In der Währung "Likes" stand Anne Imhofs "Faust" im deutschen Pavillon bereits in den Eröffnungstagen ganz hoch im Kurs, in den Gesprächen über die Qualität der einzelnen Länderbeiträge auch. Während der Aufführungen an den Eröffnungstagen war zu spüren, wie die vierstündige Performance die Betrachter ergreift. Auf und unter einem Glasboden, der in den Pavillon eingezogen ist, entsteht sie im wortlosen Zusammenspiel der Personen, der Musik und der wenigen, aber kraftvollen Einbauten: Glas unterteilt den Raum in verschiedene Zonen wie im Zoo – Sichtbarkeit erwünscht, Kontakt unmöglich. Große Waschbecken und Schläuche lassen an Ausnüchterungszelle oder Pathologie denken, akkurat aufgereihte Seifen, Schalen, Löffel, Handtücher und Feuerzeuge sind Requisiten für subversive Rituale.
Intelligent hat Anne Imhof das deutsche historische Panorama im Blick und setzt ihre Motive, ohne sie auszuspielen. Sie weiß sicherlich, dass Dobermänner, von denen zwei im Außengehege ihrer Installation das Bild komplettieren, die bevorzugten Wachhunde in Konzentrationslagern waren.
Was die Performer von "Faust" in dem fünfstündigen Stück dann zueinander aufbauen, lässt den Anflug von Nazigrusel einer zeitlosen Ballade der Beziehungen weichen. Die Betrachter wandeln erst unsicher, dann immer besser konditioniert auf die Reize des Sounds und der Bewegungen und Blicke der Darsteller darin umher. Manchmal ist das Ereignis lediglich der Augenkontakt zweier Darsteller quer durch den Raum, der wie ein unsichtbarer Strahl die Menge teilt. In Zeitlupe verdichten sich allmählich die Aktionen, die Körper werden zu Figurengruppen, berühren sich erst zärtlich, bis Sex und dann Kampf daraus zu werden scheint. Ohne Ergebnis gehen sie wieder auseinander, um an anderer Stelle in anderen Konstellationen ihre Handlungen fortzusetzen.
Manchmal brennt etwas auf der unteren Ebene, oder jemand ritzt die Wände an, es gibt wütende Prozessionen und sanfte Gesänge. Während der ganzen Zeit entstehen neue Bilder und Zeichen. Auch der Hauch des Atems auf Glas kann Malerei sein.
Anne Imhof ist Malerin, doch in der Orchestrierung der Körper hat sie eine wirklich neue Kunstform hervorgebracht: ein bewegtes Bild, das sich selbst erschafft, sich immer wieder wandelt zwischen Motiven aus der Kunstgeschichte und der knallharten Preisgabe des Selbst aus unserer Gegenwart. Die Verwertung ist dabei schon im Entstehen verinnerlicht: Fast zwanghaft versuchen die Besucher das, was sie da sehen, mit der Kamera zu bannen, die Intensität, die manche von ihnen zum Weinen bringt, auf ihren Geräten zu speichern. Und scheitern darin, denn die Darsteller geben alles und geben doch nichts her. Was da entsteht, ist tatsächlich so etwas wie ein faustischer Moment. Diese Körper und Seelen widersetzen sich der Einverleibung durch das Verwertungssystem. Bei der Preisverleihung für den besten Pavillon dieser Biennale wurden sie trotzdem in Gold aufgewogen.