Interview

Chef von Biennale-Pavillon fordert Bekenntnis zum Einwanderungsland

Wo sollen Flüchtlinge leben? Was bedeutet die Flüchtlingssituation für den Wohnungsmarkt? Und wie müssen Kommunen reagieren? Mit diesen hochpolitischen Fragen setzt sich der deutsche Pavillon der Architekturbiennale auseinander. Ein Gespräch mit seinem Chef

Der deutsche Pavillon für die Architekturbiennale in Venedig (28. Mai - 27. November 2016) wird in diesem Jahr hochpolitisch. Unter dem Titel "Making Heimat. Germany, Arrival Country" hat sich das Team um den Generalkommissar und Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt, Peter Cachola Schmal, mit der Frage auseinandergesetzt, wie und wo Flüchtlinge in Deutschland künftig untergebracht werden könnten - und wie der Städtebau bei der Integration helfen kann. Zusätzlich dazu wurde eine Datenbank über Flüchtlingsbauten in ganz Deutschland ins Leben gerufen - als Entscheidungshilfe für die zuständigen Behörden.

Im Interview der Deutschen Presse-Agentur sprach Schmal kurz vor der Präsentation des Pavillons am Donnerstag in München darüber, warum der Wohnungsbau seiner Ansicht nach künftig wahlentscheidend sein dürfte.

Ihr Biennale-Pavillon befasst sich auch mit Flüchtlingsunterkünften ...
Auch, ja. Ziel der Ausstellung ist aber vor allem die Integration der Einwanderer. Ein Großteil der derzeit ankommenden Flüchtlinge wird mittelfristig in Deutschland bleiben und ein gewisser Teil von ihnen wird zu Einwanderern, also zu neuen Deutschen. Ziel ist es, herauszustellen, welche Faktoren die Integration von Einwanderern in einer Stadt begünstigen und welche hinderlich sind. Da haben wir die Erkenntnisse aus Doug Saunders' 15-jähriger Studie "Arrival City" einfließen lassen.

Was sind denn die wichtigsten Erkenntnisse?
Zum Einwandern bedarf es ethnischer Netzwerke, und diese Netzwerke finden sich oft ungeplant in eher vernachlässigten Stadtvierteln wieder. Diese migrantischen Viertel finden sich in vielen Städten, die früher Industriestädte waren, und in denen die Neuwanderer nicht nur Chancen auf einen Job finden, sondern auch eine ihnen bekannte Infrastruktur. Diese ethnischen Netzwerke gibt es nicht in Dörfern. Es bedarf also urbaner Zentren, in denen es nicht nur günstigen Wohnraum gibt, sondern auch Jobs.

Die These, man könne in Städte, in denen viele Wohnungen leer stehen, einfach Flüchtlinge einquartieren, die sich dann selbst integrieren, ist schwierig. Warum sollte jemand in einer Gegend bleiben, die von den eigenen Einwohnern bereits verlassen wurde?

Bedeutet das dann einen noch größeren Druck auf Ballungszentren?
Ja. Die Flüchtlingssituation verschärft den Blick auf ein großes Krisenthema, das in Deutschland in den kommenden Jahren absolut bestimmend und auch wahlentscheidend sein wird: Das ist der Wohnungsmarkt. Wir hören immer mehr, dass inzwischen sogar die Mittelschicht schon Probleme hat, in den Großstädten tatsächlich noch bleiben zu können und eine neue Wohnung zu finden, wenn sie sich beispielsweise aufgrund von Nachwuchs vergrößern wollen.

Diese Berichte werden immer dramatischer. Menschen müssen aus München, Hamburg und Frankfurt wegziehen, weil sie dort keinen angemessenen Wohnraum mehr finden - und das ist die Mittelschicht. Ganz zu schweigen von den Menschen, die weniger zur Verfügung haben. Die werden direkt konkurrieren mit den Neuankömmlingen - und das wird nicht für eine Integrationsstimmung sorgen.

Was kann man da tun?
Diese Krise auf dem Wohnungsmarkt ist das Ergebnis der ideologischen Meinung, dass die Wohnbauförderung nur noch personenbezogen sein sollte. Seit einigen Jahrzehnten gibt es die Theorie, dass man nicht mehr den sozialen Wohnungsbau fördert, sondern die einzelnen Personen, indem man ihnen Wohngeld gibt. Die Wohnungspreise steigen aber in einer Art und Weise, dass man inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung in bestimmten Städten mit Wohngeld unterstützen müsste. Das kann nicht sein.

Wo sind die Wohnungen für acht Euro pro Quadratmeter? Wo kriegt eine Familie mit zwei Kindern für 1200 Euro warm eine Wohnung? Die Politik muss eine Lösung und neue Flächen für den Wohnungsbau finden - und das wird ihr schwer fallen. Die Verdichtung kommt an ihre Grenzen. Aber die Politik wird gezwungen sein, Antworten zu finden. Das Ganze kommt einem Paradigmenwechsel gleich. Dabei ist wichtig zu sagen, dass die Probleme ohnehin da sind und nicht von den Flüchtlingen ausgelöst werden. Die Flüchtlingssituation verschärft diese Probleme nur, sie hat sie ja nicht erzeugt. Wenn der Wohnungsdruck gemildert werden würde, wird die Integration wesentlich einfacher.

Was sind Ihre Schlüsse daraus?
Wir fordern, dass Deutschland sich bekennt zum Einwanderungsland, dass wir endlich zugeben, dass wir ein Einwanderungsland sind. Wir brauchen Einwanderungsgesetze und Einwanderungsministerien. Wir müssen uns die Frage stellen, wie Einwanderer schnell in Arbeit kommen, wie sie an Wohnungen kommen und wie sie und ihre Kinder schnell zum Wohle der ganzen Bevölkerung hier integriert werden. Das Bekenntnis zum Einwanderungsland ist uns bisher noch nicht über die Lippen genommen, aber es wird Zeit. Wir sollten von Ländern wie den USA und Kanada lernen, wie das geht. Wir glauben, dass die derzeitige Lage auch große Chancen bietet.

ZUR PERSON: Seit 2006 leitet der 1960 in Altötting geborene Architekt und Architekturkritiker Peter Cachola Schmal das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main. Er war bereits seit 2000 als Kurator am Museum tätig. Zuvor arbeitete er unter anderem an der FH Frankfurt und der TU Darmstadt.