Herr Badasyan, Sie planen, in den nächsten 365 Tagen mit täglich wechselnden Personen Sex zu haben. Warum?
Die Grundidee dazu ist abgeleitet von Marc Augé, dem französischen Anthropologen, und seiner Theorie der Nicht-Orte. Er versteht darunter Nicht-Orte wie Supermärkte, Flughäfen, Autobahnen. Wenn ein Mensch in den Supermarkt geht, holt er sich die Lebensmittel aus dem Regal, zieht die Geldkarte durch und verschwindet wieder. Es findet keinerlei Kommunikation statt, man fühlt sich verloren. Zu einer Prostituierten zu gehen, kommt dem Gang in einen Supermarkt doch ziemlich nahe. Es dauert drei bis vier Minuten. Zack – Geld einsammeln und schnell wieder verschwinden. Mein Projekt soll zeigen, wie eng Sexualität mit dem Gefühl der Einsamkeit zusammenhängt.
Wie finden Sie Ihre Sexpartner?
Vorwiegend übers Internet. Ich bin auf verschiedenen Dating-Portalen, in Gay-Chats, angemeldet. Ich will die Suche auf jeden Fall anonym gestalten und liebe die Spontanität. Aber ich habe mir ein wenig Freiraum eingeräumt, weil ich mir dachte, dass es schon schwer werden wird, jeden Tag jemanden zu finden. Online vor allem. Das braucht natürlich Zeit. Falls ich es also nicht schaffe, gehe ich einfach in den Park oder in einen Sexclub und finde dort jemanden. Wenn ich auf Reisen bin, ist das natürlich heikel. Dann wäre es auch möglich, dass ich cruising areas benutze …
… also informelle Treffpunkte für schnellen Sex ...
Genau. Das würde sich natürlich ein wenig vom Konzept „Save the Date“ entfernen, was ja bedeutet, sich für ein Date zu verabreden. Wenn ich aber niemanden finde, muss ich eben vor Ort jemanden organisieren.
Daher der Titel „Save the Date“?
Genau. Es ist aber auch ein Wortspiel. „Safe-date“ bedeutet es nämlich auch. Natürlich werde ich jedes Mal verhüten. Ich arbeite mit der Deutschen Aidshilfe zusammen, und die stellen mir Kondome zur Verfügung, „cruising bags“ nennt sich das dann.
Ist jeder Willige ein potenzieller Kandidat oder haben Sie Auswahl-Kriterien?
Natürlich suche ich mir Menschen aus, die ich mag. Bestimmt wird es den Tag geben, an dem ich keinen sympathischen Menschen finde. Dann muss ich eben auf jeden zurückgreifen.
Obwohl Sie ihn nicht mögen?
Ja, mir geht es um die Kunst. Ich muss meine Idee bis zum Ende bringen. Auch wenn das bedeutet, dass ich meine Vorlieben außen vorlassen und mich in gewisser Weise selbst geißeln muss.
Sie schlafen nur mit Männern?
Ja, schon. Zu Beginn habe ich daran gedacht, das Projekt queerer zu gestalten. Natürlich könnte ich mit Frauen experimentieren, das wäre allerdings nicht ehrlich. Ich würde mich nicht wohl fühlen. Also habe ich die Idee verworfen.
Wie wird das Projekt dokumentiert?
Ich werde mich mit einer Spy-Camera vor den Dates und danach filmen. Der Sex an sich wird auch gefilmt, falls die beteiligte Person damit einverstanden ist. Ich drehe aber keinen Pornofilm, meine Arbeit ist sehr abstrakt und minimalistisch. Ich werde zum Beispiel nur Füße filmen, das Badezimmer, die Toilette oder dergleichen. Außerdem mache ich Fotos und Sound-Aufnahmen der Männer, die ich treffe. Wenn ich zum Bespiel in einer Wohnung meines Sexpartners bin, lasse ich außerdem unauffällig Gegenstande mitgehen. Das kann vieles sein: eine Zahnbürste, ein Stück Klopapier. Irgendetwas, um diese Geschichte mit diesem Menschen an diesem Ort festzuhalten. Daraus entsteht dann am Ende des Projekts eine Installation mit 365 Objekten.
Für viele ist Sex etwas sehr Intimes. Sie machen es zum Teil Ihrer Performance-Kunst und damit öffentlich. Warum?
Zum einen weil Performance-Kunst gesehen werden muss. Diese Art von Kunst braucht das Publikum. Zum anderen bin ich ganz klar jemand, der Aufmerksamkeit liebt. Ich bin nicht schüchtern und bescheiden und will mich dieser tabuisierten Thematik ganz offen stellen. Diese Performance ist sehr privat und betrifft mich ganz persönlich, aber ich glaube, dass es vielen Menschen ähnlich geht. Ich bin mir sicher, dass 80 Prozent der Berliner super-einsam sind. Menschen, die ihre Nächte im Berghain verbringen, sich dort sexuell ausleben und dann morgens aufwachen, fühlen sich doch meistens scheiße.
Menschen, die häufig wechselnde Sexpartner haben, sind also oftmals einsam?
Ja, das liegt doch in der Natur des Menschen, diese ständige Suche. Wir wollen immer etwas Neues. Selbst wenn wir einen Partner haben und nach ein paar Jahren das Bedürfnis nach Abenteuer verspüren. Menschen sind immer unzufrieden. Das ist doch paradox. Wir sind alle diesem Drang unterworfen, uns ständig weiterzuentwickeln, zu entfalten, zu bilden, die Stagnation zu negieren. Diese ständige Suche hat mich unter anderem zu diesem Projekt geführt.
Sie kennen diese Einsamkeit auch von sich selbst?
Ja, es ist eine sehr biografische Arbeit. Es ist nichts künstlich Aufgeblasenes, denn ich war noch nie in einer Liebespartnerschaft, ich hatte noch nie einen Partner. "Ich lasse mich finden“, sagen die Menschen oft, wenn es um die Liebe geht. In der Performance werde ich zum Aktiven, ich werde meine Liebe teilen. Meine Gefühle werden ehrlich sein und ich hoffe, dass ich das schaffe. Es ist sehr unwahrscheinlich, weil es sehr stressig sein wird. Nach ein paar Monaten werde ich wohl mental sterben. So stelle ich mir es vor. Oder - im Gegenteil: Es könnte auch sein, dass ich zur Nutte werde. Es ist alles offen. Es ist ein soziales Experiment.
Was bedeutet die Kunst für Sie ganz persönlich?
Ich komme aus dem Aktivismus-Bereich. Ich will etwas bewegen, die Gesellschaft verändern. Das resultiert im Grunde aus meiner Homosexualität. Ich hatte, wie gesagt, nie einen festen Partner und habe mich in Russland noch nicht geoutet. Bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr habe ich versteckt gelebt. Früher habe ich viele politische Perfomances gemacht, heute interessiert mich das Private. Durch Kunst therapiere ich mich selbst, ich nehme mich bewusster wahr und bin der festen Überzeugung, dass ich durch Kunst mehr bewirken kann als durch Politik oder den reinen Protest.
Sie sind in Russland aufgewachsen, Ihre Eltern sind Armenier. Wissen Ihre Eltern von Ihrer Homosexualität?
Nein. Als ich meine Eltern letztes Jahr an Weihnachten besuchte, musste ich etwas Schlimmes erleben. Ich habe ein Date ausgemacht, bin dann, wie abgesprochen in die Wohnung, und fand statt des Dates acht Nazis mit Elektroschocks und Knüppel vor. Die haben peinliche Videos gemacht und online gestellt. So wurde ich zwangsläufig geoutet und habe die Hälfte meiner Freunde verloren. Und deswegen will ich auch nicht wieder zurück.
Ist dieses Projekt eine Antwort auf die Homophobie in Russland, Ihrem Heimatland?
Ja, aber auch auf die Homophobie hier. Ich möchte alle versteckten Tabus brechen und die Diskussion darüber veranlassen. Ich bin mir sicher, dass mein Projekt auch das Nachdenken über Themen wie Prostitution oder Migration veranlasst.
Zur Person: Mischa Badasyan, 26 Jahre, Armenier, ist in Russland geboren, mit 20 nach Deutschland ausgewandert und lebt seit zwei Jahren in Berlin. Seit drei Jahren arbeitet der Autodidakt als Performance-Künstler