Carl Andre wird 80

Der verstoßene Minimalist

Jahrelang wurde Carl Andre wegen des bis heute nicht restlos aufgeklärten Todes seiner Frau in der US-Kunstszene geschnitten. Kurz vor seinem 80. Geburtstag am heutigen Mittwoch bekam der "Vater des Minimalismus" endlich eine große Retrospektive. Andre revolutionierte den Begriff der Skulptur

Die Stahlplatten lagen auf dem Boden des Tordurchgangs in der Düsseldorfer Altstadt, und die Galeriebesucher stapften darüber. 100 Stahlplatten verlegt im Viereck - das war vor fast 50 Jahren in der Galerie Konrad Fischer der erste künstlerische Auftritt des amerikanischen Bildhauers Carl Andre in Europa. Fischer stellte 1967 als erster in Deutschland die Werke Andres aus und brachte damit die strenge amerikanische Minimal Art über den Atlantik.

Andre revolutionierte in den 60er-Jahren mit seiner kühl-geometrischen und anonymen Kunst aus Holzbohlen, Ziegelsteinen und Stahlplatten, die er am Boden stapelte oder großflächig ausbreitete, den Begriff von Skulptur. Doch ein tragisches Ereignis in seinem Leben führte dazu, dass der amerikanische Kunstbetrieb den "Vater des Minimalismus" verstieß.

Am Mittwoch (16. September) wird der 1935 geborene und bis heute in New York lebende Künstler 80 Jahre. Doch erst vergangenes Jahr bekam Andre seine verdiente erste große Retrospektive in den USA - im Dia: Beacon Museum nördlich von New York. Es ist bezeichnend, dass die bis März 2015 laufende Schau anschließend nicht weiter durch die USA tourte, sondern über den Atlantik nach Madrid, Berlin und Paris wandern wird.

Der Bruch in Andres Leben war der Tod seiner Frau Ana Mendieta, die 1985 nach einem Streit mit ihm aus dem Fenster der gemeinsamen Wohnung im 34. Stock stürzte. Die Umstände ihres Todes sind bis heute ungeklärt. Andre wurde angeklagt, aber freigesprochen. "Teile der Kunstszene haben das Ereignis nicht vergessen", sagt Thomas Rieger, Direktor der Galerie Konrad Fischer. Dies sei auch der Grund, dass Andre so lange auf seine Retrospektive habe warten müssen.

Europa und besonders das Rheinland sind dem 1935 in Quincy/Massachusetts geborenen Andre dagegen treugeblieben. Bis heute vertritt ihn die Konrad Fischer Galerie und hält engen Kontakt zu dem scheuen Künstler. "Düsseldorf ist für ihn wichtig. Hier hatte er seine ersten großen Erfolge", sagt Rieger. Durch Andres Kontakte kamen auch heute weltbekannte Künstler wie Sol Lewitt, Bruce Nauman oder Donald Judd an den Rhein. Zuletzt sei Andre 2008 im Rheinland gewesen, um den Aufbau seiner Kupfer- und Aluminium-Arbeiten zu verfolgen, sagt Rieger.

Wie kam der Künstler, der aus Geldnot zeitweise als Bremser und Zugführer arbeitete, überhaupt dazu, plötzlich Baustoffe aus Holz, Stein und Stahl auf dem Boden im Zickzack, Dreieck oder Quadrat zu "Skulpturenfeldern" gruppieren? Keine persönliche künstlerische Handschrift war noch zu erkennen. Nicht einmal eine tiefere Botschaft schienen die Stahlplatten zu enthalten.

Schuld war wohl Frank Stella, mit dem sich Andre ein Atelier teilte. Als Andre an einem Holzstück schnitzte, soll Stella ihm gesagt haben, die unbearbeitete Seite sei auch Skulptur. Von da an bearbeitete der Bildhauer Andre kein Material mehr, sondern er ließ das Material die Räume einschneiden. Der Betrachter darf selbst entscheiden, ob er über das Kunstwerk stapft oder um die einzelne Elemente herum geht.

"Man kann fast alles erreichen, wenn man die Arbeit in Elemente einteilt, die den eigenen Fähigkeiten entsprechen. Deshalb bestehen meine Skulpturen fast immer aus Linien oder Feldern, deren Teile so leicht sind, dass ich sie heben kann", sagte Andre 2005. "Fragt man mich, wie ich je ein Ende finde, kann ich nur antworten: Wenn ich mich erschöpft habe."

Mehr als 2000 Kunstwerke hat Carl Andre geschaffen und fast ebenso viele Gedichte. Offenbar ist er jetzt erschöpft. Andre habe im vergangenen Jahr aufgehört zu arbeiten, sagt Rieger. Andre sei jetzt ein retired artist, ein Künstler im Ruhestand.