Hochkarätig: Die Sammlung FRAC Calais in Maastricht

Für ein besseres Morgen

Über dem Eingang der Timmerfabriek hängt Claire Fontaines Neonschriftzug „Please God Make Tomorrow Better“. Der Versuch wäre es wert, zumal die niederländische Regierung gerade eine Halbierung des Kulturetats bis 2013 beschlossen hat. Umso lobenswerter war die Präsenz von Jack Lang, des wegen seiner großzügigen Kunstförderung legendären Kulturministers unter Mitterand, bei der Eröffnung von „Out of Storage“.

Der Franzose hat sich nicht ohne Grund nach Maastricht verirrt. Immerhin war er 1982 im Rahmen einer Politik der Dezentralisation für die Gründung der so genannten FRAC (Fonds régionaux d’art contemporain) verantwortlich, eines Verbunds von in 24 Regionen ansässigen öffentlichen Sammlungen zeitgenössischer Kunst. Zu ihren Aufgaben gehören vor allem Ausstellungen aus dem eigenen Bestand, die sowohl durch Frankreich als auch die ganze Welt touren. Jedes FRAC verfügt über einen eigenen Ankaufsetat für Kunst, die nach 1960 entstanden ist. Inzwischen befinden sich über 22.000 Werke in ihrem Besitz. Einige Hundert aus dem FRAC Nord-Pas de Calais haben jetzt dank der Vermittlung von Guus Beumer, Direktor des MARRES (Centrum voor Contemporaine Cultuur) in Maastricht und Kurator des Niederländischen Pavillons der diesjährigen Biennale, den Weg in einen gerade renovierten Teil der historischen „Sphinx“-Keramikfabrik gefunden.

Mit über 5.000 Quadratmetern auf zwei langläufigen Etagen, teilweise erhaltenen Werkräumen, Kleiderschränken und einem prunkvollen Anbau, der Villa des früheren Fabrikdirektors, überzeugt der Industriekomplex auf Anhieb als perfektes Ambiente für den Einblick in eine Sammlung, die durch ihre hohe Qualität besticht. Arte Povera, Minimal Art, Pop Art, Fluxus, Konzeptkunst und New Realismus gehören zu ihren Schwerpunkten. Hilde Teerlinck, Direktorin des FRAC Calais mit Vorliebe für sozial engagierte Positionen und Kuratorin der Ausstellung, hat auf thematische Inseln verzichtet. Sie setzt lieber auf den Dialog zwischen den Werken.

Hinter dem Hauptgebäude hat das Atelier Van Lieshout im Hof einen mobilen Spielplatz installiert, der alle Kletterwilligen zur Erforschung der fünf Sinne einlädt. Dabei herrscht im Innern eigentlich genug Bewegungsspielraum. Überwältigung durch pure Masse ist Teerlincks Sache nicht. Isa Genzkens unheimliche Skulptur „Blick“ schaut von einem Sockel herab auf den „Stuff“ von Laurie Parson, eine Stolperbarriere aus scheinbar zufällig entsorgten privaten Gegenständen. Während Sol LeWitts „Five Open Geometric Structures an their Combinations" am anderen Ende der Halle ihre Fühler Richtung Fensterlicht ausstrecken, ist der Riesenbüstenhalter von Vito Acconci längst als „Adjustable Wall Bra“ in leuchtender Birnenpracht erblüht.

Sichtlich Farbe verloren hat dagegen Amy Winehouse auf Hedi Slimanes morbide funkelnden Porträt. Zu erkennen ist die Sängerin nur durch ihren dunklen Haarturm. Das Gesicht hat sie schamvoll von der Kamera abgewendet. Im ersten Stock reagieren gleich mehrere Werke auf Warhols „Electric Chair“,  darunter Allen Rupperberg mit seinen „Proofs“, kuriosen Leinwandarchiven aus Auflistungen von Katastrophen, Morden und Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts, oder Bruce Nauman mit seiner lautstarken Videoinstallation "Violent Incident Man / Woman Segment".

Einen ganzen Raum bekommen in der Villa Marcel Broodthaers Gedichte und fotomechanische Reproduktionen. Das Zentrum des von Original-Wandfresken dekorierten Raums okkupiert Pawel Althamer, der mit der autobiografischen Installation „The Book“ seine wild wucherndem Einkaufsrechnungen und die Korrespondenz mit Ämtern enthüllt.

Im Finale bietet sich die Begegnung mit dem farbfrohen Stühlewald des dänischen Kollektivs SUPERFLEX an. Von herkömmlicher Kunstpraxis hat sich die Gruppe losgesagt. Ihre Installation „Copy Right“, bestehend aus 24 Exemplaren des Design-Klassikers von Arne Jacobsen, gibt sich, was angesichts der akkuraten Reihen nicht sogleich ins Auge fällt, kämpferisch. Sie betritt den bitter umkämpften Raum zwischen Original und Kopie mit einer Leichtigkeit, dass man der Utopie einer von frei zugänglichen Ideen beseelten Gesellschaft gerne folgen möchte, zumindest für den Zeitraum dieses erfreulich anregend bestückten temporären Museums, dessen Zukunft gleich mit der ersten Ausstellung finanziell in Frage gestellt wird.

"Out of Storage", Timmerfabriek Maastricht, bis 18. Dezember