Sol LeWitts Künstlerbücher im Art Laboratory Berlin

Fast autistische Hartnäckigkeit

Schon das Inhaltsverzeichnis liest sich wie ein Kinderliedchen: "Red on White, White on Red, Blue on White, White on Blue, Red on Yellow, Yellow on Red, Blue on Yellow, Yellow on Blue, Red on Blue, Blue on Red." Wie bei den meisten Künstlerbüchern Sol LeWitts entwickelt sich der kindisch anmutende Ansatz auch bei „Lines and Color“ (1975) rasch zum Wahnsinn, wo sich die einfachsten Elemente – hier gerade, ungerade und gebrochene Linien auf farbiges Papier – bald zu einem schillernden Rausch entfalten. Noch ehe man umblättern kann, heben die Linien ab und schweben millimeterweit über den mit Kontrastfarben zusammenprallenden Seiten.

Im Projektraum Art Laboratory Berlin kann man sich jetzt ein Bild von dieser irritierenden Qualität dieser Bücher machen. In einer nächsten Vitrine erreicht die Inszenierung von räumlichen Grundformen erst seinen Höhepunkt: „Cube“ (1990) stellt einen von neun Lichtquellen umzingelten weißen Kubus als Hauptfigur eines Schattenspiels vor. Mit fast autistischer Hartnäckigkeit dekliniert LeWitt sämtliche Beleuchtungsmöglichkeiten des Würfels, und es benötigt einiges an Konzentration, bevor man merkt, dass das stets wechselnde Schauspiel von Schatten und Linien sich lediglich durch die fortschreitende Scheinwerferkombinationen ergibt. Spielerische Lichtkunst und strenge Geometrie: Spinoza trifft auf James Turrell.

„Es ist eine fröhliche Wissenschaft“, sagt Regine Rapp, Co-Leiterin des Art Laboratory Berlin. Sie stellt hier alle Künstlerbücher des amerikanischen Konzeptkünstlers aus – 75 insgesamt – die zwischen 1967 und 2002 entstanden sind. Als Teil einer Wanderausstellung, die zuvor in Paris, Sheffield, Istanbul und Ljubljana zu sehen war, reisen die Bücher demnächst weiter nach Athen und New York.

Mit weißen Handschuhen nimmt Rapp ein Buch aus einer der fünf Vitrinen heraus und blickt auf das Bild „Ten Thousand Four Inch Lines“ (1971), wo in einer dichten Linienschar Konstrukte wie Piranesis Kerker augenblicklich erscheinen. „Da ist etwas Manisches an seinem Werk, aber auch was Witziges an seiner Manie“, sagt sie. Gregor Stemmrich der Freien Universität Berlin, Keynote-Redner des an diesem Wochenende stattfindenden Symposiums, stimmt zu. Mit messerscharfer Ironie setzte und sprengte LeWitt die Leitlinien der Konzeptkunst zugleich, meint Stemmrich und zeigt auf das Buch „The Location of Eight Points“ (1974), wo die anfangs schlichten Beschreibungen der Punktkonstellationen am Ende die Bilder völlig überschatten, bevor sie wieder zu dem werden, was sie eigentlich sind: nichts mehr als Worte, Worte, Worte.

Wer trotzdem nicht genug davon hat, kann sich im hinteren Raum der Galerie mit LeWitts „Paragraphs“ befassen: kurze Texte über den Sinn und Unsinn der Kunst.

Art Laboratory Berlin, bis 13. März. Symposium: 19-20 Februar. www.artlaboratoryberlin.org