Die prächtige Berliner Schau Taswir widerlegt westliche Islam-Klischees

Da ist er ja doch, der Schleier. Allerdings trägt ihn keine Frau, sondern der Prophet. Der persische Philosoph al-Ghaza¯li¯ schrieb vor 1000 Jahren, die Schönheit seines Lächelns sei mit dem Vollmond vergleichbar. Und so betrachtet seine Gefolgschaft das Gesicht des Mondes, während das eigentliche Antlitz Mohammeds sich hinter zartem, weißem Tuch verstecke – so zu sehen auf einem iranischen Gemälde aus dem 16. Jahrhundert, das jetzt in einer vergrößerten Kopie im Martin-Gropius-Bau hängt. Die Ausstellung „Taswir – Islamische Bildwelten und Moderne“ zeigt einiges anders, als das westliche Klischee uns einflüstert. Hier wird der Schleier nicht zum Unterdrückungsinstrument, sondern zum raffinierten Mittel im Spiel von Offenlegen und Verbergen, nicht unähnlich dem modernen Wettstreit zwischen Figuration und Abstraktion. Diese subtilen, traditionellen Formen ahmen außerdem statt der Natur eher die Literatur nach. In dieser Ästhetik wird Schrift zum Bild und umgekehrt.

Wie wunderbar das wirken kann, belegt der opulente Parcours der Schau, die neue und frühe Arbeiten vorbehaltlos nebeneinanderstellt und darüber hinaus noch westliche Werke einbaut. Kalligrafie trifft auf Picasso, Wolfgang Laibs gelbe Hügel aus Blütenstaub wetteifern mit Ornamenten des 11. Jahrhunderts. Und so brutal die Wände aus Drahtkäfigen von Mona Hatoum auch erscheinen – der Schatten, den sie an die Wand werfen, korrespondiert mit den prächtigsten Dessins der alten Teppiche, die ihrerseits in ihrer Serialität überraschend aktuell wirken.

Die assoziative Zusammenstellung von Artefakten verschiedenster Herkünfte ist ein kuratorisches Experiment, das mittlerweile recht häufig probiert wird. Bei „Taswir“ geht es deshalb so gut auf, weil hinter den wilden Kombinationen sorgfältige Recherchen stehen. Man kann sich kaum entscheiden, was mehr Genuss bringt: die zeitgenössischen Künstler mit islamischen Wurzeln, die selten in solcher Qualität versammelt sind, oder die vielen fein gesponnenen Muster, Verzierungen und Erzählungen aus einer vergangenen Ära.

Martin-Gropius-Bau, Berlin, bis 18. Januar 2010