Instagram und Fotografie sind natürliche Feinde. Von Seiten der Kunstkritik gibt es da nichts mehr zu reden. Das Urteil ist gesprochen: Instagram frisst die Fotografie auf. Die App verschlingt ihr vielleicht einziges Kind, raunt es aus den Reihen der Kunstkritiker. Ein Foto gehört an eine ordentliche Wand in einem Museum oder in einer Galerie.
Die Angst vom Verlust der Aura des Originals geht wieder um. Überall verfügbare Reproduktionen auf Tumblr, Pinterest, Twitter, Flickr, Instagram und so weiter entwerten die Fotografie, war gerade im "Art"-Magazin zu lesen. Aber noch viel mehr irritiert die Autorin Sabina Paries, dass Künstler, die von ihrer Kunst leben, überhaupt bereit dazu sind, Instagram zu nutzen und ihre Arbeiten dort gratis zu zeigen. Die Frage, wie man damit Geld verdienen kann, beschäftigt sie. Und da sie nicht recht eine Antwort findet, vielleicht, weil es gar keine gibt, liegt der Schluss nahe: "Wer sich professionell für Fotografie interessiert, sucht Fotografie nicht an der Spaß-und-Gratis-Rampe." Spaß an der Kommunikation mit Fotos wird professionellen – ja, wem eigentlich? – Künstlern, Kuratoren und Kunstkritikern nicht zugestanden.
Wenn jemand professionell für Fotografie auf Instagram einzustehen hat, dann ist es Stephen Shore, der Miterfinder der New Color Photography in Amerika (hier im Gespräch über Instagram). Unter gefühlt jedem zweiten Foto wird Shore um eine Erklärung zu seinem Output auf Instagram gebeten. Einige seiner Follower stürzt er in tiefe Sinnkrisen, wenn er immer und immer wieder Fotos von Waldwegen, Blumengärten oder einfach Müll postet. Verzweifelt rufen sie aus: "Bitte hilf mir das zu verstehen ..." Andere geben sich begnügsam mit dem zufrieden, was sie sehen, denn: "Es ist, was es ist."
Kurz bevor das "Art"-Magazin fragte, ob Instagram Kunst sein könne, wurde Facebook an selbiger Stelle als das "anspruchsvollste Internetportal für zeitgenössische Kunst" gefeiert. Facebook sei Nachrichtensendung, Klatschblatt und Werkübersicht in einem; und fleißig über Kunst austauschen könne sich, wer genug so genannte Freunde gesammelt habe.
Der einflussreichste Kurator, wie Hans Ulrich Obrist gern genannt wird, checkt lieber 20 Mal pro Stunde Instagram. Die App, das sagte er kürzlich in einem Interview, sei sein wichtigster Infokanal. Der Kunstbetrieb ist schon schnell genug. Da braucht es nicht auch noch einen Starkurator, der wie das weiße Kaninchen hektisch und in Zeitnot statt nach seiner Uhr nach seinem Smartphone greift, um sich von einem sozialen Fotonetzwerk über die Neuigkeiten in der Kunstszene updaten zu lassen. So zumindest die Reaktion im Editorial zur ersten Ausgabe von "Blau", dem neuen Kunstmagazin der "Welt". Nicht alles sei dringlich, nicht alles sei interessant, und vor allem nicht immer und zu jeder Zeit.
Der Entzauberung der Kunstwelt durch Instagram, das auch mal einen Blick hinter die weißen Wände erlauben würde, begegnen Kunstkritiker mit Vorbehalten. Facebook hat sich inzwischen als Nachrichtenkanal und Werbefläche bewährt, Instagram tut sich zumindest in Deutschland noch schwer. Die Anzahl der Künstler, Kuratoren und Kritiker im deutschsprachigen Raum, die Instagram nutzen – und das nicht nur privat – ist überschaubar. Ein Foto gilt im Kunstbetrieb hierzulande offenbar immer noch strikt als künstlerisches Ausdrucksmedium. Und wenn ein Künstler unter seinem Namen öffentlich ein Foto über ein soziales Fotonetzwerk verbreitet, hat es sich um Kunst zu handeln, die am besten auch noch hochpreisig gehandelt werden kann.
Der Starkurator Hans Ulrich Obrist ist derweil schon wieder weiter gesprungen. Ihm kann man jetzt immer öfter auf Periscope, der Video-Livestreaming-App zusehen, wie er Künstlergespräche führt oder Ausstellungen besucht. Und die Kunstwelt sieht das weiße Kaninchen mit dem Smartphone in der Hand nur noch von hinten.