Das Foto von Stephanie Kloss zeigt einen großen und hellen Speisesaal des Kibbuz Mizra. Ein Dutzend schlanker Holzstühle steht in Reih und Glied um einen weißen Tisch, auch die Stahlwaschbecken und Betonpfeiler lassen eher an eine Mensa als an ein gemütliches Esszimmer denken. Hier hat man drei Mal täglich zusammen gegessen, denn Kibbuz bedingt ein Lebensmodell in fussläufiger Gemeinschaft.
Kloss' Bild ist Teil der Ausstellung „Kibbuz und Bauhaus“ in der Stiftung Bauhaus Dessau. Sie führt anhand von Zeittafeln, mehr als 300 Fotografien, Interviews und Artefakten chronologisch durch Entwicklungsphasen der Kibbuzim und erinnert an ihre Verwandtschaft mit dem Bauhaus.
Die zionistische Architektur, die 1910 mit der Siedlung „Degania“ begann, war dafür geschaffen, Wohn- und Arbeitsräume als sozialistische Utopie zu versöhnen. In den kollektiven und meist eingeschossigen Häusern lebten im Schnitt vier Familien – die Kinder wohnten im Kinderhaus. Kibbuz und Bauhaus basieren nicht nur beide auf der Idee gemeinschaftlichen Lebens, sie bedienen sich auch einer ähnlichen Formsprache: Funktionalität, Transparenz, viel Glas und simple Fassaden ohne Dekoration.
Während sich zwischen 1919 und 1933 mit Koryphäen wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe oder Oskar Schlemmer das Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin etablierte, emigrierten über zwei Dutzend Bauhaus-Schüler mit Tausenden weiteren Juden nach Palästina und exportierten das neue Bauen. In rasantem Tempo bildeten sich hunderte Siedlungen.
Die radikalste Form der europäischen Moderne
Zwei der fünf beteiligten Kuratoren, der Architekt Yuval Yasky und die Museumsdirektorin Galia Bar Or, haben bereits letztes Jahr den israelischen Pavillon der 12. Architektur-Biennale in Venedig bespielt und sind damit auch für die Rahmenbedingungen der Dessauer Schau verantwortlich. Denn trotz des Titels „Kibbuz und Bauhaus“ bleibt – mal abgesehen vom Museum selbst – nicht sehr viel vom Bauhaus übrig. Der Direktor der Stiftung und Co-Kurator, Philipp Oswalt, betont sogar, man hätte keine Ambitionen gehabt, das Bauhaus zu präsentieren – handle es sich doch um die bedeutende Architektur der Kibbuz-Bewegung, die zwar viel mit Bauhaus gemein hätte, aber eben nicht Bauhaus sei. Kibbuz sei die architektonisch radikalste Form der europäischen Moderne gewesen.
Privatisierung, Eingeschlossenheit, Überflüssigkeit
270 Kibbuzim soll es heute noch in Israel geben. Ungefähr 70 davon noch als klassisches Kommunen-Modell – die anderen seien privatisiert. Auf diesen Aspekt spielt auch die Medien-Installation „Beyond Eden“ an. Im Gegensatz zu der Hauptausstellung reflektiert diese Arbeit Kibbuzim mit mehr Skepzis: Die Fotografin Stefanie Kloss und die Politikwissenschaftlerin Antonia Blau besuchten 2010 über 40 Siedlungen in Israel und dokumentierten ihre zunehmende Privatisierung, ihre Eingeschlossenheit und ihre aufkommende Überflüssigkeit. Fotografien zeigen nach dem Bauhaus-Prinzip eingerichtete Kibbuz-Räume, bei denen aber irgendwann um 1960 die Zeit stehen geblieben scheint. Ein Großteil der Einwohner Israels wohnt heute in den Metropolen Tel-Aviv und Haifa. Gerade für junge Leute kommt das kollektive Leben ohne Privatbesitz immer seltener in Frage.
Berührendes Einzelschicksal
Im ehemaligen Meisterhaus von Oskar Schlemmer, abseits des Bauhaus-Hauptgebäudes, findet sich der dritte Teil der Ausstellung. Dort erinnert der Filmemacher und Künstler Amos Gitai mit der Video-Installation „Traces“ an seinen Vater Munio Gitai Weinraub. Der einflussreiche Architekt studierte bis 1932 bei Mies van der Rohe und flüchtete vor der zunehmenden Macht der Nationalsozialisten nach Palästina, wo er die Bauhaus-Architektur in Kibbuzim realisierte. Weinraubs Geschichte wirkt exemplarisch, doch Amos Gitais Darstellung ist lyrisch und abstrakt: In Ausschnitten aus seinem Film „Lullaby to my father“ lesen die Schauspielerinnen Jeanne Moreau, Hannah Maron und Hanna Schygulla Briefe seiner Eltern vor. Die dazugehörigen Bilder, projiziert an Innenwände, Spiegel oder Waschbecken des Meisterhauses, zeigen vorbeirauschende Landschaften oder Hände, die auf einer Schreibmaschine tippen. Gitais Arbeit spannt einen Bogen zwischen dem berührenden Einzelschicksal eines Juden, der noch vor dem Holocaust aus Deutschland fliehen konnte, und der Entwicklung einer architektonischen Formensprache. Als Kunstwerk beschreibt „Traces“ besser als jede Chronik, wie tief Bauhaus und Kibbuz miteinander verwurzelt sind.
Bauhaus Dessau, bis 9. April 2012
Kloss' Bild ist Teil der Ausstellung „Kibbuz und Bauhaus“ in der Stiftung Bauhaus Dessau. Sie führt anhand von Zeittafeln, mehr als 300 Fotografien, Interviews und Artefakten chronologisch durch Entwicklungsphasen der Kibbuzim und erinnert an ihre Verwandtschaft mit dem Bauhaus.
Die zionistische Architektur, die 1910 mit der Siedlung „Degania“ begann, war dafür geschaffen, Wohn- und Arbeitsräume als sozialistische Utopie zu versöhnen. In den kollektiven und meist eingeschossigen Häusern lebten im Schnitt vier Familien – die Kinder wohnten im Kinderhaus. Kibbuz und Bauhaus basieren nicht nur beide auf der Idee gemeinschaftlichen Lebens, sie bedienen sich auch einer ähnlichen Formsprache: Funktionalität, Transparenz, viel Glas und simple Fassaden ohne Dekoration.
Während sich zwischen 1919 und 1933 mit Koryphäen wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe oder Oskar Schlemmer das Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin etablierte, emigrierten über zwei Dutzend Bauhaus-Schüler mit Tausenden weiteren Juden nach Palästina und exportierten das neue Bauen. In rasantem Tempo bildeten sich hunderte Siedlungen.
Die radikalste Form der europäischen Moderne
Zwei der fünf beteiligten Kuratoren, der Architekt Yuval Yasky und die Museumsdirektorin Galia Bar Or, haben bereits letztes Jahr den israelischen Pavillon der 12. Architektur-Biennale in Venedig bespielt und sind damit auch für die Rahmenbedingungen der Dessauer Schau verantwortlich. Denn trotz des Titels „Kibbuz und Bauhaus“ bleibt – mal abgesehen vom Museum selbst – nicht sehr viel vom Bauhaus übrig. Der Direktor der Stiftung und Co-Kurator, Philipp Oswalt, betont sogar, man hätte keine Ambitionen gehabt, das Bauhaus zu präsentieren – handle es sich doch um die bedeutende Architektur der Kibbuz-Bewegung, die zwar viel mit Bauhaus gemein hätte, aber eben nicht Bauhaus sei. Kibbuz sei die architektonisch radikalste Form der europäischen Moderne gewesen.
Privatisierung, Eingeschlossenheit, Überflüssigkeit
270 Kibbuzim soll es heute noch in Israel geben. Ungefähr 70 davon noch als klassisches Kommunen-Modell – die anderen seien privatisiert. Auf diesen Aspekt spielt auch die Medien-Installation „Beyond Eden“ an. Im Gegensatz zu der Hauptausstellung reflektiert diese Arbeit Kibbuzim mit mehr Skepzis: Die Fotografin Stefanie Kloss und die Politikwissenschaftlerin Antonia Blau besuchten 2010 über 40 Siedlungen in Israel und dokumentierten ihre zunehmende Privatisierung, ihre Eingeschlossenheit und ihre aufkommende Überflüssigkeit. Fotografien zeigen nach dem Bauhaus-Prinzip eingerichtete Kibbuz-Räume, bei denen aber irgendwann um 1960 die Zeit stehen geblieben scheint. Ein Großteil der Einwohner Israels wohnt heute in den Metropolen Tel-Aviv und Haifa. Gerade für junge Leute kommt das kollektive Leben ohne Privatbesitz immer seltener in Frage.
Berührendes Einzelschicksal
Im ehemaligen Meisterhaus von Oskar Schlemmer, abseits des Bauhaus-Hauptgebäudes, findet sich der dritte Teil der Ausstellung. Dort erinnert der Filmemacher und Künstler Amos Gitai mit der Video-Installation „Traces“ an seinen Vater Munio Gitai Weinraub. Der einflussreiche Architekt studierte bis 1932 bei Mies van der Rohe und flüchtete vor der zunehmenden Macht der Nationalsozialisten nach Palästina, wo er die Bauhaus-Architektur in Kibbuzim realisierte. Weinraubs Geschichte wirkt exemplarisch, doch Amos Gitais Darstellung ist lyrisch und abstrakt: In Ausschnitten aus seinem Film „Lullaby to my father“ lesen die Schauspielerinnen Jeanne Moreau, Hannah Maron und Hanna Schygulla Briefe seiner Eltern vor. Die dazugehörigen Bilder, projiziert an Innenwände, Spiegel oder Waschbecken des Meisterhauses, zeigen vorbeirauschende Landschaften oder Hände, die auf einer Schreibmaschine tippen. Gitais Arbeit spannt einen Bogen zwischen dem berührenden Einzelschicksal eines Juden, der noch vor dem Holocaust aus Deutschland fliehen konnte, und der Entwicklung einer architektonischen Formensprache. Als Kunstwerk beschreibt „Traces“ besser als jede Chronik, wie tief Bauhaus und Kibbuz miteinander verwurzelt sind.
Bauhaus Dessau, bis 9. April 2012