Herr Beil, Ihre Kündigung kam für Außenstehende überraschend. Eigentlich sollte Ihr Vertrag bis zum 31. Januar 2020 laufen. Warum mussten Sie nun vorzeitig gehen?
Das wüsste ich selbst gerne. Als ich mit dem Kuratoriumsvorsitzenden regulär über die Verlängerung meines Vertrages sprechen wollte, bekam ich umweglos zu hören, dass man bereits einen Nachfolger für mich suche … Stichhaltige Gründe teilte man mir nicht mit. Der Kuratoriumsvorsitzende äußerte lediglich, dass ich "einigen hier in Wolfsburg auf die Füße getreten" sei. Das legt die Vermutung nahe, dass einige wenige einflussreiche Kräfte im Hintergrund gezielt meine Ablösung betrieben haben, da ich ihnen offenbar zu unabhängig und kritisch war. Alles andere kann ich definitiv ausschließen. Das Kunstmuseum Wolfsburg war seit Beginn meines Ausstellungsprogramms mit "Dark Mirror" und "Wolfsburg Unlimited" ausgesprochen erfolgreich unterwegs. In diesem Jahr waren wir sowohl mit "Robert Lebeck. 1968" als auch mit "Facing India" im "Heute Journal" und allen nur erdenklichen Medien vertreten: von der "FAZ" und der "Süddeutschen Zeitung" über "Rolling Stone", "Vogue" und "Emma", amerikanische oder polnischen Kunstzeitschriften bis hin zu örtlichen Gemeindebriefen. Die Besucherzahlen und Finanzen waren jederzeit im grünen Bereich. Zudem wurden wir reich beschenkt, und das im globalen Maßstab. Sogar von einem Sammler aus Bangladesch kam eine großartige Rauminstallation von Mithu Sen ins Haus: ein veritables Museum im Museum.
Sie sprachen davon, dass es an "künstlerischer Freiheit" am Kunstmuseum fehle. Wie sehr mischt sich das Kuratorium der Kunststiftung Volkswagen, die Trägerin des Museums, in programmatische Entscheidungen ein?
Ich sprach davon, dass die künstlerische Freiheit derzeit nicht mehr gegeben sei. Eingestellt worden bin ich mit der vertraglich zugesicherten "künstlerischen Alleinverantwortung für sämtliche Programme des Museums", und das war bis Mitte dieses Jahres auch tatsächlich so. Dann kam es zu der überraschenden Ansage meiner Ablösung durch den Kuratoriumsvorsitzenden.
Es wird nun spekuliert, dass die Ausstellung "Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters", die sich offenbar auch kritisch mit dem Auto auseinandersetzt, ein Streitfaktor war. Stimmt das?
Es gab keinen Streit, denn dazu bräuchte es ja eine Diskussionskultur. Bei VW und seinem Umfeld wird alles eher hinter verschlossenen Türen geregelt. Meine Vertragsverlängerung wurde vom Kuratoriumsvorsitzenden schlicht vertagt, anstatt offen im Kuratorium diskutiert zu werden. Und nach der Vorstellung des Jahresprogramms wurde lediglich gefragt, ob es denn auch positive Horizonte in der "Oil"-Ausstellung gäbe. Tatsächlich sollte die "Oil"-Ausstellung Licht und Schatten des Erdölzeitalters gleichermaßen aufzeigen. Ohne Benzin, Diesel und Kerosin gäbe es unsere gesamte heutige Lebenswelt nicht. Mobilität zu Lande, zu Wasser und in der Luft mit Auto, Schiff und Flugzeug prägt die Moderne wie auch die Epoche der Globalisierung grundlegend – nur dass diese umfassende Mobilisierung von Menschen und Waren nun klimatechnisch zurückschlägt wie jeder andere Einsatz von fossilen Brennstoffen in unserer Gesellschaft. Es wäre bei "Oil" dezidiert um eine Gesamtschau gegangen: vom Meeresplankton vor hundert Millionen Jahren, aus dem Erdöl entstanden ist, bis hin zum Plastikmeer und zu einerseits technisch, andererseits ethisch basierten Zukunftsvisionen für eine Welt von morgen. Ein starkes, ganz wunderbares Projekt für den Standort Wolfsburg – davon bin ich nach wie vor überzeugt.
Weder beim Budget noch bei den Besucherzahlen haben Sie sich etwas vorzuwerfen. Was waren die großen Herausforderungen Ihrer Arbeit in den letzten vier Jahren?
Die größte Herausforderung war die negative Energie, die nach dem Dieselskandal jeden und jede betroffen hat, der in und um Wolfsburg lebt und arbeitet. Auf der Mathildenhöhe Darmstadt, meiner vormaligen Wirkungsstätte, war der Grundtenor der vor den beiden Weltkriegen entstandenen Künstlerkolonie grundsätzlich positiv, es ging immer um Aufbruch und Weltentwürfe. Das erhoffe ich mir nun auch wieder von meiner nächsten Direktorenstelle: einen kreativen Freiraum, der Geschichte, Gegenwart und Zukunft ohne energetische Grundambivalenzen in den Blick nehmen kann.
Die von Ihnen konzipierten Ausstellungen, darunter auch "Oil", werden wie geplant 2019 gezeigt. Wie ist das eigentlich möglich, wenn Sie nicht daran mitarbeiten?
Gute Frage. Es wird auf jeden Fall anders werden. Die Sammlungsausstellung wird nun der Sammlungsleiter realisieren. Keine leichte Aufgabe, denn allein die Inszenierung der riesigen Ausstellunghalle ist eine große Herausforderung. Die "Oil"-Ausstellung ist noch mehr mit mir als Kurator verbunden. Die nächsten Wochen werden erweisen, wie und ob es dort weitergehen kann.
Angeblich sei schon Ihr Nachfolger nominiert. Wissen Sie, wer es ist?
Ja, wir kennen uns. Er hatte mir unlängst noch eine Ausstellungszusammenarbeit angetragen ...
Was geben Sie ihm mit auf dem Weg?
Die große Frage ist, wie weit er die Schere im eigenen Kopf zulässt aus Gründen der Jobsicherheit. Denn eines ist klar: Wolfsburg ist ein sehr besonderer Standort, insbesondere wenn man nicht nur unverbindlich "schöne" Ausstellungen macht, sondern sich verbindlich mit den Themen unserer Zeit auseinandersetzt, so wie ich das in den letzten vier Jahren getan habe.
Anmerkung: Ob tatsächlich die programmatische Arbeit mit der Kündigung Beils zusammenhängt, wollte die Kunststiftung Volkswagen nicht bestätigen. In einem Statement des Museums heißt es lediglich: "Auf der Grundlage eines Beschlusses des Kuratoriums der Kunststiftung Volkswagen wurde die Bestellung von Dr. Ralf Beil zum Vorstand und Sprecher des Vorstands aufgehoben." Dem seien lange Verhandlungen über die vorzeitige Auflösung seines bis zum 31. Januar 2020 laufenden Dienstverhältnisses vorangegangen. Beil habe dem einvernehmlichen Aufhebungsvereinbarung nicht zugestimmt.