Kalkulierter Irrsinn feiert 100. Geburtstag

"Dada ist nie zu Ende"

Dada, das war vor 100 Jahren ein Angriff wilder Künstler und Dichter auf den "guten Geschmack" und das bürgerliche Establishment. Bis heute lebt der subversive Geist von Dada in vielen Bereichen der Kunst fort

Sinnlosigkeit mit Ansage, wilder Tanz, abstruse Lyrik, ohrenbetäubender Lärm und ein Angriff auf die bürgerlichen Werte - das alles war Dada. Vor 100 Jahren wurde die revolutionäre Kunst- und Literaturbewegung in Zürich aus der Taufe gehoben - Auslöser war der Schrecken des Ersten Weltkriegs. Dada lebt aber bis heute fort. Die Dadaisten waren Wegbereiter für den Surrealismus, Fluxus, für Performance- und Konzeptkunst. Auch Punk und Lady Gaga sind ein bisschen Dada, meint Oliver Kornhoff (46), Leiter des Arp Museums Bahnhof Rolandseck, im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Was ist Dada?
Dada ist "Nein, nein, nein, ja, ja ja, nein, nein, nein".

Das ist doch Joseph Beuys. Und der war noch nicht einmal geboren, als Dada 1916 in Zürich gegründet wurde.
Dass Dada etwas mit Beuys zu tun hat, ist kein Zufall. Die Dadaisten hätten möglicherweise längere und poetisch ausgefeiltere Wortspiele gemacht, aber es zeigt sich auch in diesen Sätzen die Konsequenz, die Künstler des 20. Jahrhunderts wie etwa Joseph Beuys aus Dada gezogen haben.

Was hat Dada denn verneint?
Dada hat zunächst alles Überkommene verneint und die Werte, die zum Ersten Weltkrieg führten, infrage gestellt. "Nein, nein, nein" zur bürgerlichen Kultur, zu militaristischen Strömungen, monarchistischen Strukturen und zur Industrialisierung als allein seligmachende Kraft. Deshalb haben die Dadaisten die Stunde Null ausgerufen - Reset würden wir heute sagen.

Gab es außer dem Weltkrieg noch andere Auslöser für die Entstehung von Dada?
Dada ist eine Kultur der Desertion, auch im übertragenen Sinne, es ist nicht nur eine pazifistische Geste. Nachdem man die Stunde Null ausrief, schaffte man etwas Neues, deshalb "Ja, ja, ja". Die Gedichte von Hugo Ball oder Hans Arp waren keine Gedichte, die man mit Sinnzusammenhang von A bis Z vortrug. Mehrere Leute sprachen gleichzeitig, die korrumpierte Sprache wurde zur Kakophonie vereint.

Dada ist bis heute ein Synonym für abstrus oder irrsinnig.
Da liegt schon ein Teil des Missverständnisses. Dada ist nicht schenkelklopfender Irrsinn. Der Nonsens ist eine bewusste Infantilisierungsgeste, die sich in Fantasiesprache, Gleichzeitigkeit und auch Tanz und Theater darstellte. Dem verdanken die Künstlergenerationen danach sehr viel - der Surrealismus, Fluxus, Pop Art, Zero. "Wir schöpfen aus dem Nichts" - das wurde spätestens seit Dada zum Topos.

Ist auch der Punk demnach von Dada beeinflusst?
Ja, Punk ist eine Attitüde, die ganz viel von Dada hat. Das Entscheidende aber ist, dass wir nicht den Kurzschluss machen, Dada als rein destruktive oder zerstörerische Attitüde zu sehen. Die Komplementarität von Destruktion und Konstruktion ist entscheidend für die Kunst von Dada. Man wusste, wovon man weg wollte, aber man wusste nicht, wohin man wollte. Das unterwegs Sein ist die Gemeinschaft zum Punk: Wir machen Aktion, mal gucken, was dabei rauskommt. Provokation als Konstruktion.

Die Neue Deutsche Welle brachte Trio mit dem Song "Da da da" hervor - was fällt Ihnen dazu ein?
Da fällt mir tatsächlich ein: Sprache demaskieren, entkleiden, minimieren. Sprache neu mit poetischer Kraft füllen.

Steht die Gruppe Trio also auch in der Tradition von Dada?
Ja, denn man darf Dada auch als bewusste Infantilisierung verstehen. Alles was Dada gemacht hat, war reflektiert. Die Frage ist vielmehr, ob sich Trio der Tradition von Dada bewusst war. Eine der vielen Gründungserklärungen für Dada sind im Übrigen die ersten Laute von Kleinkindern: "Da da da". Der erste Laut, das Spontane, das hat sicher auch Trio gewollt. Ob Trio aber in den 80ern mit dieser Chiffre die Perversion der Sprache ablehnen wollte, wie es die Dadaisten empfunden haben, weiß ich nicht. Vielleicht haben sie die Infantilisierung auch als Pop-Strategie verwendet.

Man könnte viele Künstler als Erben von Dada bezeichnen.
Es ist zu kurz gegriffen, wenn ich auf alle humoristischen Sachen gleich das Dada-Etikett klebe. Bei Dada war die Motivation, etwas Neues zu schaffen, ganz entscheidend als Antrieb. Die Freiheit, die Dada der Kunst danach geschaffen hat, ist denkbar weit zu fassen.

Was also ist Dada heute?
Dada ist nie fertig, ist nie zu Ende. Die Ideen wachsen weiter, die heutige Generation braucht aber keine Stunde Null mehr. Für die Künstler heute ist es klar, dass sie alles machen dürfen.

Ist Dada also kein Stil, sondern vielmehr eine Haltung?
Ja, das stimmt. Deswegen kann auch vieles heute Dada sein. Zum Beispiel Jonathan Meese. Er hat starke dadaistische Motivatoren, weil er sich verweigert und ein anderes System an die Stelle setzen will, nämlich die Diktatur der Kunst. Er will etwas Neues schaffen - Destruktion und Konstruktion. Er ist stark Dada.

Haben sie noch ein Beispiel für einen Künstler mit Dada-Attitüde?
Lady Gaga wird immer genannt, auch weil sie eine Frau ist. In der Rezeption von Dada fallen die Frauen immer gerne hinten runter, weil sie Masken trugen, sich kostümierten. Die Frauen waren performativ-tänzerisch tätig. Auch die Künstlerin Marina Abramovic hat das Performative übernommen, aber sie radikalisiert es bis zur Selbstgefährdung. Das gab es in der Zeit von Dada noch nicht. Da hatte man höchstens Angst um das Renommee. Damals wie heute stellt Dada eine Zumutung und mehr noch eine Überforderung dar. Dada erfüllt nie das, was das Publikum erwartet.

ZUR PERSON: Der promovierte Kunsthistoriker Oliver Kornhoff (46) leitet seit 2009 das Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen (Rheinland-Pfalz). Das Museum beherbergt mehr als 400 Kunstwerke des Künstlerpaares Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp. Hans Arp war Mitbegründer der Dada-Bewegung.