hinterhof der Galerie, bei dem nur das aus den originalgetreuen Fontänen spritzende Wasser ein Readymade ist – megaliterweise aus dem Tritonbrunnen geklaut. Wie fast immer bei der brasilianischen Künstlerin war der bauliche Aufwand  immens. Die fertige Brunnencollage wird den Sommer über weitersprudeln und an das Wasseraderngeflecht Berlins gemahnen: Flüsse, Kanäle, Leitungen. jh

Renzo Martens/ Institute for Human Activities & Mario Pfeifer bei KOW Berlin
Der Galerie KOW Berlin ist es einmal mehr gelungen, einen politisch agierenden und kaum kunstmarktkompatiblen Künstler in ihr Programm aufzunehmen und dennoch eine tolle Galerienschau zustande zu bekommen: Der Niederländer Renzo Martens wurde 2009 mit dem kontroversen Dokumentarfilm "Enjoy Poverty" bekannt, der im Kongo entstand und um das lukrative Geschäft mit Elendsbildern kreist. Martens ermutigte die Einheimischen dazu, selbst zum Akteur in dem Business zu werden – ein nur vordergründig zynischer Gedanke. KOW, die auch Santiago Sierra vertreten, wagen sich immer wieder geübt an Kunst, die, widersprüchlich und unversöhnlich, nicht recht für die comfort zone zugerichtet werden kann. Diesmal stellt Martens die Produkte eines Workshops des von ihm in Kinshasa geleiteten Institute for Human Activities (IHA) aus: Skulpturen, entwickelt von Kakaoplantagenarbeitern. Die Figuren geben Fabeln wider, die sich um Geld und Versuchung, Vergiftung und Erlösung drehen – nur auf den ersten Blick fremd, auf den zweiten der westlichen Mythologie sehr nah. Sie wurden per 3-D-Scan abgeformt und in feinste belgische Schokolade gegossen – als bildhauerisches Material jenseits von Beuys und Roth noch mal neu und faszinierend. Die kleinen Skulpturen kosten 5.500 Euro, die großen 13.000, und die hörenswerten Geschichten dazu erfährt man von den Galeristen oder in einem Faltblatt. Sollte eine schmelzen oder kaputtgehen, wird sie nachgegossen. Der Künstler verdient daran nichts, die Plantagenarbeiter bekommen 25% der Einnahme.

Ein anderes Ende der Welt, eine andere ausbeuterische Industrie für Luxusgüter: Die Tiefseekrabbenfischer von Feuerland. Mit ihnen hat der junge Leipziger Absolvent Mario Pfeifer vier Monate gelebt und eine technisch hochgerüstete 3-Kanal-Videoinstallation im Untergeschoss errichtet. Der Ort in Chile ist gleichzeitig ein Anthropologen-Eldorado, die indigene Bevölkerung ist unterm Wissenschafts-Brennglas zum Stillstand verdammt. Wohl auch deshalb setzt Pfeifer filmisch und akustisch auf neueste Effekte. sh

Daniel Keller bei Kraupa-Tuskany Zeidler
An Gebirgswanderwegen Steine unterschiedlicher Größe zu kleinen Skulpturen zu stapeln, ist wohl eine der ältesten Bildhauertechniken überhaupt. Teils als Wegmarkierung, aus Spieltrieb, als "I Was Here" und Baulust. Daniel Keller hat sehr schöne Wandobjekte zu diesem Thema gemacht, sie setzen sich aus unterschiedlichsten Materialien zusammen, viele davon digital bearbeitet und untereinander kunstvoll verzahnt. Der Künstler selbst steht gerade noch am Aquarium und löffelt darin herum – mittels Chemikalien fördert er das Wachstum der Spirulina Alge – bekannt als neuer Wellness-Heilsbringer in cold pressed juices und Kosmetikprodukten. Mit Schläuchen wird die grüne vitale Flüssigkeit dann durch die beiden Galerieräume gepumpt, ein Organismus, verdammt zum Funktionieren. Großen Wiedererkennungswert haben auch die spinnwebförmigen Einschlaglöcher auf ausgebauten Fassadenfenstern, die Keller sich in Neukölln sicherte und nun als toll-kaputten Paravent ausstellt. (Kurz vor dem 1. Mai entschieden sich die Immobilienbesitzer wohl, die von Gentrifizierungs-Gegnern beschädigte Fassade ihres Renzo-Piano-Baus schnell noch zu ersetzen.) Auch mit langer Leitung ist die Verbindung herzustellen, man sieht das Schild schon vor sich: Demnächst eröffnet hier ein Smoothie-Laden mit Algen-Grünkohlsaft für 6,80 Euro. sh

Bojan Šarčević bei BQ
Bojan Šarčević bevorzugt, dass die Besucher ohne schriftliche Anleitung durch seine Ausstellung "In The Rear View Mirror" gehen, die sich in die sehr speziellen Räumlichkeiten der Galerie BQ wieder perfekt einfügt. Er kombiniert ältere mit neueren Arbeiten, die sich aufeinander beziehen. Hautfarbene Silikonmasse als Werkstoff ließe sich hier als Leitmotiv lesen – teils abfotografiert, teils skulptural bearbeitet, manchmal auch als Modellbau-Material verwendet, stellvertretend für beispielsweise Holz. Die unterschiedlichen Härte- und Durchsichtigkeitsgrade des Materials machen es schwer, nicht hinzufassen – die männliche Hand auf den beiden großen Fotografien im Eingangsbereich darf das taktile Zeug ja auch kneten. Šarčević verfolgt unterschiedliches Formenvokabular, aber jedes dekliniert er ganz eigen durch, manchmal geht es um Materialverbindungen, manchmal um delikate kleine Konstellationen, manchmal um Simulation und Kontraste, etwa wenn er klotzige, schwarz gesprühte Styroporquader zum Einsatz bringt. Šarčević hat bei aller skulpturaler Zartheit keine Angst vor groben Scherzen – am Ende des kleinen Parcours wartet eine fotografische Rückenansicht eines Mannes, unter dessen Schulterblatt eine pralle rosa Frauenbrust hervorquillt. sh

Athena Papadopoulos bei Supportico Lopez
Auf dem Boden stapeln sich lange Beine. Die Füße stecken in Schuhen mit hohen Absätzen. An den Wänden hängen große Leinwände. Dazwischen liegen Schüsseln mit Knochen, Würmern und Wattestäbchen auf einem alten Beistelltisch aus dem Krankenhaus. Alles ist rot, weinrot, dunkelrot, hellrot, und lila und rosa. Eine Mitarbeiterin der Galerie Supportico Lopez erklärt, die Skulptur habe etwas mit der Großmutter der Künstlerin Athena Papadopoulos zu tun. Sie sei krank gewesen und habe ein Bein verloren im hohen Alter. Familiäre Bezüge stellt die Künstlerin auch auf den Leinwänden her: Neben Zeichnungen von Tieren und Menschen und unter Rotwein, Lippenstift und Hennafarbe kleben Bilder ihres Vaters. Er hält fremde Frauen im Arm, er soll mit Pelzen handeln und schon lange von ihrer Mutter getrennt sein. Der rote Schriftzug "Mama" steht direkt über seinem Kopf. Athena Papadopoulos, geboren 1988 in Toronto, ist eine der jüngsten Künstlerinnen des Gallery Weekends. Gerade erst machte sie ihren Abschluss am Goldsmith College in London. "Rancho Rat-King-Cougar" in der Galerie Supportico Lopez ist ihre erste Einzelausstellung. as

Calla Henkel & Max Pitegoff und Aldo Mondino bei Isabella Bortolozzi
Die Galeristin Isabella Bortolozzi beweist seit vielen Jahren ein Gespür für die ganz jungen und die ganz alten, oft vergessenen Künstler. Im vergangenen Jahr hießen diese Wu Tsang und Pierre Klossowski. In diesem Jahr Calla Henkel & Max Pitegoff und Aldo Mondino. Die beiden Amerikaner bescheren Berlin gerade einen zweiten Frühling. Nach jahrelanger Angst, es könne mit der Stadt bergab gehen, schaffen sie es, die junge Generation (Henkel ist Jahrgang 1988, Pitegoff Jahrgang 1987) in dem von ihnen gegründeten New Theater in Kreuzberg zusammenzutrommeln. Daneben produzieren sie künstlerische Arbeiten wie die Fotografien, die Bortolozzi in ihrer Galerie ausstellt. Im ersten Raum wird der Besucher von großen Scheinwerfern angestrahlt. Sobald er auf die Bilder trifft, die das Künstlerduo bei Wohnungsbesichtigungen zeigen, fühlt er sich deshalb ertappt: Auch er spaziert durch eine Wohnung und tastet mit prüfenden Blick durch die Räume. In Bortolozzis Projektraum Eden Eden kann man den Künstler Aldo Mondino wiederentdecken. Der Italiener starb 2005 und hinterließ ein Werk, das wie eine Mischung aus L.A. und Tunis, Konzeptkunst und naiver Malerei wirkt:  In den Ecken des ersten Raums kleben Marshmallows wie Kacheln an Wänden und Boden, unter der Decke hängt eine Leiter: Der Besucher steht in einem Schwimmbad. In einem anderen Raum fließen aus mit Tupfen versehenen Stellwänden echte Blüten auf den Boden, auf den Bildern schweben Derwische zwischen Porzellanblüten. as

Daniel Steegman bei Esther Schipper
Die Brille hängt mitten im Raum. Der Besucher, der sie aufzieht, verschwindet im brasilianischen Regenwald, jeder Schritt führt ihn in einen neuen Winkel des Dschungels. Mata Atlântica, so der Name des Ortes, ist der Ausgangspunkt für die Ausstellung  "Spiral Forest (Kingdom of all the animals and all the beasts is my name)", die Daniel Steegman, geboren 1977 in Barcelona, in der Galerie Esther Schipper realisierte. Unter der Brille wirkt das Dickicht aus Bäumen wie eine dreidimensionale Zeichnung, daneben zeigt Steegman fotografische Ausschnitte sowie einen Film, der durch die Rotation der Kamera fast hypnotische Wirkung entfaltet. Dazwischen liegen Äste auf Spiegeln, die sich drehen, und Spiegelteile in Ecken. Alles folgt einer Berechnung: geometrische Formeln bändigen die Natur, technische Apparate und digitale Animation generieren ihren gewaltigen Sog. as

Roman Ondák und Tino Sehgal in der Galerie Johnen
Roman Ondaks Schau im Erdgeschoss der Galerie ist poetisch, leise und ein bisschen nostalgisch, mit Kabeln, die an alten keramischen Kabelhaltern die Decke entlang gezogen sind, als wäre man in Bratislava,  und Postkarten und Zeichnungen von einer Reise nach Bulgarien kurz vor dem Zusammenbruch des Kommunismus. Ganz unmelancholisch dagegen Tino Sehgals Arbeit im Hof der Galerie: Betritt man ihm, kommt eine freundliche Dame auf einen zu und singt ein Lied. Ihre Aufgabe ist anspruchsvoll: Sie sucht für jeden Besucher ein eigenes aus. Meines hieß "Rain" und fühlte sich sehr passend an. eb

Klara Lidén in der Galerie Neu
Die schwedische Künstlerin ist unter die Inneneinrichterinnen gegangen. Die Lampen, die sie in die Galerie Neu gehängt hat, sind eigentlich große Plastikkanister. Und die Sitzflächen der Holzbänke sind mit dem gleichen rauen Waschbetonplatten versehen, wie man ihn auch in dem Plattenbau rund um die Galerieremise sehen kann. Sieht cool aus, könnte man im heimischen Loft auch mal probieren, wenn man denn eins hätte, das muss für diesmal reichen. eb

Galerie Zak / Branicka zeigt Magdalena Abakanowicz in der St. Elisabeth-Kirche
Die St. Elisabeth-Kirche wurde von Schinkel errichtet, im Krieg zerstört, dient jetzt vor allem als Veranstaltungsort und ist der ideale Schauplatz für die beeindruckende Installation der 1930 geborenen Polin Magdalena Abakanowicz. Sie füllt den Kirchenraum mit stehenden und knienden Figuren, kopflos, hinten offen, aus Beton geformt. Jede Figur ist ein bisschen anders, zusammen haben sie die schicksalhafte Kraft der Masse. eb

Marianne Vitale und Tal R bei Contemporary Fine Arts
Die Werke von Marianne Vitale kreisen häufig um amerikanische Geschichte. Ein Hauch Heimatmuseum weht durch ihre Einzelpräsentation bei Contemporary Fine Arts (CFA), wo die New Yorker Künstlerin eine Eisenbahnweiche und einen Westernsaloon-kompatiblen Bartresen ausstellt. Wie ein Totem ist das originale Schienenstück in den Galerieraum gepflanzt und reflektiert sich in der Spiegelwand der Bar. Die "common crossing" – zu deutsch: "gewöhnliche Weiche" – der US-Eisenbahnindustrie glättete jede Holperstrecke und verhinderte das Herausrutschen der Wagenräder. Für Vitale ist auch die Bar ein Instrument der Normalisierung, des Ausgleichs von Unebenheiten – ein Ort, an dem Alkohol und Männerrituale Ängste mildern helfen. Über der Vitale-Schau „Oh, Don’t Ask Why” zeigt CFA im ersten Stock das bereits zehnte Solo des israelisch-dänischen Künstlers Tal R: neue Frauenbildnisse, Gemälde, die an Vorbilder des deutschen Expressionismus und an die ornamentale Malkunst Henri Matisses denken lassen. jh

Adelhyd van Bender in der Galerie Susanne Zander | Delmes & Zander
Als Adelhyd van Bender 2014 in Berlin im Alter von 64 Jahren an Krebs starb, hinterließ der gelernte Elektriker Harald Bender mit dem weiblichen Alter Ego Adelhyd zweitausend Ringbuchordner voller Notizen. Mit mehreren Schreibmaschinen erstellte er Vorlagen für Collagen, die er später kopierte und weiterbearbeitete. Ein hoch komplexes Zeichensystem aus Symbolen und Farben, das, wenn auch unentzifferbar, in sich nur als vollkommen schlüssig und logisch aufeinander aufbauend beschrieben werden kann. Die Galerie Delmes und Zander, die dieses Jahr zum ersten Mal am Gallery Weekend teilnimmt, ist spezialisiert auf dergleichen Outsider Art, die manchmal, wie auch der Venedig-Biennale Kurator von 2013, Massimiliano Gioni erkannte, tiefer in das Herz der Kunst und der Welt vordringt als manche allzu kalkulierte Standardware auf den Messen. Adelhyd van Bender war der Überzeugung, einen Uterus zu haben und ein Atomgeheimnis zu hüten, alle Aufzeichnungen dienten der Analyse und dem Umgang damit. Symbole aus der Heilslehre und der Welt der Elektrizität erinnern entfernt an Beuys, seine obsessiven repetetiven Schreibmaschinen-Notate an die Programmiersprache von heute. Sein zweites Thema ist der Kampf um die Wiederaufnahme an der Berliner Hochschule der Künste, von der Bender nach zwei Jahren exmatrikuliert worden war. Nun, nach seinem Tod, wird er doch in die Kunstwelt aufgenommen. sh


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