Die Architekturbiennale findet vor allem im Chicago Cultural Center statt, im "Volkspalast", wie mancher Chicagoer das 1897 eingeweihte Gebäude nennt. Ein Großteil der internationalen Architektur-, Design- und Kunstprojekte aus allen Ländern ist hier – Washington Street, Ecke Michigan Avenue – zu sehen. Überhaupt konzentriert sich die erste Architekturschau ihrer Art in Nordamerika auf den The Loop genannten Geschäftsbezirk. Mit zwei Ausnahmen: Neben dem Illinois Institute of Technology liegt auch das alte Bankgebäude an der Stony Island Avenue 6760 fernab vom quirligen Wolkenkratzerviertel.
Die 1923 fertiggestellte, Anfang der 80er geschlossene Bank wäre abgerissen worden, wäre der Künstler Theaster Gates nicht auf die Idee gekommen, das Gebäude in ein Kultur- und Ausstellungszentrum zu verwandeln. "Das erste Haus mit festen Öffnungszeiten", erzählt Gates den zur Preview geladenen Journalisten. Gates ist ja berühmt für sein Engagement an der marginalisierten, von Armut und Gewalt geprägten South Side von Chicago. Der Künstler hat mit Gleichgesinnten bereits mehrere Gebäude in seinem Viertel Greater Grand Crossing renoviert und in gemeinnützige Projekte umgewandelt. Er hat rund um die Dorchester Avenue ein Black Cinema House gegründet, treibt ein Sozialwohnungsprojekt voran, rettet Archive, um mit Sammlungen von Büchern, Schallplatten oder Alltagsgegenständen afroamerikanische Kultur zu bewahren.
Rassismus wird im Rahmen dieser Erinnerungsarbeit nicht ausradiert. Wer im frisch renovierten Bankgebäude ein paar Archivschubladen aufzieht, stößt auf jede Menge Schwarzen-Klischees, darunter ein dunkelhäutiges "Aunt Dinah"-Maskottchen auf Sirupdosen-Etiketten.
International bekannt wurde Theaster Gates mit den "12 Ballads for Huguenot House" auf der Documenta 2012. Ein Jahr später konnte er seine Popularität bereits für einen cleveren Coup auf der Art Basel nutzen. 100 aus den Toiletten der Bank entnommene Marmorplatten, mit der Inschrift "In Art We Trust" zu Bankanleihen veredelt, wurden an betuchte Sammler verkauft. So kam der Löwenanteil für die Renovierung der Stony Island Arts Bank zusammen.
Mit einer raumgreifenden Skulptur von Carlos Bunga wird die Bank, die fortan dem geistigen Mehrwert geweiht, nun eröffnet. Die Struktur des in Barcelona lebenden Künstlers, aus brauner Pappe gefertigt, füllt die Haupthalle des Gebäudes aus und verstärkt den ohnehin schon sakralen Charakter des Gebäudes mit der Tempelfront. Im Keller, sozusagen der Krypta, findet sich ein riesiger, von Rost halb zerfressener Tresorraum, wie man ihn aus Gangsterfilmen kennt.
Theaster Gates sitzt in der Bibliothek im ersten Stock und denkt über die Biennale und ihr Motto "The State of the Art of Architecture" nach: "Obwohl ich kein ausgebildeter Architekt bin, mache ich mir meine Gedanken über Gebäude und Menschen. Ich lebe in einer Nachbarschaft, in der die Leute laut, sehr laut denken. Das sind Menschen, die nicht die Schönheit von Architektur antreibt, sondern die fragen: ‚Was habe ich davon?’ Das sind nämlich Leute, die Jobs brauchen, um das Wohl ihrer Familien kämpfen."
Gates’ Traum liegt darin, etwas zu schaffen, das beide Welten zueinander bringt, "eine Hülle", wie er formuliert, "die beides fasst, High und Low, das Internationale und das Lokale, Reich und Arm".
Zu behaupten, diese Utopie von Architektur wäre an der South Side von Chicago bereits Wirklichkeit, wäre verstiegen. Was die lokale Akzeptanz des kulturellen und sozialen Angebots anbetrifft, ist noch Luft nach oben. Im Studio von Gates, eine ehemalige Fabrik ein paar Blocks von der Stony Island Bank entfernt, hat das Black Cinema House seinen neuen Aufführungsort gefunden. Aber wer interessiert sich hier eigentlich für die über 100-jährige "andere" Filmtradition? "Wir brauchen viel Geduld", räumt Theaster Gates ein. Dass er die – ebenfalls nötige – Energie besitzt, hat der 42-Jährige ja schon oft bewiesen.