1979 schaffte Uli Sigg etwas, das vor ihm noch keiner geschafft hatte. Er schloss das erste Joint Venture zwischen einem westlichen Unternehmen und der kommunistischen Regierung Chinas ab. Die Schweiz dankte es ihm 1995 mit einem Botschafter-Job. Es war die optimale Ausgangslage, um an die eine oder andere Ateliertür zu klopfen. Seitdem vertrauen ihm Künstler wie Ai Weiwei, Fang Lijun, Cao Fei oder Wang Guangyi ihre nicht selten systemkritischen Werke an. Und das ist auch nötig, denn immer noch verstehen die Zensur-Dienststellen bekanntlich keinen Spaß, wenn die Meinung eines Kulturschaffenden nicht der Sicht der offiziellen Organe entspricht.
In Interviews erzählen die Schützlinge, welche enorme Bedeutung die Präsenz des promovierten Juristen vor Ort für die Kunstszene hat, was sie nicht daran hindert, hier und da Kritik zu üben. In Ai Weiweis Augen etwa ist der Plan einer Schenkung an das Museum M + keine gute Idee, da diese Institution von einer staatsnahen Hongkonger Behörde geführt wird. Es wäre konsequenter, Sigg würde seine Sammlung in einem Schweizer See versenken, meint der Provokateur spitzbübisch. Weniger oppositionelle Geister positionieren sich zeitgleich auf der anderen Seite und fürchten den zersetzenden Einfluss der Werke auf die angereisten Chinesen vom Festland.
Zwischen diesen Lagern scheint sich der 71-jährige Mäzen pudelwohl zu fühlen. Man folgt ihm zu Empfängen, oder wirft einen Blick ins Innere von Fabrikhallen und Museen, während seine Weggefährten von einer Zeit berichten, als das Land noch meilenweit entfernt war von seinem heutigen Status einer Industriegroßmacht, Kontakte mit Ausländern verboten waren und die Kunst nach der Kulturrevolution mit dem Makel eines überflüssigen Luxusobjekts assoziiert wurde.
Nach Maos Tod änderten sich die Koordinaten. Der Schrecken des roten Terrors verging und die Schockstarre fand ein allmähliches Ende. Hier setzte Siggs Pionierarbeit einer Vermittlung zwischen Ost und West an. Ein bis in die frühen 80er-Jahre reichender Prozess, den Regisseur Michael Schindhelm, im ersten Leben Theaterintendant in Basel, entlang von Archivbildern und kaum bekannten Super-8-Aufnahmen der sich wandelnden Gesellschaft nachdrücklich belegt. Die Kunstwerke montiert er kontrapunktisch dazwischen und umschmeichelt sie mit ausgiebigen Kamerafahrten. Die biografischen Etappen werden chronologisch abgehandelt, wobei die ökonomische Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping einen deutlichen Vorrang bekommt.
Auch wenn die vielen Mosaiksteinchen aus Anekdoten und Momentaufnahmen nicht immer zueinanderfinden, der etwas einseitig anhimmelnde Ton irgendwann ermüdet und der schizophrene Schwebezustand des heutigen Riesenreichs zwischen behaupteten Marxismus und Turbo-Kapitalismus nicht wirklich eine Rolle spielt, bekommt man dennoch einen Eindruck von der Denkart eines Quereinsteigers, der trotz wechselnder ideologischer Flügel die jeweils regierenden Vertreter auf seine Seite zu ziehen vermochte, erst in der Wirtschaft, dann in der Kulturpolitik.
Dass er auf diesem Weg des jahrzehntelangen Hürdenlaufs fürstlich entlohnt wurde, demonstriert sein prächtiges Schloss in Luzern, an dem sich die Kamera gleich am Anfang auffällig weidet. Keine Frage, Sigg ist mit seiner pragmatischen Zurückhaltung weit gekommen. Ob Selbstzweck oder schlaue Tarnung, immerhin sieht man ihn einmal die Aufschrift "My Ego – My Way" auf dem T-Shirt tragen, ohne ihn wäre unser aller Kenntnis nicht nur der Untergrundkunst, sondern auch der in ihr schlummernden chinesischen Zeitgeschichte weit dürftiger geraten.