Kollwitz-Preis: In Berlin verwirren Cardiff und Miller die Sinne

In den Strafkolonien des Bewusstseins

Willkommen im Studio. Hier wird man auf Plüsch gebettet, während mechanische Arme über dem Körper kreisen und ihre Nadeln unter die Haut treiben: schneller und präziser, als es jeder Tattoo-Künstler vermag. Bloß dass man statt haltbarer Bilder ein Trauma mitnimmt, das weit tiefer geht als jede Farbe. Wenn man hier überhaupt lebend herauskommt, denn bei dem zimmergroßen Apparat handelt es sich um eine „Killing Machine“.

Janet Cardiff und George Bures Miller haben das tödliche Ding, das natürlich ohne Opfer vor sich hinfuchtelt, während der Zuschauer brav am Rand der Installation verharrt, schon 2007 konstruiert. Mit Blick auf Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“, wo Häftlingen das eigene Vergehen schriftlich auf den Rücken tätowiert wird – so lange, bis sie daran sterben. Den realen Hintergrund für die Installation lieferte eine verlassene Haftanstalt in Pennsylvania, in der „Killing Machine“ ausgestellt war. Nun steht sie im Keller der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin; zusammen mit dem „Cabinet of Curiousness“ oder „Secret Hotel“, das 2005 für das Kunsthaus Bregenz entstanden ist.

Sobald sich die Roboterarme in Bewegung setzen, hebt ein jaulendes Orchester an und dringen immer neue Eindrücke ins Bewusstsein. Eine Qualität, die man als Argument für den Käthe-Kollwitz-Preis begreifen kann, den das Künstlerpaar in diesem Jahr erhalten hat. Der Preis wird seit 1960 für hervorstechende künstlerische Positionen vergeben, Träger sind neben Martin Kippenberger oder Peter Weibel auffallend viele Maler. Die Wahl der beiden kanadischen Medienkünstler wirkt deshalb wie eine kleine Zäsur. 12.000 Euro und die sehenswerte Mini-Retrospektive in der Akademie gehören zu jener Ehrung für Cardiffs und Millers „Raumbegriff, der mit den Mitteln akustischer Wahrnehmung die Illusion unterschiedlicher Realitätsebenen konstruiert und dekonstruiert.“

Die Ausstellung liefert das Antidot zu der leicht hölzernen, abstrakten Begründung der Jury, der unter anderen Medienexperte Wulf Herzogenrath angehörte. Hier flüstert es aus Schubladen, wispern Lautsprecher Unverstehbares – oder liefern Geräusche und Dialoge, die zu den visuellen Vorgängen nicht passen wollen. Darauf baut auch die jüngste Arbeit des Künstlerpaares, „Sync no Sync“ (2011). Ein Dialog über die baldige Ausstellung in Berlin, den die beiden während einer Autofahrt durch Kanada aufgenommen haben und nun auf zwei Tonspuren asynchron wiedergeben: Was der eine antwortet, entspricht so gar nicht dem, was man auf die Frage erwarten würde.

Komplexer und dennoch nach einem ähnlichen Prinzip konstruiert war „Paradise Institute“, mit dem das Duo 2001 in Venedig im kanadischen Pavillon der Biennale auffiel: Der Zuschauer saß in einem winzigen Kino in roten Plüschsitzen und konnte den Kurzfilm eines brennenden Hauses partout nicht mit dem Handyklingeln und anderen Geräuschen zur Deckung bringen, die ihm per Kopfhörer zugespielt wurden.

Diese Isolierung der Sinne ist nicht nur stilistisches Mittel, sondern die Basis der Arbeit von Cardiff und Miller. Sie nutzen die Irritation, das Aushebeln jeder Kongruenz, zur Schärfung der Wahrnehmung. Und letztlich auch für die Einsicht, was für ein subjektives Unterfangen  Kunstrezeption ist. Denn vor „Killing Machine“ oder „Cabinet of Curiousness“, wo niemand unter Kopfhörern verschwindet, müssten eigentlich ähnliche Erfahrungen anfallen. Doch es kommt anders: Aus der Melange der optischen und akustischen Phänomene filtert jeder heraus, was zu den eigenen Erinnerungen, Ängsten und Fantasien passt. Was jeder davon trägt, ist ein bisschen wie Lotterie. Und auch dies dürfte Janet Cardiff und George Bures Miller gefallen. 

Akademie der Künste am Pariser Platz, bis 14. August 2011