Berlinale-Filme "Another End" und "A Different Man"

Mitten hinein in fremde Leben

Die Filme "Another End" und "A Different Man" im Berlinale-Wettbewerb haben fantastische Prämissen und gepeinigte Protagonisten. Es kommt aber nicht nur auf gute Ideen, sondern auch aufs Drehbuch an

Schon erstaunlich, in wie viele Lebensgeschichten man während einer Berlinale schlüpfen darf. Wenn es böse ausgeht, wie in Andreas Dresens gelungenem Biopic "In Liebe, Eure Hilde", ist man schlimmstenfalls schwer erschüttert. Da stirbt Hilde Coppi (Liv Lia Fries) unter dem Fallbeil wegen ihres mutigen Widerstands gegen die Nazis. Doch nach dem Film ist vor dem Film, und die zweite Pressevorführung im Wettbewerb war am Freitag Piero Messinas "Another End", ein raffiniert konstruierter Film über das Trauern und Loslassen. Anders als bei Dresen, der  sozusagen Salz in die offene Wunde der deutschen Vergangenheit streut, blieben bei dem fiktionalen Drama des italienischen Regisseurs Messina keine Fragen offen.

Bei einem von ihm verursachten Autounfall hat Sal (Gael García Bernal) seine geliebte Zoe verloren. Seit dem Todesfall sitzt Sal teilnahmslos in einem Apartment eines Wohnblocks herum, in einer Stadt, die London sein könnte, aber nur aus gesichtslos-modernen Wolkenkratzern zu bestehen scheint. Sals Schwester Ebe (Bérénice Bejo) sorgt sich um ihn, einen Selbstmordversuch des Bruders kann sie in letzter Minute verhindern. Ebe arbeitet für "Another End", eine Firma, die das Bewusstsein Verstorbener abspeichern kann. Sogenannte Hosts leihen den Toten für gute Bezahlung ihre Körper, sodass die Trauernden für eine limitierte Phase Zeit bleibt, sich von den Verstorbenen zu verabschieden – die nur ein wenig anders aussehen als die Verblichenen. Während sie ihren Dienst leisten, wissen die Hosts nicht, dass sie fremde Gedanken denken.

Sal bekommt also seine Zoe zurück, die im Körper einer anderen Frau steckt (Renate Reinsve). Es beginnt ein faszinierendes Spiel um das Leib-Seele-Problem und um Identität. Wie in Hitchcocks Klassiker "Vertigo" erzählt Messina, der am Drehbuch mitbeteiligt war, von einem Mann, der eine Verstorbene nicht loslassen kann. Und wie in "Vertigo" gibt es eine doppelte, von ein und derselben Darstellerin verkörperte Frauenfigur. Sal stellt Ava nach, der Prostituierten, die er als zweite Zoe liebgewonnen hat. Doch wie die Anfangsbuchstaben A und Z sind ihre Charaktere sehr weit auseinander. "Another End" pendelt zwischen Melodram und Thriller, ihm fehlt die politische Agenda eines typischen Bären-Favoriten, was an seiner emotionalen Kraft nichts ändert.

Schöner Mann, schwarze Seele

Um Identität und Verwandlung kreist auch "A Different Man", ein Wettbewerbsfilm des US-amerikanischen Regisseurs Aaron Schimberg. Sein Protagonist Edward (Sebastian Stan), lebt mit Neurofibromatose, die sein Gesicht monströs entstellt. Er schlägt sich als Schauspieler durch und lebt in einem heruntergekommenen Mietshaus in New York. Nebenan zieht eine neue Mieterin ein, Ingrid (noch einmal: Renate Reinsve) die sich mit Edward anfreundet und Stücke schreibt – später auch eins über Edward, der dank einer wundersamen Therapie inzwischen zum attraktiven Guy, so auch sein neuer Name, mutiert ist. Obwohl er eine Maske tragen muss, bekommt er die Hauptrolle im Stück von Ingrid, die ihn nicht erkennt, ihn aber als verblüffend "richtig" für den Part empfindet. Er ist ja auch die Hauptfigur – und auch wieder nicht. Dann tritt Oswald auf – und stiehlt Guy alias Edward die Show und übernimmt dessen Rolle.

Oswald wird im Film von Adam Pearson gespielt, der tatsächlich mit Neurofibromatose lebt und durch Jonathan Glazers "Under the Skin" bekannt wurde. Pearson war am Donnerstag auch in der Berlinale-Pressekonferenz und auf dem roten Teppich zu sehen; seine Auftritte in "A Different Man" sind die Highlights des Films, weil sein Oswald überhaupt nicht das Verhalten zeigt, das man von einem "Elefantenmenschen" erwartet – er ist ein lebensfroher, kontaktfreudiger Typ.

Die Abstiegs-Story von Edward allerdings, die etwas an Oscar Wildes "Bildnis des Dorian Gray" erinnert (schöner Mann, schwarze Seele) fällt Szene um Szene mehr auseinander. Aaron Schimberg hat sein eigenes Drehbuch geschrieben. Das ist leider nicht gut, obwohl eine Menge Humor und schöne surreale Momente drin sind. So bleibt man auf Abstand zu Edwards Geschichte. Vielleicht wirft uns der nächste Film – mitten hinein in ein fremdes Leben.