Centre Pompidou Paris

Der Trickster

Einen Hinweis darauf, wie man einige folgende Scheußlichkeiten aus Schwefel, Wachs und bunten Glaskugeln zu verstehen hat, versteckt Jean-Michel Othoniel am Beginn der Ausstellung im Centre Pompidou: „Le Burlador“, der Trickster, heißt eine frühe Wandinstallation aus Federn, Pfeifen und gläsernen Spielkarten. Der Psychoanalytiker C. G. Jung beschrieb die Figur des Tricksters als ein „kosmisches Urwesen“, das die Normen, Erwartungen und kümmerlichen Hoffnungen der Menschen verhöhnt – und damit erst sichtbar macht. Auch „My Way“, so der Titel der Retrospektive des Tricksters Othoniel, ist ein Irrweg, der weit über die Grenzen hinausführt: die des guten Geschmacks. In die Freiheit vielleicht? 

Mit Frank Sinatra im Ohr und dem Verweis auf die Mythologie im Hinterkopf folgt man dem Künstler: nicht nur in die Haupträume im sechsten Geschoss, sondern auch in die Kindergalerie des Centre Pompidou, wo er, nur konsequent, ebenfalls Skulpturen abgestellt hat. 

Othoniel hat Mitte der 80er-Jahre mit intimen, fast schüchternen Verortungsversuchen begonnen: „Le Burlador“ ist so ein Selbstporträt, auch das Schwarz-Weiß-Foto, das den Künstler in einer Mönchskutte zeigt. Im Laufe der Jahre entwickelte er eine Liebe zu visuellen Kalauern. „Post-Tits“ (1995), Post-its mit aufgemalten Brustwarzen, ist nur ein besonders eindrückliches Beispiel. Was der von Othoniel verehrte Felix Gonzalez-Torres mit minimalistischer Schönheit verfolgte, überführt der Franzose ins Ordinäre: Körperlichkeit, Sex und Liebe in Objektarrangements darzustellen. 

Othoniel begann mit Schwefel und anderer schwieriger Materie, später benutzte er zunehmend Muranoglas. Monumentale „Perlenketten“ sind zu sehen, die an kaum sichtbaren Schnüren aufgehängt sind, als wären sie in den Raum geworfen. Mit „Le Bateau de Larmes“ (Boot der Tränen) von 2004 ist er vollends in Richtung Kitsch gesegelt: Er hat einem Holzboot, mit dem kubanische Flüchtlinge angeblich ihr Heimatland verließen, einen schillernden Aufbau aus Glaskugeln verpasst. Doch Leid und Politik sollte nicht mal ein „kosmisches Urwesen“ dermaßen trivialisieren dürfen.  

Centre Pompidou, Paris, bis 23. Mai